26. Juni 2012

Marginalie: Ägyptens Präsident Morsi hat der iranischen Agentur Fars gar kein Interview gegeben? Hier ist es, in fünf Teilen

Das fängt ja gut an, möchte man sagen.

Dr. Mohamed Morsi Issa Ayyat ist seit Sonntag der gewählte, wenn auch noch nicht vereidigte Präsident Ägyptens. Und schon hat er seine erste Affäre.

Die iranische Nachrichtenagentur Fars hat ein Interview mit ihm veröffentlicht, geführt nach deren Angaben am vergangenen Sonntag in den Stunden vor der Verkündigung des Wahlergebnisses. In diesem Interview sagte Morsi bemerkenswerte Dinge, die beispielsweise der Sender Al Arabiya und die Kairoer Zeitung Al Ahram verbreiteten (siehe Morsis "Druckausgleich" und das "Islamische Erwachen". Der neue ägyptische Präsident wendet sich in Richtung Teheran; ZR vom 25. 6. 2012).

Gestern nun hat laut der ägyptischen staatlichen Nachrichtenagentur Mena der gewählte Präsident schlicht erklären lassen, dieses Interview habe es nie gegeben. (In der Meldung dazu beispielsweise heute früh in "Zeit-Online" steht, es habe angeblich "am Montagmorgen" stattgefunden; was sich nicht mit den Angaben von Fars deckt).

Dieses Interview, das gar nicht stattgefunden haben soll, wurde von Fars mit ausführlichen Zitaten in fünf Teilen veröffentlicht; der erste gestern um 16.53 Uhr MEZ, der fünfte um 18.32 MEZ. Sie können diese Artikel nachlesen:
  • (1) Mursi: Iran, Egypt Relations Create Strategic Balance in Region

  • (2) Egypt's New President Blasts SCAF's Dissolution of Parliament

  • (3) Mursi Dismisses Rumors about 1-Year Presidential Term in Egypt

  • (4) Egypt's New President Dismisses S. Arabia Visit

  • (5) Egypt's New Leader Stresses Necessity for Revising Camp David Accord
  • Alle fünf Teile enthalten wörtliche Zitate Morsis. Dort, wo etwas ergänzt wurde, ist dies durch eine Klammer gekennzeichnet. Es sieht alles wie ein ordentlich geführtes Interview aus. Die einzige Besonderheit ist die Publikation in fünf Teilen, die sich daraus erklärt, daß auf die Dokumentation der Äußerungen Morsis jeweils weitere Meldungen folgen, die kommentierenden Charakter haben.

    Im fünften Teil sieht das beispielsweise folgendermaßen aus: Zunächst gibt es wörtliche Zitate aus dem Interview, teilweise ergänzt durch indirekte Rede:
    "Our policy towards Israel will be a policy based on equality since we are not weaker than them in any field and we will discuss the issue of the Palestinians' rights with the related sides since this is highly important," Mursi told FNA on Sunday, hours before the official announcement of presidential election results.

    "We will revise the Camp David treaty," he said, adding that all of these issues should be implemented by governmental bodies and the cabinet "since I will take no decision by myself".

    "Unsere Politik gegenüber Israel wird eine auf Gleichheit basierende Politik sein, denn wir sind in keinem Bereich schwächer als sie, und wir werden das Thema der Rechte der Palästinenser mit den betroffenen Seiten diskutieren, denn es ist hochwichtig", sagte Mursi gegenüber FNA [Fars; Zettel] am Sonntag in den Stunden vor der offiziellen Bekanntgabe der Ergebnisse der Wahl des Präsidenten.

    "Wir werden den Vertrag von Camp David revidieren", sagte er, und fügte hinzu, daß alle diese Themen von Regierungsgremien und dem Kabinett umgesetzt werden sollten, "da ich keine einsamen Entscheidungen treffen werde".
    Es folgen Textpassagen zum Wahlergebnis, zur Entwicklung des ägyptisch-iranischen Verhältnisses seit dem Sturz Mubaraks, über ein Treffen zwischen dem iranischen und dem ägyptischen Außenminister am Rande einer Konferenz auf Bali. Ähnliche Kommentare folgen auf die entsprechenden Interview-Stellen in den anderen Teilen der Veröffentlichung. Offenbar wegen dieser Kommentierung erfolgte die Publikation in fünf Teilen.



    Morsi hat nun also erklären lassen, dieses Interview habe nie stattgefunden. Soll man wirklich glauben, daß die staatliche persische Nachrichtenagentur Fars eine dreiste Fälschung veröffentlich hat? Das wäre eine nachgerade unfaßbare Dummheit, denn es würde die Beziehungen zwischen dem Iran und Morsi schwer belasten, noch bevor dieser überhaupt seinen Amtseid geleistet hat. Und das in einer Situation - siehe den zitierten Kommentar -, in welcher der Iran offensichtlich eine Verbesserung der Beziehungen zu Ägypten anstrebt.

    Welchen Sinn sollte eine solche gegen die eigenen iranischen Interessen gerichtete Fälschung haben? Alles spricht dafür, daß das Interview sehr wohl stattgefunden hat. Nachdem seine verheerenden Folgen deutlich wurden, flüchtet man sich in Kairo offenbar in ein Dementi. Wobei unklar ist, wer "man" sein könnte. Morsi selbst? Oder der Oberste Militärrat SCAF, der nach wie vor die Macht innehat und der mit dem Dementi sozusagen den Prozeß der Disziplinierung Morsis eröffnet haben könnte?­
    Zettel



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an Erling Plaethe.