24. Juli 2009

Über Klischees über rassistische Klischees. Präsident Obama und der Fall Henry Louis Gates

Raten Sie einmal, welches Thema im Augenblick auf Platz eins der Top Stories bei den amerikanischen Google News steht.

Nein, nicht das Gesundheitsprogramm des Präsidenten, das in Schwierigkeiten steckt. Nicht Afghanistan, nicht die Wirtschaftskrise. Sondern der Vorfall in Cambridge, Massachusetts.

Gut möglich, daß Sie von diesem Vorfall noch gar nichts gehört oder gelesen haben. Denn so recht scheint er noch nicht in unsere Medien gedrungen zu sein. Die USA aber bewegt er. Es gibt eine heftige, eine fast leidenschaftliche Diskussion.

Folgendes hat sich zugetragen: Am 16. Juli kehrte Henry Louis Gates kurz nach Mittag von einer Chinareise nach Cambridge, Massachussetts zurück. Sein Fahrer, ein großer, kräftiger Mann, fuhr ihn mit dem Gepäck zu seinem Haus.

Als er die Tür öffnen wollte, stellte er fest, daß sie klemmte. Es gelang ihm nicht, sie mit dem Schlüssel zu öffnen; das Schloß schien beschädigt. Er bat daraufhin seinen Fahrer, die Tür mit den Schultern einzudrücken; was diesem auch gelang, er war ja ein großer, kräftiger Mann.

Gates ging dann zum Telefon, um seinem Vermieter den Schaden zu melden. Plötzlich stand ein Polizist vor der Tür. Noch mit dem Telefon in der Hand ging Gates zu ihm und fragte, ob er ihm helfen könne. Der Polizist bat Gates, vor die Tür zu treten. Dieser weigerte sich.

Es kam zu einem Wortwechsel. Gates verlangte den Namen und die Dienstnummer des Polizisten. Andere Polizisten kamen hinzu. Gates trat dann doch vor die Tür, um Namen und Dienstnummer eines der anderen Polizisten zu verlangen.

Er verließ damit sein Haus und den Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung. Die Polizisten nahmen ihn fest und brachten ihn zur erkennungsdienstlichen Behandlung auf das Revier. Er mußte rund vier Stunden in einer Zelle verbringen, bevor er gegen 5 Uhr wieder entlassen wurde. Die Polizei entschuldigte sich für das Versehen.



Wie war es zu dem Versehen gekommen? Als Gates und sein Fahrer die Tür gewaltsam zu öffenen versuchten, waren sie von einer Passantin beobachtet worden. Diese zog den naheliegenden Schluß, daß es sich um einen Einbruchsversuch handelte, und rief unter der Notrufnummer die Polizei. Diese hatte Gates und seinen Fahrer für Einbrecher gehalten.

So weit, so gut; ich habe den Vorfall so wiedergegeben, wie Gates selbst ihn schildert. die Berichte in der Presse (zum Beispiel in der Los Angeles Times) stützten sich bisher im wesentlichen auf die Darstellung von Gates. Auf eine andere Darstellung komme ich am Ende des Artikels zurück.

Solche Irrtümer kann es geben. Warum beschäftigt nun aber dieser Vorfall seit Tagen die USA? Weil Gates ein Schwarzer ist, wie auch sein Fahrer. Weil Gates Professor in Harvard ist, und ein enger Freund von Präsident Obama.

Und weil Präsident Obama auf einer Pressekonferenz von der Journalistin der Chicago Sun-Times Lynn Sweet am vergangenen Mittwoch auf den Fall angesprochen wurde. Und weil Obama dabei sagte: "The Cambridge police acted stupidly in arresting somebody when there was already proof that they were in their own home"; die Polizei von Cambridge habe sich dumm benommen, als sie jemanden festnahm, obwohl schon bewiesen war, daß er sich in seinem eigenen Haus befand.

Gates hatte nämlich den Polizisten seinen Ausweis der Universität Harvard und seinen Führerschein gezeigt. Und er hatte während des Vorfalls nach seinen eigenen Angaben gesagt, man behandle ihn so nur wegen seiner Rasse. Für ihn war klar, warum der Polizist sich so verhielt:
Now it's clear that he had a narrative in his head: A black man was inside someone's house, probably a white person's house, and this black man had broken and entered, and this black man was me.

Es ist ja klar, daß er ein Schema im Kopf hatte: Ein Schwarzer war in einem fremden Haus, vermutlich dem Haus eines Weißen, und dieser Schwarze hatte die Tür aufgebrochen und war eingedrungen, und dieser Schwarze war ich.
Einem Weißen gegenüber, so Gates, hätte die Polizei sich nicht so verhalten.



Gates erhebt also den Vorwurf dessen, was man in den USA racial profiling nennt: Da Schwarze überproportional an Verbrechen beteiligt sind, werden Schwarze auch von Polizisten oft eher eines Verbrechens verdächtigt als Weiße. Das ist inzwischen verpönt; und die Polizisten werden eigens darin geschult, racial profiling peinlich zu vermeiden.

Der Fall hatte zunächst in den USA ein gewisses Aufsehen erregt, aber kein sehr großes. Nachdem nun aber auch der Präsident sich mit einem Kommentar eingeschaltet hatte, kochte er hoch. Und es kamen Details ans Licht, die nicht zu der These vom racial profiling passen.

Es stellte sich nämlich heraus, daß der Polizist, der die Festnahme von Gates angeordnet hatte, alles andere als ein Rassist ist. Mehr noch: Dieser Police Sergeant James Crowley ist sogar Dozent an einer Polizeischule - und lehrt dort Polizeischüler, wie sie racial profiling vermeiden. Er wurde von einem schwarzen Vorgesetzten für diese Aufgabe ausgesucht.

Crowley stellt den Vorfall auch anders dar als Gates: Dieser hätte ihn beschimpft, ihn wiederholt des Rassismus bezichtigt und "sich herabwürdigend über seine Mutter geäußert" - jeder Amerikaner weiß, welches Schimpfwort damit gemeint ist.

Die Polizeiführung von Cambridge stellt sich hinter Crowley, hat aber zugleich eine Untersuchung des Falls angeordnet.

Soeben meldete New England Cable News weitere Details:
Sgt. Crowley spoke out on WEEI radio yesterday to Dennis and Callahan. He said Gates, "was arrested after following me outside the house, continuing to tirade even after being warned multiple times - probably a few more times than the average person would have gotten."

Then his commissioner Robert Haas finally broke his silence and defended his officer. "I don't believe Sgt. Crowley acted with any racial motivation at all," said Commissioner Haas, "I believe he assessed the situation, he tried to de-escalate the situation, and made a determination that the only way to stop the situation was to make an arrest."

Crowley äußerte sich gestern bei der Radiostation WEEI gegenüber [den Moderatoren] Dennis und Callahan. Er sagte, Gates sei "festgenommen worden, nachdem er mir aus dem Haus heraus folgte und fortfuhr zu schimpfen, nachdem er wieder und wieder verwarnt worden war - vermutlich ein paarmal mehr als man das bei einem Normalbürger gemacht hätte".

Inzwischen brach sein vorgesetzter Kommissar Robert Haas doch noch sein Schweigen und verteidigte seinen Beamten: "Ich glaube nicht, daß Sergeant Crowley überhaupt aus irgendeiner rassistischen Motivation heraus handelte", sagte Kommissar Haas. "Ich glaube, daß er die Situation bewertete, daß er versuchte, die Situation zu entspannen, und daß er zu der Entscheidung kam, daß der einzige Weg, diese Situation zu beenden, die Festnahme war".



Soweit die Fakten. Mein Kommentar: Es gibt rassistische Klischees, wie sie sich im racial profiling äußern können. Aber es gibt auch Klischees über rassistische Klischees. Nicht immer, wenn ein Schwarzer von der Polizei festgenommen wird, muß diese sich rassistisch verhalten. Übrigens können Sie hier ein Foto von der Festnahme sehen; der Polizist im Vordergrund ist selbst ein Schwarzer.

Warum erregt der Fall in den USA dieses ungeheure Aufsehen? Vielleicht, weil Präsident Obama sich eingeschaltet hat; und zwar voreilig, ohne die Fakten wirklich zu kennen. Mit seiner Wahl zum Präsidenten schien das Thema Rassismus überwunden. Jetzt hat es die USA wieder eingeholt.




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