Eines Tages kamen die Machthaber in einem großen kommunistischen Staat auf die Idee, alle Ernährungsprobleme des Landes mit einem Schlag zu lösen. Die bisher angebauten Getreidesorten sollten innerhalb von zwanzig Jahren durch den umweltfreundlichen und ertragreichen Mais ersetzt werden.
In den Dokumenten des Parteitags war zu lesen: »Am Kampftag der Arbeiterklasse im Jahr 1950 werden sich alle Menschen nur noch von Mais ernähren.« Die Agitatoren der Partei wurden aufs Land geschickt und verbreiteten: »Dieser Moment wird eine gewisse Symbolkraft haben.« Der ZK-Sekretär für Agrarpolitik schrieb im Zentralorgan der Partei:
»Wenn die Arbeiter und Bauern ihren Nahrungsbedarf etwas herunterfahren, wenn der Wind weht und wenn der Himmel bei der Ernte blau ist, werden wir unser Ziel erreichen. Ein solcher Moment wird uns zeigen, dass eine nachhaltige Nahrungsversorgung ohne Roggen und Weizen in einem großen kommunistischen Land grundsätzlich möglich ist.«
Die zwanzig Jahre bis zu dem großen symbolkräftigen Moment sollten sehr hart werden. Der Anbau von Roggen und Weizen wurde schrittweise verboten. Überall wurden neue Maisfelder angelegt.
Doch die neu erschlossenen Anbaugebiete konnten nicht rechtzeitig an die Kombinate der Lebensmittelindustrie angebunden werden. In manchen Jahren verfaulte der Mais auf den Feldern. In anderen Jahren starben die Maispflanzen ab, weil es zu wenig Sonne und Regen gab. Aber die Menschen verloren niemals ihre Hoffnung auf den Maifeiertag des Jahres 1950.
Als dieser Tag mit hoher Symbolkraft näher rückte, stellten die Machthaber fest, dass der Mais weit weniger als die Hälfte der Menschen des Landes ernähren konnte. Sie verkauften tonnenweise wertvolle Bodenschätze, um mit dem Erlös im Ausland Roggen und Weizen erwerben zu können. Das Volk musste am Maifeiertag nicht hungern. Aber die Landwirtschaft hatte schweren Schaden genommen.
Wir haben heute in Deutschland keine kommunistischen Machthaber. Wir können uns aus eigener Kraft ernähren. Doch neben dem Essen ist auch die Energie lebenswichtig. Und in der Energiepolitik wird so manches Märchen aus kommunistischer Zeit wieder lebendig.
Eine Lobby-Organisation für »erneuerbare Energien« hat für den Ostersonntag 2013 ein Ereignis mit hoher Symbolkraft angekündigt. Im »Handelsblatt« konnte man am Ostersonntag lesen:
Erstmals könnte für einen Moment der gesamte Stromverbrauch Deutschlands mit Sonnen- und Windenergie gedeckt werden. Voraussetzung: Die energieintensiven Unternehmen haben ihre Produktion heruntergefahren. Außerdem muss über Deutschland ein blauer Himmel sein und möglichst viel Wind wehen.
Ausgerechnet hat das Rainer Baake, ehemaliger Staatssekretär im Bundesumweltministerium und nun Direktor der Plattform Agora Energiewende. »Bei sonnigem und windigem Wetter kann es an Pfingsten, möglicherweise aber auch schon an Ostern zum ersten Mal in Deutschland Stunden geben, an denen rechnerisch der komplette Strombedarf durch erneuerbare Energien gedeckt wird«, sagte er im Gespräch mit Handelsblatt Online. »Dieser Moment wird eine gewisse Symbolkraft haben.«
Nun sind die Voraussetzungen für diesen symbolischen Moment schon sehr großzügig gewählt: An den meisten Tagen des Jahres kann die Industrie eben nicht heruntergefahren werden. An vielen dieser Tage fehlt es auch an Sonne und Wind.
Doch wagen wir den Test: Welchen Beitrag haben die erneuerbaren Energiequellen am symbolkräftigen Ostersonntag tatsächlich zur Energieversorgung Deutschlands geleistet? Die dazu notwendigen Daten kann man bei der EEX abfragen und in einem Diagramm darstellen.
Am Ostersonntag 2013 war die Leistung aus Wind und Sonne in der Mittagszeit am höchsten, sie lag um etwa 12.00 Uhr bei knapp 10 GW. Weitere knapp 40 GW wurden in konventionellen Kraftwerken (Erzeugungseinheiten ≥ 100 MW) erzeugt. Der Enegiebedarf liegt an einem ruhigen Sonntag bei etwa 50 GW. Windräder und Photovoltaik-Anlagen haben also am Ostersonntag (etwas vereinfacht) ein Fünftel der benötigten Energie beigesteuert.
In der Tat: ein Moment mit »gewisser Symbolkraft« …»Ein solcher Moment zeigt uns, dass eine nachhaltige Stromversorgung ohne Kohle und Atom in einem großen Industrieland wie Deutschland grundsätzlich möglich ist«, sagt Oliver Krischer, energiepolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag.
Nein, das zeigte dieser Moment nicht. Da haben sich die grünen Lobbyisten wohl zu sehr auf eine optimistische Wettervorhersage verlassen. Doch selbst wenn der Anteil der aus Wind und Sonne erzeugten Energie am Ostersonntag höher gewesen wäre: Diese Aussage ist reine Propaganda und sie unterscheidet sich in ihrem Wahrheitsgehalt nicht von der Propaganda der Mais-Kommunisten.
Denn unser Land verdient seinen Wohlstand nicht an einem hohen christlichen Feiertag, an dem viele Betriebe nicht arbeiten. Die installierte Kapazität spielt überhaupt keine Rolle, solange kein Strom erzeugt wird oder der erzeugte Strom nicht zu den Verbrauchern gelangt.
Nicht alles ist neu: Die Analogie zwischen Getreide und Strom gab es in Zettels Raum schon einmal. Meister Petz schrieb damals in einem Gastbeitrag das Märchen Vom guten König, dem Weizen und dem Mais.
Nicht alles muss aufgeschrieben werden: Es gibt seit gestern einen hochinteressanten Podcast zum Thema Energie – ein Interview mit ZR-Autor Calimero.
Die Einführung einer Getreidesorte in Monokultur ist sicher keine Erfindung der russischen Kommunisten. Aber im kollektiven Gedächtnis der Russen und der DDR-Bürger lebte die Propaganda von der »Wurst am Stengel« noch lange weiter.
Und das Fazit? Wenn Sie ein Bauer sind und wenn Ihnen jemand eine allzu einfache Lösung für ein komplexes Problem anbietet, dann jagen Sie ihn vom Hof – solange Sie auf Ihrem Hof noch selbst über den Anbau des Getreides entscheiden können.
© Stefanolix. Für Kommentare bitte hier klicken.