3. April 2013

Äpfel, Birnen und Euros: ein Vergleich der deutschen Belastungen durch die EU-Krise


Eine noch unveröffentlichte Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) besagt, dass Deutschland bereits jetzt 187 Milliarden Euro auf Grund der Finanzkrise verloren hätte. Das klingt zunächst nach viel Geld. Wirklich? Um beurteilen zu können, ob 187 Mrd viel Geld ist oder nicht, muss man zunächst eine Vergleichsbasis haben. Für mich als Privatperson ist das ein hübsches Sümmchen, deutlich mehr als mein Jahresgehalt. Bezogen auf das Bruttosozialprodukt der Welt ist es minimal. Ich lade Sie ein, verschiedene Betrachtungsweisen dieser Summe mit mir durchzuspielen.

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Am Anfang der Überlegung sollten wir kurz Luft holen und uns an eine Sache erinnern: viele Politiker haben die gemeinschaftliche Haftung in der EU und die Rolle Deutschlands damit verteidigt, dass wir (also Deutschland) bisher noch keinen Pfennig für die Finanzkrise bezahlt hätten. Zumindest diese Behauptung kann man in das Reich der Mythen und Legenden verbannen. Wir haben bereits jetzt Vermögen im dreistelligen Milliardenbereich abgegeben. Alle im Folgenden genannten Zahlen sind nur ungefähre Angaben. Es geht mir nur um die Größenordnung.

Die erste Vergleichsbasis, die einen quasi anspringt, ist der Vergleich mit dem deutschen  Staatshaushalt. Der bewegt sich bei irgendwas oberhalb von 310 Milliarden Euro (genau kann man das auf Grund der Schattenhaushalte nicht sagen). Die genannten 187 Mrd € sind etwa 60% des Staatshaushalts. 
Damit ergibt sich sofort: bezogen auf den Staatshaushalt ist das viel - viel zu viel, als dass diese Summe durch Sparmaßnahmen oder Umverteilung innerhalb des deutschen Staatshaushalts gedeckt werden könnte. Der Staat allein kann diese Summe nicht stemmen. (Wobei der "Staat" letztlich doch wir allle sind.)
Nehmen wir die nächst größere Einheit: das deutsche Bruttoinlandsprodukt von irgendwas um 3,16 Billionen. Die genannten 187 Mrd € sind etwa 5% des BIP. 
Eine Verlust von etwa 5% unseres BIP wirft uns aus Wohlstandssicht ganz grob um etwa 4 Jahre zurück. Betrachtet man das Jahr 2012, dann wäre ein Verlust von 5% des BIP so, als würde man in ein Zeitloch fallen und (aus Wohlstandssicht) wieder im Jahr 2008 leben. Das klingt nicht so dramatisch. 
Aber weiter: betrachten wir das Bruttoinlandsprodukt der EU von 16 Billionen - ohne Deutschland etwa 13 Billionen. 
Die genannten 187 Mrd € sind etwa 1,5% des EU-BIP (ohne Deutschland). Und jetzt wird es langsam interessant. Ich argumentiere im Folgenden damit, dass Deutschland weder der Verursacher noch der Katalysator der Finanz- und Schuldenkrise war. In diesem Sinne sind die 187 Mrd € eine freiwillige Leistung. Und bei 1,5% des EU-BIP (ohne Deutschland) kann man überspitzt sagen: die EU hätte die von uns gespendeten 187 Mrd auch allein aufbringen können. 
Noch interessanter wird es, wenn man die Vermögen hinzunimmt, die gern unterschlagen werden. In vielen EU-Ländern werden die Staatsschulden zu Gunsten der Privatvermögen künstlich hochgetrieben. Innerhalb der EU haben wir etwa 33 Billionen Vermögen - und Deutschland ist da pro Kopf keineswegs an der Spitze. Das hochverschuldete Italien hat höhere Pro-Kopf-Vermögen als Deutschland. Selbst das völlig gescheiterte Griechenland hat noch ein Pro-Kopf-Vermögen, das etwa halb so hoch ist wie in Deutschland. Richtig arme Länder findet man auf diesem Kontinent nur in Osteuropa, zum Beispiel in den baltischen Ländern und im Balkan.

Keine Frage: Die Schulden- und Finanzkrise der EU führte bei einigen Ländern der EU zu einer desaströsen Lage der öffentlichen Haushalte und öffentlichen Institutionen. Im Vergleich dazu steht Deutschland gut da. Aber ist das die richtige Vergleichsbasis? Wenn man die EU insgesamt betrachtet, dann sieht die Sache komplexer aus. Zusammengefasst ergeben sich die Aussagen: 
  • Kann Deutschland die EU subventionieren? Ja. 
  • Könnte es nur Deutschland? Nein. Die restliche EU könnte den von Deutschland übernommenen Anteil ihrer Schulden auch ohne uns tragen. 
Es wird behauptet, auf Deutschland könnten noch weitere 500 Mrd € an Belastungen aus der EU-Krise zukommen. Aber wenn man mal Fünfe grad sein lässt, dann gilt selbst dann die obige Betrachtung. 

Bis jetzt habe ich nichts über Moral und Ethik gesagt. Ich habe nur verschiedene Vergleichsbasen angeboten. Und ich habe die Betrachtungsebene Deutschland - EU eingenommen. Eine weitere interessante Sichtweise wäre es, diese Betrachtung bis auf Länderebene zu differenzieren. Meine persönliche Vermutung ist, dass beispielsweise Italien auch ohne Deutschland oder die EU in der Lage wäre, einen soliden Wohlstand zu erarbeiten. Anders dagegen Griechenland: dieses Land hat für mich gar kein nachvollziehbares Geschäftsmodell. Diese Gesellschaft würde ohne die Daueralimentierung der EU -vor allem Deutschlands- im Wohlstandsniveau erheblich einbrechen. Und Zypern scheint mir ein ganz besonderer Fall zu sein: mein erster Eindruck ist, dass wir es dort mit einer Ökonomie zu tun haben, die schlicht gepokert - und verloren hat.

Welche Schlussfolgerungen man aus den obigen Zahlen zieht, hängt ganz erheblich von den Zielsetzungen ab. Wenn man die EU vor allem als Umverteilungsmechanismus versteht, als "Familie", dann ist die Beteiligung Deutschlands tatsächlich "alternativlos". Als Familienvater erwarte ich auch von allen Familienmitgliedern, dass sie einander helfen - selbst dann, wenn ein Mitglied selbstverschuldet Bockmist gemacht hat. Ich verstehe meine Familie tatsächlich als "Schicksalsgemeinschaft" - bis meine Kinder groß sind und auf eigenen Füßen stehen müssen. Allerdings nehme ich mir auch das Recht heraus, meine Kinder zu erziehen und ihnen damit die Mittel an die Hand zu geben, irgendwann selbstverantwortlich zu agieren. Solche Erziehungsmaßnahmen werden beispielsweise von Griechenland oder Zypern auf das heftigste abgelehnt (bis hin zu Nazi-Vergleichen). Und das mit dem "Irgendwann auf eigenen Füßen" erscheint mir auch sehr fraglich. Bei den baltischen Ländern kann man von jungen Ökonomien sprechen, die möglicherweise wirklich eine Lernphase durchlaufen müssen. Aber Griechenland? Zypern? Italien? Irland? Spanien? 
Wenn man die EU aber als Interessengemeinschaft versteht, als freiwilligen Zusammenschluss selbstständiger und gleichberechtigter Partner, dann ist die Beteiligung Deutschlands an den EU-Schulden keineswegs "alternativlos". Schon gar nicht für die Zukunft.

Frank2000


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