24. April 2013

Demagogie und Sprache in der Eurokrise

Untergehend im Getöse um den mutmaßlichen Steuerhinterzieher Uli Hoeneß und übertönt vom Jubel über "seine" Mannschaft, dem FC Bayern München, die sich offensichtlich spielerisch geweigert hat, für ihren Präsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden kollektiv Buße zu tun, findet sich gegenwärtig in den Medien eine bemerkenswerte Meldung.
 
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso fordert, so ist aktuell zu lesen, ein Ende der strikten Austeritäts- und Konsolidierungspolitik für notleidende Euro-Mitgliedsstaaten. "Genug gespart!" titelt das Handelsblatt in der Überschrift zu einem der wenigen kritischen Kommentare zur Sache.
­Spiegel online überschreibt seinen Bericht mit: EU-Kommissionschef Barroso verlangt Ende des Spardiktats. Fühlt man sich hier nicht spontan an das "Versailler Diktat", als ein den Aufstieg der Nationalsozialisten begünstigendes Moment, assoziativ erinnert? Droht uns also Furchtbares, wenn man weiter "spart"? Wobei das Wort Sparen ja hier nicht etwa im landläufigen Sinne als Anhäufen von Geldmitteln oder entsprechender Sachgüter gemeint ist. Sparen meint hier, daß  Staatsausgaben wieder etwas mehr in  die Nähe der Einnahmesituation gerückt werden; daß Staaten sich also weniger verschulden sollen.

Die Eurokrise ist Vieles, unter anderem ist sie auch ein Lehrstück sprachlich-demagogischer Kunst, sowohl der Politik als auch der Medien. Dies findet nicht nur in den großen Aussagen und Linien wie "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa" statt, sondern oft subtiler und verklausulierter.

Ein prototypisches Beispiel hierfür scheint mir ein Kommentar von Cerstin Gammelin von der Süddeutschen Zeitung zu sein. Dessen gerade einmal fünf Zeilen lange Einleitung macht dies bereits deutlich. Der Artikel ist mit "Grenzen des Sparens" überschrieben. Der assoziative Zusammenhang wird hier bereits klar. Der wohlinformierte Leser mag nun an die Grenzen des Wachstums denken, jene vom Club of Rome 1972 veröffentlichte düstere Zukunftsvision über die Welt, die freilich bis heute im wesentlichen nicht eingetreten ist. Ähnlich wie beim "Spardiktat" soll dem Leser also vermittelt werden, daß es im folgenden um existenziell Wichtiges, ja womöglich um Krieg und Frieden, gehen soll.

In der nun folgenden Einleitung heißt es:
Firmen gehen pleite, Beamte müssen eigenes Klopapier mit zur Arbeit bringen: In der Schuldenkrise alle Staaten nur zum Sparen zu zwingen, hat nicht funktioniert.
Die unfreiwillig komische Schreckensvision von Beamten, die ihr eigenes Toilettenpapier in die Amtsstube mitbringen müssen, lasse ich hier einmal beiseite. Daß, etwa in Griechenland, Firmen reihenweise pleitegehen, ist da schon ernster und entspricht den Tatsachen. Dies liegt aus Sicht der Kommentatorin aber nicht etwa an einer kaum oder nicht mehr vorhandenen Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften in den Krisenstaaten. Die entscheidende Botschaft lautet nämlich:

Alle Staaten wurden bislang nur zum Sparen gezwungen.

Solche Verabsolutierungen treffen selten die Realität, aber sie treffen mitten ins Herz des mitfühlenden Lesers. Hier hat in der Vergangenheit also eine ganz offensichtliche Gemeinheit gegenüber den ohnehin schon krisengebeutelten Staaten stattgefunden.

In Wahrheit wurde die Vergabe von Krediten  an Krisenländer mit extrem hohem Ausfallrisiko sowie Ausfallbürgschaften lediglich an Bedingungen seitens der Geberländer geknüpft, oder zu knüpfen versucht, um die Risiken für die Geberländer kalkulierbar zu halten. Also nicht alle Staaten, sondern die zu Rettenden wurden angehalten zu "sparen", d. h. ihre Ausgaben zu konsolidieren und stärker an die Einnahmen anzupassen. Andere Staaten taten dies freiwilliger und rechtzeitiger, wenn auch nicht immer in ausreichendem Maße. Die Krisenstaaten wurden ferner nicht gezwungen (wie sollten sie auch?), sondern sie hatten eine Wahl: den Austritt aus der Eurozone mit Wiedereinführung nationaler Währungen zur Wiederherstellung ihrer Wettbewerbsfähigkeit war die Alternative.

Weiter heißt es in der Einleitung:
Das gibt jetzt sogar EU-Kommissionschef Barroso zu. Er muss den Ländern nun mehr Zeit geben, um sich zu erholen.
Die Tatsache, daß es jetzt sogar Barroso zugibt soll dem Leser offensichtlich suggerieren, daß Barroso bisher als radikaler Verfechter einseitiger Austeritätspolitik, als großer Mahner zum Sparen also, in Erscheinung getreten sei. Nichts dergleichen entspricht der Wahrheit, was nicht zuletzt die Diskussion um Eurobonds gezeigt hat. Aber wenn sogar er nun zugibt, sich, so legt die Formulierung nahe, geirrt zu haben, ja wer will dann jetzt und zukünftig noch, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben, an dieser nicht funktionierenden, also gescheiterten, Konsolidierungspolitik festhalten? Nicht wahr, Herr Weidmann, nicht wahr, Frau Merkel? "Zugeben" ist eben auch etwas, das Delinquenten tun, wenn Sie einer "Tat" überführt sind.

Abschließend suggeriert die Einleitung, daß "er", also Barroso, die Möglichkeit und Macht habe, den Krisenstaaten, gleichsam im Handstreich, mehr Zeit zu geben und dies nun auch veranlassen müsse.

Es sprengte bei weitem den Rahmen dieses Beitrages zu Zettels Raum, wollte ich diese Betrachtung auf den eigentlichen Kommentar ausweiten, wenngleich der Artikel in der Süddeutschen nach solcherart Begleitung ruft. Der Kommentar ist, sinngemäß zusammengefaßt, ein Appell an das mitfühlende Herz, an die europäische Solidarität, ja, an die Menschlichkeit selbst. Wer kann einem notleidendem Staat schon diese Hilfe verweigern, es geht doch schließlich nur um "mehr Zeit"?

Daß diese Zeit für die Krisenstaaten mit viel Geld anderer Länder, mit schlechter Aussicht auf Rückzahlung, buchstäblich erkauft werden muß, erwähnen dieser und vergleichbare Artikel mit keinem Wort. Daß dieses Geld  wieder in Form von Bürgschaften und Krediten vom europäischen, und wohl insbesondere vom deutschen Steuerzahler aufgebracht werden wird, findet ebenfalls keine Erwähnung.

Womit sich der Kreis zur Diskussion um Uli Hoeneß und seiner angeblich schlimmsten Form asozialen Verhaltens schließt; der geschätzte Mitautor Meister Petz hat in seinem gestrigen Blogbeitrag bereits eindrücklich darauf hingewiesen. Vielleicht muß man beide Diskussionen, die um Steuerhinterziehung und die um das nächste Kapitel in der Eurorettung in einem vereinheitlichenden Zusammenhang sehen, den die jeweiligen Artikel, mutmaßlich absichtsvoll, nicht aufzeigen.

So oder so, die Botschaft beider Diskussionen lautet: der Staat wird auch weiterhin viel, viel Geld brauchen. Richten wir uns also darauf ein.


 
Andreas Döding


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