13. April 2013

Ein Kommentar zur gestrigen Eilentscheidung des BVerfG zur Presseakkreditierung zum NSU-Prozeß

In seiner gestrigen Eilentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht den Anträgen der Beschwerdeführer von der türkischen Zeitung Sabah teilweise stattgegeben. Es handelt sich hierbei nicht um eine Vorwegnahme der Entscheidung im Hauptsacheverfahren. Bei Eilentscheidungen ist das Gericht gehalten, eine Art Schadensabwägung vorzunehmen. In der Begründung der Entscheidung des Gerichts heißt es:
Das Bundesverfassungsgericht kann im Wege der einstweiligen Anordnung Maßnahmen treffen, die der Abwehr schwerer Nachteile in Situationen dienen, in denen eine verfassungsrechtliche Beurteilung angesichts der gebotenen Eile in der Sache nicht möglich ist. Danach sind entsprechende Maßnahmen nicht als die Durchsetzung eines endgültigen verfassungsrechtlich gebotenen Ereignisses zu verstehen, sondern als vorläufige Anordnung zur Abwehr oder Milderung von drohenden Nachteilen.
 
Die Entscheidung beinhaltet also zweierlei. Zum einen ist der Antrag der Beschwerdeführer nicht von vorneherein unbegründet oder unzulässig. Zum anderen nimmt das Gericht an, daß der Schaden, wenn man den Antrag auf einstweilige Anordnung zurückweist, er sich aber später, im Hauptsacheverfahren, als begründet herausstellen sollte, größer ist als im Falle eines zu Unrecht stattgegebenen Eilantrages. Heißt konkret: zu Unrecht drei Extrastühle für türkische Medienvertreter aufzustellen wird vom Gericht als weniger "schlimm" angesehen als die mögliche Verwehrung verfassungsmäßiger Rechte gegenüber der Presse.
 
Zur weiteren inhaltlichen Begründung schreibt das Gericht:
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Die Verfügung [zur Presseakkreditierung, Anm. d. Verf.] vom 4. März wurde am 5. März um 08:56 Uhr über den E-Mail-Verteiler des Oberlandesgerichts versandt. Sie war als Anlage an ein E-Mail-Schreiben angehängt, [...]. Aufgrund von Fehlermeldungen mussten dabei einige Adressaten des Verteilers, hierunter auch der Beschwerdeführer [...] zunächst aus dem Verteiler genommen werden, um die E-Mail versenden zu können. Der Beschwerdeführer [...] erhielt die E-Mail sodann im Anschluss um 09:15 Uhr. Ein weiterer für die Beschwerdeführerin [...] tätiger Journalist soll ausweislich einer vom Bundesverfassungsgericht eingeholten Stellungnahme des Vorsitzenden des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts München die fragliche E-Mail bereits um 08:56 Uhr erhalten haben.
 

Bereits um 08:58 Uhr gingen die ersten Anträge beim Oberlandesgericht ein. Insgesamt wurden bis 09:15 Uhr bereits 39 Akkreditierungsanträge und bis 09:36 Uhr bereits 50 Akkreditierungsanträge eingereicht, hierunter zunächst ausschließlich von deutschen Medien. Die Anträge der Beschwerdeführer gingen am Folgetag, den 6. März 2013, um 11:59 Uhr als laufende Nummern 171, 172 ein.
 
Kommentar: Die vorläufige Entscheidung des BVerfG ist wohlbegründet und berechtigt; gleichwohl verursacht sie Bauchschmerzen.

Erst vor wenigen Tagen war öffentlich geworden, daß es besagte E-Mail-Panne bei der Presseakkreditierung im Vorfeld des NSU-Prozesses gegeben hatte. Ein "Windhundrennen", bei dem der "Startschuß" nicht für alle Teilnehmer gleichermaßen hörbar war, ist ohne Zweifel problematisch. Dabei ist es unerheblich, daß der Beschwerdeführer den Antrag auf Akkreditierung ja keineswegs nur die besagte halbe Stunde zu spät versendete, sondern erst am nächsten Tag, er die Frist also ohnehin "verschlafen" hatte. Der Gleichheitsgrundsatz fordert gleiche Akkreditierungschancen für alle Medienvertreter; er besagt nicht, daß alle Medienvertreter hiervon in gleich intelligenter Weise Gebrauch machen müssen.

Dem OLG München war also ein Fehler unterlaufen, und das BVerfG hat korrigierend eingegriffen, juristisches Tagesgeschäft also.

Keinesfalls aber ist dieses Urteil als ein „Einknicken“ der Justiz unter dem enormen politisch-medialen Druck zu werten. Zweifel an der richterlichen Unabhängigkeit, sowohl gegenüber München als auch gegenüber Karlsruhe sind hier aus meiner Sicht unangebracht. Hätte das OLG München obigen Fehler selbst und von sich aus korrigiert, wäre das in der Außenwirkung sehr viel stärker als „Einknicken“ verstanden worden. Reinhard Müller vermutet in seinem Kommentar in der FAZ sogar, daß das OLG München heimlich Erleichterung ob dieser Lösung  erleben könnte, gerade weil die Unabhängigkeit der Justiz hier vorbildlich gewahrt wurde. Aber das ist natürlich Spekulation.

Und die Bauchschmerzen?

Nun, die Kommentarlage in den Medien ist, wie nicht anders zu erwarten, teilweise unappetitlich. Manch ein Journalist, Politiker oder Zentralratsfunktionär mag sich die Entscheidung des Gerichts irrtümlich auf die eigene agitatorische Fahne schreiben. Schon wird gefordert, daß Richter zukünftig „in solchen Fällen politisch denken“ sollten. Die Entscheidung des Gerichts birgt die Gefahr der politischen Instrumentalisierung.

An anderer Stelle hatte ich allerdings dafür plädiert, daß sich Gerichte in der Sache von solchen Überlegungen nicht leiten lassen sollten. Das gilt natürlich auch für Entscheidungen, deren politische Interpretationen mir persönlich im Einzelfall mißliebig sein mögen.

Dies aushalten zu müssen ist eben der Preis für einen demokratischen Rechtsstaat.


Andreas Döding


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