29. April 2013

Flatrate Ade: Wie ein (mögliches) neues Marktgleichgewicht zum Marktversagen erklärt wird


Die Ankündigung der Telekom in Zukunft eine Volumenbeschränkung in ihre Tarifverträge einzubauen und das Konzept der klassischen, reinen Flatrate aufzugeben, hat hohe Wellen geschlagen. Inzwischen erreichen diese sogar die Bundespolitik und die Regierungsparteien. Offenbar treibt die Sorge vor der Veränderung viele Menschen um und viele offenbar so sehr, dass sie sich besonders lautstark an die Politik wenden. Besonders aus einem bestimmten Milieu der Netzaktivisten, die in aller Regel wegen ihres deutlichen und lauten Auftretens als die Netzaktivisten angesehen werden, erregt sich starker Widerstand. Dieses Milieu versteht es, eine Debatte anzuheizen und in ihrem Sinne zu verschärfen.

Doch worum geht es? Was möchte die Telekom denn nun im Ganzen betrachtet ändern?
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Flatrate Ade - die Lage


In Zukunft möchte die Deutsche Telekom AG keine neuen Flatrate-Tarife ohne Volumenbeschränkung mehr anbieten. Bereits bestehende Verträge bleiben erst einmal bestehen. In wie fern sich das Beispiel der Telekom durchsetzen wird, wäre aus heutige Sicht reine Spekulation. Könnte man Marktentscheidungen und ein neues Marktgleichgewicht so gut vorhersagen, dann bräuchte man keinen Markt.

Wie sieht nun die neue Tarifstruktur aus, die voraussichtlich ab 2. Mai 2012 für Neuabschlüsse zur Verfügung stehen?

Je nach regulärer Bandbreite des Tarifes wird das Transfervolumen zur Nutzung des Anschlusses mit voller, regulärer Geschwindigkeit auf einen Höchstwert zwischen 75 und 400 GB im Monat beschränkt. Nach erreichen der Volumengrenze wird die Bandbreite auf eine Geschwindigkeit aus den Anfangstagen des DSL begrenzt:
384 kBit/s

Wer darüber hinaus Daten mit der vollen Geschwindigkeit des Volumentarifes verschicken will, der kann zusätzliches Datenvolumen dazukaufen.

Im Prinzip handelt es sich damit um einen Hybridtarif, in dem zwei Tarife vereint sind. Einmal ein Volumentarif, in dem die Nutzung auf ein von der Bandbreite des Tarifes abhängiges Inklusivvolumen beschränkt ist, nach dessen erreichen zur weiteren Nutzung Volumen nachgekauft werden kann. Zum anderen besteht es aus einer Flaterate für die Nutzung einer deutlich geringeren Bandbreite, auf die zurück gegriffen wird, wenn das erworbene Volumen verbraucht wurde.

Diese Tarifstrukturen sind aus dem Mobilfunkbereich bekannt und dort quasi, auch auf Grund der technischen Beschränkungen, Standard. Sowohl das Inklusivvolumen, als auch die gedrosselte Geschwindigkeit, sind im Mobilfunk allerdings deutlich niedriger. Die Datenrate, die als Flatrate unbeschränkt genutzt werden kann, ist im Falle der Telekom-Festnetztarife immer noch höher als durch ISDN je möglich gewesen ist. Es handelt sich so gesehen immer noch um eine DSL-Geschwindigkeit, die zu Anfang auch absolut Standard bei DSL-Verträgen war. Die Überwindung der ursprünglichen Beschränkungen gilt heute allerdings schon als Selbstverständlichkeit, weshalb Frau Bär von der CSU in der Beschränkung auf 384 kbit/s auch gleich einen Rückfall in die Modemzeit erkennt. Wie schnell und nachhaltig man sich doch innerhalb einige Jahre an die heute üblichen Größenordnungen im Mbit/s-Bereich gewöhnt hat und seine Anspruchshaltung ausweitet ist erstaunlich.

Die neuen Telekom-Tarife haben aber noch einen weiteren Aspekt: Die Nutzung des Voice-over-IP-Angebotes und des IPTV-Angebotes der Telekom ist unbeschränkt ohne Volumenobergrenze mit der vollen Bandbreite des ansonsten volumenbeschränkten Tarifes möglich. Damit verabschiedet sich die Telekom vom Konzept der Netzneutralität. Dieses verlangt all Datenpakete, unabhängig vom Absender, Empfänger oder Inhalt gleich zu behandeln. Die Kritik ist vorprogrammiert. Oder besser gesagt, die Rationalisierung und argumentative Rückzugposition der Telekom-Kritiker wird damit frei Haus geliefert.

Flatrate, Interessengruppen, Lobby, Netzneutralität - ein Kommentar

Flatrates sind Mischkalkulationen. Sie leben davon, dass nicht alle ihre Ansprüche vollständig ausnutzen. Und sie funktioniert nur solange, wie genügend Wenignutzer bereit sind die Vielnutzer quer zu subventionieren. Bisher war dies offensichtlich der Fall, zumal sich die Kosten der Flatrates im Rahmen gehalten und die (gefühlten) Vorteile ‐ wie die Flexibilität ohne Zusatzkosten doch mal spontan deutlich  mehr zu verbrauchen als üblich ‐ die Nachteile erfolgreich ausgeglichen haben. Die Kosten der Quersubventionierung stellen in diesem Fall so etwas wie eine Art Versicherung für den Fall da, selber doch mal unerwartet mehr zu benötigen als üblich.

Doch was, wenn sich diese Situation ändert? Was ist, wenn durch die Vielnutzer neue Investitionen notwendig werden, entweder weil die bisherigen Vielnutzer ihr Nutzungsverhalten noch einmal gesteigert haben oder weil die Anzahl an Vielnutzern gestiegen ist? Oder die Ansprüche an die Bandbreite steigen und ein großer Teil der Investitionskosten dabei entsteht, auch die notwendigen Kapazitäten für die Vielnutzer zu schaffen?

Die Gründe können vielfältig sein. Es mag tatsächlich so sein, dass der Engpass und damit der Großteil der notwendigen, neuen Investitionen gar nicht im Kern des Internets, den Backbones der Netzwerkbetreiber, anfallen, sondern bei der Verbindung auf dem Weg zum Endkunden. Aber handelt es sich hier tatsächlich um ein Gegenargument? Auch im örtlichen Verteilerkasten können Investitionskosten anfallen, auch auf dem Weg zum Kunden können höhere Kapazitäten notwendig werden, um die gewünschte Bandbreite auch bei der Benutzung durch heavy user gewährleisten zu können.

Insbesondere aber werden für die Internetanbieter Transit ‐ Gebühren in Abhängigkeit vom Datenvolum fällig, wenn sie Daten über fremde Netze von Transit - Povidern  zu den Netzen anderer Endkunden bei anderen Netzbetreibern weiterleiten.

Aber auch die notwendigen Kapazitäten zur Bewältigung der Spitzenlastzeiten, die ständig vorgehalten werden müssen, sind um so höher, je mehr die Nutzer die Datenverbindung zu Spitzenlastzeiten insgesamt belasten. Und jemand, der zu Spitzenlastzeiten dauerhaft seine Verbindung auslastet, der verbraucht auch mehr Volumen in diesem Zeitfenster. Es wären also auch Volumenbeschränkungen zu bestimmten Zeitfenstern denkbar. Damit wären die Kosten allerdings nicht mehr von der Tageszeit unabhängig und der Zeitpunkt eines Downloads müsste zeitlich organisiert werden.

Die Telekom hat die Einführung ihrer neuen Volumentarife und die Abschaffung der Flatrate nun mit einer Einschränkung der Netzneutralität verbunden, nicht nur für VoIP, sondern auch für ihren Multimediadienst IPTV.

Die Abschaffung der Flatrate bei der Telekom und das nun von vielen Kommentarschreibern im Internet – teilweise als Verschwörung –  befürchtete Aus für die richtige Flatrate auch bei anderen Anbietern, zumindest zu heutigen Preisen, löst den lautesten Aufschrei aus. Der eigentlich einen Aufschrei aus prinzipiellen, glaubhaft-idealistischen Gründen rechtfertigende Kritikpunkt der Aufweichung der Netzneutralität spielt nur eine untergeordnete Rolle und wird nur nebenbei ins Feld geführt.


Gut kann man dies in den Kommentaren zu der Heise-Meldung "Bandbreiten-Drossel: Telekom kappt Festnetz-Flatrates" erkennen. Die Einschränkung der Netzneutralität wird im Artikel zwar erwähnt und wird auch in den Updates zu Stellungnahmen unterschiedlicher Interessenvertretungen angesprochen, doch der Hauptaugenmerk in den Kommentaren liegt auf der Abschaffung der Flatrate.

Auch ist das "kleingedruckte" in der Petition des Schülers Malte Götz interessant:

Zudem soll auf 384kbps gedrosselt werden, eine Geschwindigkeit bei der ein Film in DVD Qualität etwa 23h laden würde!  Daher fordern wir einen sofortigen Stopp des Vorhabens!
Hier deuten sich schon die persönlichen, privaten Interessen an.
Auch in den Kommentaren auf Netzpolitik.org, in deren Artikeln hauptsächlich der Verlust der Netzneutralität beklagt wird, deren Leser sich aber eher um die höheren Kosten sorgen machen, die sie als Vielnutzer in Zukunft auch bei anderen Anbietern befürchten, wird dies deutlich.

Nun ist es natürlich vollkommen legitim seine eigenen Privatinteressen zu artikulieren und sich öffentlich zu beschweren, wenn man sie gefährdet sieht. Es ist grundsätzlich auch legitim sich deswegen zusammen zu schließen und eine Kampagne zu initiieren. Bloß sollte man dann auch dazu stehen und dies von idealistischen Kritikpunkten zu einem anderen Aspekt, nämlich den Verlust der Netzneutralität, der mit dem Wechsel von der Flatrate zum verbrauchsabhängigen Volumentarif bei diskriminierungsfrei übertragenen Datenvolumen nichts zu tun hat, trennen. Diese Privatinteressen sind nicht nur eine Begleitung, sondern offenbar die Triebfeder der großen Aufregung, die vordergründig mit der Sorge um die Netzneutralität begründet wird. Nur durch getrennte Betrachtung beider Aspekte kann aber ein nüchterner Blick auf die Interessenlage und Interessengruppen geworfen werden, um zu sehen in wessen Interesse der Protest gegen die Abschaffung der Flatrate eigentlich ist und mit welchen und wessen anderen Interessen es im Konflikt steht. Auf den Nimbus des Idealismus als angeblichen Beweggrund muss dann freilich verzichtet werden und vielleicht versucht sich sich die Interessengruppe mit der Durchmischung verschiedener Themen und Panik schürenden Kommentaren dabei vielleicht etwas größer und umfassender darzustellen, als sie ist.

Gerade unter den heise- und netzpolitik.org - Lesern dürften die heavy-user überdurchschnittlich vertreten sein. Es handelt sich dabei um Nutzer, die ein besonders hohes Datenvolumen verursachen. Laut Angaben der Telekom verursachen 3% ihrer Internetkunden 30% des Datentraffics. Es ist stark anzunehmen, dass diese 3% auch für einen stark überdurchschnittlichen Anteil der notwendigen Kapazitäten zur Bewältigung der Spitzenlast verantwortlich sind.

Da ist es dann natürlich auch nicht weit entfernt, den (möglicherweise) beginnenden Rückzug der Flatrate zum Marktversagen zu erklären, wie es Stefan Sasse auf Deliberation Daily in "Grenzen des Wettbewerbs – Die Telekom macht ernst" macht. (Herr Sasse vertritt diese Sichtweise allerdings nicht aus Eigeninteresse, sondern aus aufrichtiger Überzeugung, und sieht auch, dass die Themen Drosselung und Netzneutralität zwei unterschiedliche Aspekte sind; auch versteht er die Sorge um eine Quersubventionierung der Vielnutzer durch die Wenignutzer). Ein Marktversagen liegt hier aber vermutlich nicht vor. Wenn Herr Sasse meint
Sie verknappen künstlich ein Gut und schaffen neue Angebote, die vorher überhaupt nicht notwendig waren und es rein technisch nicht sind. Das ist, als müssten Autofahrer Maut bezahlen, sobald sie auf den Autobahnen schneller als 80 fahren wollen. Oder die linke Fahrspur benutzen. In gestaffelten Angeboten.

dann vergisst er, dass die Kosten für Autobahnen durch die gefahrene Geschwindigkeit kaum beeinflusst werden und außerdem ein langsam fahrendes Auto auch andere Autos behindert. Für höhere Bandbreiten beim Internetzugang sind jedoch höhere Investitionskosten notwendig.
Im übrigen sind solche gestaffelten Angebote im Wettbewerb absolut üblich: Es ermöglicht auch Kundenkreise mit weniger Kaufkraft anzusprechen, gleichzeitig aber mit kaufkräftigeren Kunden einen höheren Umsatz zu erzielen. Wäre dies unzulässig, dann gäbe es nur ein Einheitsangebot, das teurer wäre als das billigste Angebot von heute. Definitiv kein Fortschritt. Und wer mehr Leistung will, zum Beispiel eine höhere Datenübertragungsrate, der soll auch für die Investitionen stärker zur Kasse gebeten werden als jemand, der dies nicht tut. An der Notwendigkeit neuer Investitionen wird auch die keineswegs künstliche Knappheit deutlich, denn der Netzausbau verbraucht natürlich limitierte Ressourcen, deren Kosten durch den wirtschaftlichen Nutzen wieder eingebracht werden müssen. Nach Tätigung dieser Investitionen muss der Investor also mehr Einnahmen erzielen als ohne die Investitionen. Letzteres bedeutet natürlich  nicht unbedingt mehr Einnahmen als zuvor, wenn durch eine Vernachlässigung der Infrastruktur Einbußen drohen, zumindest aber die Investitionskosten selber müssen wieder eingespielt werden.

Mal ganz davon abgesehen, dass noch überhaupt nicht feststeht, wie das neue Marktgleichgewicht unter den veränderten Ansprüchen und Nutzungsverhalten aussehen wird:

Mit der Frage nach der Netzneutralität hat dies erst einmal nichts zu tun und hätte die Telekom ihren Vorstoß in Sachen Volumentarif nicht mit einigen kritischen Ausnahmeregelungen verbunden, dann wäre die Wahrnehmung des Proteststurms durch die Medien und die Politik und auch die Unterstützung des Widerstandes durch netzpolitik.org und Interessenverbände, die hauptsächlich Vielnutzer vertreten, eine ganz andere. So aber kann als Reaktion auf die obigen Einwände immer noch das Ausweichargument der Gefährdung der Netzneutralität vorgebracht werden.

Bei der Netzneutralität geht es aber um die Vermischung zweier unterschiedlicher Dienstleistungen, der Übertragung von Daten und ihrem Inhalt. Die Marktposition bei der einen Dienstleistung soll zur Bevorzugung bestimmte Inhaltsangebote genutzt werden. Dies kann eventuell einen Missbrauch von Marktmacht darstellen und ist etwas grundsätzlich anderes als die Frage der Abrechnung nach Datenvolumen (unabhängig vom Inhalt). Außerdem stellen sich schnell Probleme in Bezug auf DPI und dem dadurch tangierten Telekommunikationsgeheimnis. Die Post muss schließlich auch einen neutralen Transport anbieten, unabhängig vom Inhalt des Postsendungen, bei denen ein Blick in die Postsendungen unzulässig ist und das Porto nur von Größe, Form und Transportdauer abhängt.

Das die Netzneutralität in Deutschland nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, hilft natürlich bei der Verwischung dieser zwei Themenkomplexe. Man sollte im Hinterkopf behalten, dass der durchschnittliche Netzaktivist eher heavy user ist und daher auch seine eigenen Interessen verfolgt. Da ist man genauso wenig uneigennütziger, idealistischer Kämpfer wie die alten Staatsmonopolisten oder ihre Konkurrenten. Das kaufe ich gerne bei der Frage der Netzneutralität ab. Bei der Verklärung der Flatrate zum einzig fairen und akzeptablen Preismodell nicht.


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