20. November 2009

Marginalie: Die Verfolgung des Arbeitslosen Ramón Velásquez Toranzo. Über den Alltag in Cuba. Nebst einer Bemerkung über die Partei "Die Linke"

Vorgestern, am 18. November, veröffentlichte Human Rights Watch seinen neuen Bericht über die Lage der Menschenrechte in Cuba. Die Zusammenfassung auf Deutsch können Sie hier lesen. Das Fazit lautet:
Raúl Castro hat Kubas Unterdrückungsapparat voll aufrechterhalten, anstatt ihn aufzulösen.

Der 123-seitige Bericht "New Castro, Same Cuba" zeigt, dass die Regierung Raúl Castro zunehmend auf den Straftatbestand der "Gefährlichkeit" zurückgreift. Dieser erlaubt es den Behörden, Personen zu verhaften, bevor sie überhaupt eine Straftat begangen haben. Es genügt der Verdacht, dass sie voraussichtlich in Zukunft ein Verbrechen begehen werden. Dieser Straftatbestand ist offenkundig politisch begründet, da jegliches Verhalten, das Kubas sozialistischen Normen widerspricht, als "gefährlich" eingestuft wird.
Der ganze Bericht ist auf Englisch hier verfügbar. Statt ihn zu referieren, möchte ich am Beispiel eines Einzelschicksals, das als eines von mehreren in dem Bericht dokumentiert wird, zeigen, was es bedeutet, heute in Cuba zu leben.



Ramón Velásquez Toranzo ist ein cubanischer Menschenrechtler. Am 10. Dezember 2006 - dem Internationalen Tag der Menschenrechte - brach er mit seiner Frau und ihrer achtzehnjärigen Tochter Rufina zu einem Marsch durch Cuba auf; er sollte über die ganze Länge der Insel gehen, von Ost nach West. Jeder der drei trug ein Plakat. Darauf stand auf Spanisch "Anerkennung der Menschenrechte", "Freiheit für politische Gefangene" und "Keine Unterdrückung der friedlichen Opposition".

Sie marschierten stumm. Nachts schliefen sie neben der Straße, manchmal bei Freunden.

Nach einigen Tagen hatten die Sicherheitskräfte sie entdeckt. In der Nähe der Stadt Holguín wurden sie von Mitgliedern der "Schnellen Eingreifbrigade" gestellt und beschimpft. Man drohte, Bárbara and Rufina zu vergewaltigen. Es war auch Polizei anwesend, die nichts tat.

In Holguín wurde die Familie festgenommen. Velásquez wurde in ein Gefängnis gesteckt; seine Frau und seine Tochter wurden gewaltsam in ihre Wohnung in Las Tunas zurückgebracht.

Nach vier Tagen ließ man Velásquez frei. Die Familie traf sich wieder und setzte ihren Marsch fort. Zweimal versuchte man, sie mit einem Auto zu überfahren. Sie mieden daraufhin die Straßen. Sie wurden weiter von Angehörigen der Sicherheitskräfte verfolgt und beschimpft.

Am 19. Januar 2007 erreichten sie Camagüey. Dort wurden sie erneut verhaftet. Velásquez wurde vier Tage festgehalten und dann vor Gericht gestellt. Die Anklage lautete auf Arbeitslosigkeit. Arbeitslos zu sein ist in Cuba unter Strafe gestellt.

Fünf Minuten vor Beginn des Prozesses lernte er seine Verteidigerin kennen. Sie verteidigte ihn zunächst energisch. Dann ordnete das Gericht eine Verhandlungspause an und verlangte ein Gespräch mit der Anwältin. Als das Verfahren wieder aufgenommen wurde, war sie weiter anwesend, sagte aber bis zum Ende des Verfahrens kein Wort mehr.

Nach einer Verhandlungsdauer von weniger als einer Stunde wurde Velásquez zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Er wurde in eine Haftanstalt verlegt, bis auf die Unterwäsche ausgezogen und in eine winzige Einzelzelle ohne Bett verbracht.

Dort befindet er sich noch immer. Er schläft auf dem Betonboden, der bei Regen von Wasser überflutet wird. Die Verpflegung ist erbärmlich. Als seine Familie versuchte, ihm Essen zu bringen, wurde dieses mehrfach vor die Zelle gestellt, bis es verdorben war.

Seine Frau leidet jetzt unter einer schweren Depression. Sein Sohn René verlor seinen Arbeitsplatz. Seine Tochter Rufina setzte die Arbeit für die Menschenrechte fort. Ihr wurde mehrfach gedroht, daß sie das Schicksal ihres Vaters erleiden werde. Inzwischen ist ihr die Flucht in die USA gelungen.

Der Bericht schildert eine Reihe ähnlicher Schicksale, die verdeutlichen, wie es sich heute im real existierenden Sozialismus Cubas lebt.

Von den "Reformen", die von Raúl Castros Amtsübernahme erhofft worden waren, ist nichts zu bemerken.

Im Gegenteil: Politischen Gefangenen geht es noch genauso jämmerlich wie unter Fidel Castro; ich habe über die Zustände in cubanischen Gefängnissen im Januar 2007 ausführlich berichtet (Über die Haftbedingungen in Guantánamo; ZR vom 27. Januar 2007). Und auch der Normalbevölkerung geht es eher noch schlechter als unter dem Comandante en Jefe; siehe In Cuba wurden die Essensrationen in den Kantinen halbiert; ZR vom 17. 8. 2009.



Wer interessiert sich bei uns für diese Verhältnisse? Kaum jemand. Der kranke Fidel Castro hatte, als er noch der Staatschef war, das Land Cuba vorübergehend ins Interesse der Medien hinein katapultiert. Seit sein bleicher Bruder Raúl regiert, beachtet man in Deutschland die dortigen Verhältnisse ungefähr so intensiv wie diejenigen in Burkina Faso.

Ausgenommen allerdings die Freunde des sozialistischen Cuba, die in der Arbeitsgemeinschaft "Cuba Sí" beim Parteivorstand der Partei "Die Linke" zusammengeschlossen sind. Der Sitz dieser AG ist das Karl- Liebknecht- Haus, in dem auch der Parteivorstand selbst residiert. In den Politisch- organisatorischen Grundsätzen der AG heißt es in Paragraph 19:
Neben der Zusammenarbeit mit ACPA [der cubanischen Vereinigung für Tierproduktion; Anmerkung von Zettel] hält der Cuba Sí- Koordinierungsrat partnerschaftliche Kontakte zu folgenden kubanischen Organisationen und Einrichtungen: Kommunistische Partei Kubas (PCC), Kubanisches Institut für Völkerfreundschaft (ICAP), Zentrale der Gewerkschaften Kubas (CTC), Pionierorganisation "José Martí" (OPJM), Zeitschrift "Bohemia", Kubanische Kammer des Buches (CCL), Kulturprojekt "almendares vivo" u.a.m.
Aber natürlich stehen sie auf dem Boden des Grundgesetzes, die deutschen Kommunisten.



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