13. November 2009

Marginalie: "Das hat es in der Weltgeschichte noch nicht gegeben". Helmut Schmidt über die Kanzlerin und die Krise

Die Kurzinterviews von "Zeit"- Chefreakteur Giovanni di Lorenzo mit Helmut Schmidt unter dem Titel "Auf eine Zigarette", abgedruckt im "Zeit- Magazin", gehörten zum Lesenswertesten in der "Zeit". Sie standen ganz am Ende; ich begann also das Heft von hinten zu lesen, noch bevor ich mich in das Kreuzworträtsel vertiefte.

Jetzt gibt es eine Fortsetzung in einem anderen Format: Seltenere, aber dafür ausführlichere Gespräche in derselben personellen Besetzung. Die anstößige Zigarette ist auch aus dem Titel verschwunden. Jetzt heißt es "Verstehen Sie das, Herr Schmidt?".

In dieser Woche nimmt Schmidt unter anderem zur Leistung der Kanzlerin Stellung:
In einem Punkt muss ich sie ausdrücklich loben, ich tue das gerne noch mal, weil mir das wichtig ist: Dank ihres Zusammenspiels mit Herrn Steinbrück waren die Deutschen wesentlich daran beteiligt, dass im Herbst des Jahres 2008, als wir unmittelbar vor dem Absturz in eine Weltdepression mit weltweit 150 Millionen Arbeitslosen standen, alle vernünftig reagiert haben. Nicht bloß die Europäer und die Nordamerikaner, sondern auch die Chinesen, die Russen, auch die Japaner und Inder. Dergestalt wurde die Weltdepression vermieden. Das hat es in der ganzen Weltgeschichte noch nicht gegeben.
Das Gespräch ist wie fast alles, was Helmut Schmidt sagt und schreibt, unbedingt lesenswert. Wenn jemand die Bezeichnung Elder Statesman verdient, dann er.

Ich habe dieses Zitat aus dem Text herausgegriffen, weil Schmidt etwas eigentlich Offensichtliches sagt, das aber von vielen auch politisch interessierten Menschen meinem Eindruck nach immer noch nicht begriffen wird: Vor einem Jahr war eine Wiederholung der Weltwirtschaftskrise durchaus wahrscheinlich. Daß sie vermieden werden konnte, ist wesentlich der deutschen Kanzlerin zu verdanken, die in der Krise einen kühlen Kopf bewahrt hat wie kaum einer ihrer Kollegen weltweit.

Das sehr große Ansehen, das gerade jetzt wieder bei ihrem Besuch in den USA deutlich geworden ist, hat die Kanzlerin sich nicht zuletzt in dieser Krise erworben.

Man sollte schon deshalb ernst nehmen, was sie in den letzten Wochen immer wieder gesagt hat: Daß die Krise noch lange nicht ausgestanden ist; daß es schlechter werden wird, bevor es besser wird; und vor allem, daß nur eine bessere Ordnungspolitik eine Wiederholung verhindern kann.

Übrigens erteilt Schmidt der Kanzlerin auch noch eine Gesamtnote: Sie habe "das Amt eines Bundeskanzlers zweifellos sehr ordentlich ausgefüllt". Für einen Hanseaten, noch dazu für den Meister des Understatements Helmut Schmidt, ist ein "sehr ordentlich" so ungefähr das größte zu vergebende Lob.



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