22. November 2009

Terroristen, Verbrecher, Kombattanten. Der Prozeß gegen Khalid Sheikh Mohammed und andere könnte zu einem Fiasko für die USA werden

Gestern vor einer Woche hat der amerikanische Justizminister Eric Holder mitgeteilt, daß fünf bisher im Lager von Guantánamo Bay inhaftierte Terroristen, die für die Anschläge des 11. September verantwortlich gemacht werden, vor ein ordentliches amerikanisches Gericht gestellt werden sollen; und zwar in New York. Eine Entscheidung, die verschiedene Aspekte hat, darunter das Risiko eines Anschlags während des Prozesses.

Über einen anderen Aspekt berichtet heute "Spiegel- Online" in einer Vorabmeldung zum "Spiegel" der kommenden Woche. Danach will die Bundesregierung Prozeßbeobachter nach New York schicken, um sicherzustellen, daß "mögliche Todesurteile nicht auf deutschen Beweismitteln beruhen".

Auf einen dritten Aspekt will ich aufmerksam machen: Ist es überhaupt angemessen, solche Terroristen durch ein ordentliches Gericht aburteilen zu lassen?



Als Guantánamo noch das Problem von George W. Bush und nicht das von Barack Obama war, konnte man oft die folgenden beiden Auffassungen hören: Die USA hielten sich, was die Behandlung der dortigen Gefangenen anging, nicht an die Genfer Konvention. Und: Die Gefangenen sollten statt vor Militärgerichte vor ein ordentliches Gericht in den USA gestellt werden.

Oft wurden diese beiden Auffassungen von derselben Person, demselben Autor vertreten.

Das ist seltsam, denn sie schließen einander aus. Vor ein ordentliches Gericht werden Straftäter gestellt. Für Straftäter gilt aber nicht die Genfer Konvention. Diese gilt ausschließlich für Kombattanten. Diesen aber wird das Töten von Feinden nicht als Straftat zugerechnet. Auch nicht das von feindlichen Zivilisten; sonst hätte nach dem Zweiten Weltkrieg der britische General Harris samt der Führung der britischen und der amerikanischen Luftwaffe vor Gericht gestellt werden müssen.

Was also sind Terroristen? Straftäter wie jeder andere Mörder auch? Oder feindliche Kämpfer, die nach den Regeln des Kriegsrechts zu behandeln sind?

Das Problem ist, daß niemand das weiß. Oder genauer gesagt: Es ist bisher nicht völkerrechtlich geklärt. Der Terrorismus und asymmetrische Kriege sind Erscheinungen, die vom bisherigen internationalen Recht nicht zureichend erfaßt werden. Darauf hat jetzt bei Stratfor George Friedman in einem längeren Artikel aufmerksam gemacht. Auf ihn stütze ich mich im folgenden.



Erstens: Sind die in Guantánamo einsitzenden Terroristen Kriegsgefangene, für welche die Genfer Konvention gilt?

Den Schutz der Genfer Konvention genießen nur Kombattanten, die sich als solche ausweisen. In früheren Fassungen der Genfer Konvention wurde dafür das Tragen einer Uniform verlangt. Nach der jetzt gültigen Fassung von 1949 genügt es, daß die Betreffenden Abzeichen oder Armbinden tragen oder sich durch das offene Tragen von Kriegswaffen als Kombattanten zu erkennen geben.

Auf die Attentäter des 11. September und ihre Hintermänner und Auftraggeber trifft das offenkundig nicht zu. Sie sind keine Kombattanten. Insofern ist die Entscheidung von Präsident Obama, Khalid Sheikh Mohammed und seine Komplicen vor ein ordentliches Gericht zu stellen, nachvollziehbar.

Aber - Punkt zwei - wie wird dieses Verfahren ablaufen und ausgehen? Friedman weist auf einige bedenkliche Konsequenzen von Obamas Entscheidung hin.

Mohammed und seine Mitangeklagten wurden nicht von amerikanischer Polizei in den USA festgenommen, sondern von Soldaten oder Agenten außerhalb der USA. Sie befanden sich jetzt sieben Jahre lang nicht in einem Gefängnis, sondern in einem Militärlager. Die Öffentliche Meinung hat sie längst vorverurteilt.

Die Verteidigung wird jede Menge Verfahrensverstöße daran festmachen können, ganz abgesehen von möglicher Folter. Wurden die Angeklagten wie vorgeschrieben über ihr Recht zu schweigen belehrt? Wurden die Beweismittel so gesichert, wie es das amerikanische Recht vorschreibt?

Es besteht, schreibt Friedman, die reale Möglichkeit, daß die Angeklagten freigesprochen werden oder daß das Verfahren wegen rechtlicher Mängel abgebrochen werden muß. Auch wenn die Schuld der Angeklagten offen zutage liegt - Mohammed hat schon 2003 gestanden. Auch O.J. Simpson wurde von einer Jury freigesprochen, obwohl erdrückende Beweise gegen ihn vorlagen.

Das wäre ein außenpolitisches Fiasko für die USA. Präsident Obama und Justizminister Holder sind mit der Entscheidung, die Fünf vor ein reguläres Gericht zu stellen, ein unkalkulierbares Risiko eingegangen.

Ja, aber haben sie damit denn nicht nur das gemacht, was Präsident Bush versäumt hat, nämlich sich strikt an Recht und Gesetz zu halten?

Nein, schreibt Friedman, und ich schließe mich seiner Auffassung an: Mohammed und seine Kumpane sind ebensowenig normale Straftäter, wie sie normale Kriegsgefangene sind. Sie sind keine normalen Straftäter, weil sie einen Krieg gegen die USA führen. Sie sind keine normalen Kriegsgefangenen, weil sie diesen Krieg mit Mitteln führen, die bisher vom Völkerrecht nicht erfaßt werden.

Und als meine Meinung, nicht die von Friedman, füge ich hinzu: Wieder einmal hat der vielgeschmähte Präsident Bush vernünftiger und mehr im Interesse der USA gehandelt als sein Nachfolger.

Solange das Phänomen des asymmetrischen Kriegs vom Völkerrecht nicht abgedeckt wird, ist der Status der Terroristen am ehesten dem von Partisanen vergleichbar. Diese wurden von Militärgerichten abgeurteilt. So hatte es Präsident Bush auch für die in Guantánamo Einsitzenden vorgesehen. Allerdings nicht im Verfahren des Standgerichts, wie früher meist üblich, sondern in einem ordentlichen militärgerichtlichen Prozeß. Es war die beste juristische Antwort auf eine unbefriedigende rechtliche Situation gewesen.

Obama und Holder meinen es besser zu wissen. Noch einmal Friedman:
Holder has opened up an extraordinarily complex can of worms with this decision. As U.S. attorney general, he has committed himself to proving Mohammed's guilt beyond a reasonable doubt while guaranteeing that his constitutional rights (for a non-U.S. citizen captured and held outside the United States under extraordinary circumstances by individuals not trained as law enforcement personnel, no less) are protected. It is Holder's duty to ensure Mohammed's prosecution, conviction and fair treatment under the law. It is hard to see how he can.

Mit seiner Entscheidung hat Holder in ein Wespennest von ungewöhnlicher Komplexität gestochen. Als amerikanischer Justizminister hat er sich darauf festgelegt, die Schuld von Mohammed jenseits jeden vernünftigen Zweifels zu beweisen und dabei dessen verfassungsmäßige Rechte zu garantieren (die eines Nicht- Bürgers der Vereinigten Staaten, der unter außergewöhnlichen Umständen außerhalb der USA von Personen festgenommen und gefangen gehalten wurde, die keine Schulung als Polizeibeamte hatten - nicht weniger als das). Es ist Holders Pflicht, die Anklage, Verurteilung und rechtmäßige Behandlung von Mohammed zu zu erreichen. Es ist schwer zu erkennen, wie er das kann.
Man hat den Eindruck, als hätte Präsident Obama von Mißerfolgen noch nicht genug; als würde er diese nachgerade planmäßig auf sich und sein Land ziehen wollen.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: NSF. Als Werk der US-Regierung in der Public Domain.