Nicht 120 Euro kostet sie, nicht hundertneunzehn Euro neunundneunzig - nein, nicht mehr als € 119,95 sind zu entrichten für die "Zeit"-Leseredition "Unsere Klassiker".
Solche Reihen mit Sonderausgaben produzieren seit etlichen Jahren manche Zeitschriften- Verlage. Die letzten Exemplare der "SZ-Bibliothek" werden gerade von Zweitausendeins verramscht.
Die Redaktion der "Zeit" - oder vielleicht doch eher die Geschäftsleitung - hatte die Idee, über die Zusammensetzung einer solchen Reihe einfach die Leser entscheiden zu lassen.
Wie das funktionierte, hat im Juni das Börsenblatt des deutschen Buchhandels beschrieben.
Die Redaktion hatte die deutsche Literatur hübsch säuberlich in Epochen eingeteilt, von "Aufklärung, Sturm und Drang sowie aus der Weimarer Klassik" bis zu "Moderne, Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur".
In einer Woche stand jeweils solch eine Epoche zur Abstimmung. Wer abstimmte, konnte bis zu fünf Werken nennen. Am Ende sollte die Edition zwanzig Werke umfassen; sozusagen die absoluten Klassiker aus der Sicht jener gebildeten Schicht, die erstens die "Zeit" liest und zweitens auch das eine oder andere gute Buch. Das Ideale also für den Gabentisch des Gebildeten.
Und was ist herausgekommen?
Herausgekommen ist erstens, daß natürlich diejenigen Autoren vertreten sind, von denen jeder Klippschüler weiß, daß sie Klassiker sind. Also Lessing, Goethe, Schiller, Kleist usw. bis Thomas Mann, Max Frisch und Günter Grass.
Soweit ist das nicht zu beanstanden; und es wäre schon seltsam gewesen, wenn diese Autoren gefehlt hätten.
Zweitens aber scheinen die Leser der "Zeit" ein nachgerade untrügliches Gespür dafür zu haben, ein schwaches Werk des jeweiligen Autors auszuwählen.
Nicht bei Goethe; von dem gibt es nichts Schwaches. Als Einziger ist er mit gleich zwei Werken in der Edition; mit dem "Werther" und dem "Faust". Recht so.
Aber Lessing ist ausgerechnet mit dem faden "Nathan der Weise" vertreten; so als gäbe es keine "Emilia Galotti", keine "Minna von Barnhelm" und vor allem nicht Lessings aufklärende Prosa.
Von Schiller haben die Leser der "Zeit" die Räuberpistole "Die Räuber" ausgesucht, diesen Comic auf den Brettern. So als hätte der erwachsen gewordene Schiller nicht raffiniert- doppelbödige Dramen gechrieben wie den "Don Karlos" und die Wallenstein- Trilogie.
Thomas Mann ist mit den "Buddenbrooks" dabei und nicht etwa mit dem "Zauberberg" oder dem "Doktor Faustus", seinen beiden Meisterwerken.
Nietzsche, der Glänzendes von unerbittlicher Klarheit geschrieben hat wie die "Unzeitgemäßen Betrachtungen", "Menschliches, Allzumenschliches" und die "Fröhliche Wissenschaft", findet sich in der Edition mit seinem mißglückten Ausflug ins Raunende vertreten, dem "Zarathustra". Warum nicht dann gleich "Der Wille zur Macht"?
Heine, dessen Stärke nun wahrlich nicht das Politische war, sondern zarte, sensible und gebrochene Lyrik, ist ausgerechnet mit "Deutschland, ein Wintermärchen" aufgenommen worden; mit diesem Werk voll holpriger Verse und unsauberer Reime.
Und so fort. Es ist, als ob die "Zeit"-Leser, die sich an dieser Abstimmung beteiligten, das jeweils banalste, das unreifste, das plakativste Werk des betreffenden Klassikers besonders in ihr Herz geschlossen hätten.
Aber nun gut. De gustibus non disputandum. Wie sieht es denn unterhalb der Ebene von Goetheschillerkleist aus; dort also, wo man sich überlegen muß, wen man als einen Klassiker gelten lassen will und wen nicht?
Seltsam sieht es aus bei den abstimmenden Lesern der "Zeit"; vielleicht sollte man sagen: absurd.
Karl Philipp Moritz fehlt. Jean Paul fehlt. Wieland fehlt. Die Romantiker werden von Eichendorff repräsentiert, und nicht etwa von Brentano, Tieck oder dem genialen E.T.A. Hoffmann.
Von den drei Berliner Freunden im Umkreis des "Tunnels über der Spree" ist just der größte Meister der deutschen Sprache im 19. Jahrhundert, Gottfried Keller, nicht vertreten. Storm mit dem "Schimmelreiter"; gewiß keinem großen Wurf. Fontane, der so Bedeutendes geschrieben hat wie "Vor dem Sturm" und "Der Stechlin", mit "Effi Briest".
Noch desolater wird es im 20. Jahrhundert. Kafka immerhin ist dabei; wenn auch "Das Schloß" sicher eher Anspruch auf den Rang eines Klassikers hätte als "Der Prozeß", für den sich die Leser der "Zeit" entschieden haben. Aber nicht aufgenommen haben sie Robert Walser, Ernst Jünger, Robert Musil, Alfred Döblin, Gottfried Benn, Bert Brecht, Hermann Hesse, Wolfgang Koeppen, Arno Schmidt, Martin Walser.
Sie wenden ein, lieber Leser, daß man bei einem Limit von zwanzig Werken halt extrem selektiv sein muß? Dann erklären Sie mir bitte, warum Annette von Droste- Hülshoff dabei ist, aber nicht Gottfried Keller. Warum Heinrich Mann als ein Klassiker angesehen wird, aber nicht Robert Musil, Ernst Jünger, Hermannn Hesse und Gottfried Benn. Warum Sophie de la Roche das 18. Jahrhundert repräsentieren darf, aber nicht Karl Philipp Moritz.
Es wird Ihnen, fürchte ich, schwer fallen, das zu erklären.
Es sei denn, Sie schließen sich meinem Erklärungsmuster an.
Mir will nämlich scheinen, daß dieser virtuelle Gesamtbürger, den die Aktion der "Zeit" ansprechen sollte, ein bornierter Gutmensch ist.
Er sucht sich von den unangefochtenen Klassikern diejenigen Werke aus, die eine einfach zu begreifende und in Zweifelsfall linke - oder irgendwie "aus dem Bauch heraus" progressive - Botschaft enthalten; oder die man jedenfalls so deuten kann:
Also ist da erstens die Frauenquote. Sie hat Sophie de la Roche nach oben gehoben; ebenso die Droste.
Zweitens darf niemand vorkommen, der sich dem Verdacht ausgesetzt haben könnte, konservativ zu sein. Also fehlen Jean Paul, Wieland, der Katholik Brentano, der vom Revoluzzer zum Konservativen gewordene Gottfried Keller.
Also haben natürlich Ernst Jünger, Gottfried Benn, Wolfgang Koeppen und Arno Schmidt keine Chance bei unseren Gutmenschen, den Vertretern des Bildungsbürgertums.
Denn das ist es ja. Man stellt sich das Bildungsbürgertum gern immer noch als diejenigen vor, die Latein gelernt haben und die vielleicht gar die Illias im Original lesen können. Längst aber sind es Leute, deren prägendes Bildungserlebnis die Einsicht war, daß "doch alles irgendwie politisch" ist.
Solche Reihen mit Sonderausgaben produzieren seit etlichen Jahren manche Zeitschriften- Verlage. Die letzten Exemplare der "SZ-Bibliothek" werden gerade von Zweitausendeins verramscht.
Die Redaktion der "Zeit" - oder vielleicht doch eher die Geschäftsleitung - hatte die Idee, über die Zusammensetzung einer solchen Reihe einfach die Leser entscheiden zu lassen.
Wie das funktionierte, hat im Juni das Börsenblatt des deutschen Buchhandels beschrieben.
Die Redaktion hatte die deutsche Literatur hübsch säuberlich in Epochen eingeteilt, von "Aufklärung, Sturm und Drang sowie aus der Weimarer Klassik" bis zu "Moderne, Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur".
In einer Woche stand jeweils solch eine Epoche zur Abstimmung. Wer abstimmte, konnte bis zu fünf Werken nennen. Am Ende sollte die Edition zwanzig Werke umfassen; sozusagen die absoluten Klassiker aus der Sicht jener gebildeten Schicht, die erstens die "Zeit" liest und zweitens auch das eine oder andere gute Buch. Das Ideale also für den Gabentisch des Gebildeten.
Und was ist herausgekommen?
Herausgekommen ist erstens, daß natürlich diejenigen Autoren vertreten sind, von denen jeder Klippschüler weiß, daß sie Klassiker sind. Also Lessing, Goethe, Schiller, Kleist usw. bis Thomas Mann, Max Frisch und Günter Grass.
Soweit ist das nicht zu beanstanden; und es wäre schon seltsam gewesen, wenn diese Autoren gefehlt hätten.
Zweitens aber scheinen die Leser der "Zeit" ein nachgerade untrügliches Gespür dafür zu haben, ein schwaches Werk des jeweiligen Autors auszuwählen.
Nicht bei Goethe; von dem gibt es nichts Schwaches. Als Einziger ist er mit gleich zwei Werken in der Edition; mit dem "Werther" und dem "Faust". Recht so.
Aber Lessing ist ausgerechnet mit dem faden "Nathan der Weise" vertreten; so als gäbe es keine "Emilia Galotti", keine "Minna von Barnhelm" und vor allem nicht Lessings aufklärende Prosa.
Von Schiller haben die Leser der "Zeit" die Räuberpistole "Die Räuber" ausgesucht, diesen Comic auf den Brettern. So als hätte der erwachsen gewordene Schiller nicht raffiniert- doppelbödige Dramen gechrieben wie den "Don Karlos" und die Wallenstein- Trilogie.
Thomas Mann ist mit den "Buddenbrooks" dabei und nicht etwa mit dem "Zauberberg" oder dem "Doktor Faustus", seinen beiden Meisterwerken.
Nietzsche, der Glänzendes von unerbittlicher Klarheit geschrieben hat wie die "Unzeitgemäßen Betrachtungen", "Menschliches, Allzumenschliches" und die "Fröhliche Wissenschaft", findet sich in der Edition mit seinem mißglückten Ausflug ins Raunende vertreten, dem "Zarathustra". Warum nicht dann gleich "Der Wille zur Macht"?
Heine, dessen Stärke nun wahrlich nicht das Politische war, sondern zarte, sensible und gebrochene Lyrik, ist ausgerechnet mit "Deutschland, ein Wintermärchen" aufgenommen worden; mit diesem Werk voll holpriger Verse und unsauberer Reime.
Und so fort. Es ist, als ob die "Zeit"-Leser, die sich an dieser Abstimmung beteiligten, das jeweils banalste, das unreifste, das plakativste Werk des betreffenden Klassikers besonders in ihr Herz geschlossen hätten.
Aber nun gut. De gustibus non disputandum. Wie sieht es denn unterhalb der Ebene von Goetheschillerkleist aus; dort also, wo man sich überlegen muß, wen man als einen Klassiker gelten lassen will und wen nicht?
Seltsam sieht es aus bei den abstimmenden Lesern der "Zeit"; vielleicht sollte man sagen: absurd.
Karl Philipp Moritz fehlt. Jean Paul fehlt. Wieland fehlt. Die Romantiker werden von Eichendorff repräsentiert, und nicht etwa von Brentano, Tieck oder dem genialen E.T.A. Hoffmann.
Von den drei Berliner Freunden im Umkreis des "Tunnels über der Spree" ist just der größte Meister der deutschen Sprache im 19. Jahrhundert, Gottfried Keller, nicht vertreten. Storm mit dem "Schimmelreiter"; gewiß keinem großen Wurf. Fontane, der so Bedeutendes geschrieben hat wie "Vor dem Sturm" und "Der Stechlin", mit "Effi Briest".
Noch desolater wird es im 20. Jahrhundert. Kafka immerhin ist dabei; wenn auch "Das Schloß" sicher eher Anspruch auf den Rang eines Klassikers hätte als "Der Prozeß", für den sich die Leser der "Zeit" entschieden haben. Aber nicht aufgenommen haben sie Robert Walser, Ernst Jünger, Robert Musil, Alfred Döblin, Gottfried Benn, Bert Brecht, Hermann Hesse, Wolfgang Koeppen, Arno Schmidt, Martin Walser.
Sie wenden ein, lieber Leser, daß man bei einem Limit von zwanzig Werken halt extrem selektiv sein muß? Dann erklären Sie mir bitte, warum Annette von Droste- Hülshoff dabei ist, aber nicht Gottfried Keller. Warum Heinrich Mann als ein Klassiker angesehen wird, aber nicht Robert Musil, Ernst Jünger, Hermannn Hesse und Gottfried Benn. Warum Sophie de la Roche das 18. Jahrhundert repräsentieren darf, aber nicht Karl Philipp Moritz.
Es wird Ihnen, fürchte ich, schwer fallen, das zu erklären.
Es sei denn, Sie schließen sich meinem Erklärungsmuster an.
Mir will nämlich scheinen, daß dieser virtuelle Gesamtbürger, den die Aktion der "Zeit" ansprechen sollte, ein bornierter Gutmensch ist.
Er sucht sich von den unangefochtenen Klassikern diejenigen Werke aus, die eine einfach zu begreifende und in Zweifelsfall linke - oder irgendwie "aus dem Bauch heraus" progressive - Botschaft enthalten; oder die man jedenfalls so deuten kann:
Und ansonsten sucht er streng nach PC aus, der Leser der "Zeit"."Nathan der Weise" - seid tolerant, vor allem dem Islam gegenüber! "Die Räuber" - auf gegen die Unterdrücker! "Deutschland, ein Wintermärchen" und "Der Untertan" - wider diese deutschen Philister! "Aus dem Leben eines Taugenichts" - wie schön ist doch das alternative Leben! "Der Schimmelreiter" - wehe, wer sich gegen die Natur versündigt!
Also ist da erstens die Frauenquote. Sie hat Sophie de la Roche nach oben gehoben; ebenso die Droste.
Zweitens darf niemand vorkommen, der sich dem Verdacht ausgesetzt haben könnte, konservativ zu sein. Also fehlen Jean Paul, Wieland, der Katholik Brentano, der vom Revoluzzer zum Konservativen gewordene Gottfried Keller.
Also haben natürlich Ernst Jünger, Gottfried Benn, Wolfgang Koeppen und Arno Schmidt keine Chance bei unseren Gutmenschen, den Vertretern des Bildungsbürgertums.
Denn das ist es ja. Man stellt sich das Bildungsbürgertum gern immer noch als diejenigen vor, die Latein gelernt haben und die vielleicht gar die Illias im Original lesen können. Längst aber sind es Leute, deren prägendes Bildungserlebnis die Einsicht war, daß "doch alles irgendwie politisch" ist.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.