7. April 2007

Zettels Oster-LobhudelEi (4): Modell Deutschland. Eine Mini-Historie, Teil eins

Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist eine Erfolgsstory. Einmalig in der deutschen Geschichte. In der Gegenwart übertroffen nur von wenigen anderen Ländern Europas.

Nur vergessen wir das neuerdings oft. In den letzten Jahren - ungefähr seit Mitte der neunziger Jahre - hat sich eine Larmoyanz, eine depressive Stimmung in Deutschland ausgebreitet, die weder zur Geschichte der Bundesrepublik paßt, noch zur tatsächlichen Lage.

Hier ein paar gewissermaßen antizyklische Reminiszenzen und Anmerkungen. Ein Loblied auf das Land, in dem wir leben.



Seit dem Beginn des "Wirtschaftswunders" Anfang der fünfziger Jahre herrschte in Deutschland eine optimistische Grundstimmung. Sie wurde verkörpert durch Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Theodor Heuß.

Adenauer, der Kerzengrade und Listenreiche, stand für die Stabilität der jungen Demokratie und die Wiederaufnahme Deutschlands in die Völkergemeinschaft. Ludwig Erhard, der gemütliche Dicke, war das personifizierte Wirtschaftswunder (das ihm ja in der Tat entscheidend zu verdanken gewesen war, dem mutigen Ordoliberalen).

Und über uns Wunderkindern thronte als verehrter Präsident, ein republikanischer Kaiser Franz Josef sozusagen, "Papa" Heuß, der gemütliche, liberale Schwabe mit der sonoren Stimme und den lockeren Sprüchen ("Nun siegt mal schön").



Diese so überaus erfolgreiche, vom Ausland ungläubig bestaunte zweite deutsche Republik - in allem das Gegenteil der ersten - geriet in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in eine Krise.

Adenauer hielt sich für unentbehrlich und veranstaltete ein peinliches Theater, in dem er sich erst an die Macht klammerte und dann mit allerlei Intrigen wenigstens Erhard als seinen Nachfolger zu verhindern trachtete. ("Den bringe ich noch auf Null!").

Erhard, der trotzdem Kanzler wurde, bestätigte freilich in jeder Hinsicht Adenauers vernichtendes Urteil: Aus dem glänzenden Wirtschaftsminister wurde ein hilfloser, seinem Amt in keiner Hinsicht gewachsener Kanzler.

Hinzu kam die erste Rezession in einer bis dahin stetig wachsenden Wirtschaft. Hinzu kam die Unruhe, die weltweit die junge Generation erfaßt hatte; die erste Nachkriegsgeneration, die von völlig anderen Erfahrungen geprägt war als ihre Eltern und Großeltern.



Im Rückblick ist zu erkennen, daß es sich damals um eine Anpassungskrise handelte. Eine Krise, in der aus dem "Nachkriegsdeutschland" das "moderne Deutschland" wurde. ("Wir schaffen das moderne Deutschland" war ein Slogan der SPD im Wahlkampf 1969). In der Wirtschaft war man, dank Ludwig Erhard, immer liberal gewesen. Jetzt wurde man es auch in der Gesellschaft.

Es war gelegentlich turbulent zugegangen in dieser Krise, und viele Eiferer hielten sie für den Anbruch eines neuen, kommunistischen Zeitalters, das auf den unvermeidlichen Untergang des "Spätkapitalismus" folgen würde.

Viele wollten den Sozialismus; aber heraus kam ein modernerer, weltoffener, liberalerer und auch egalitärerer, sozialerer Kapitalismus. Im Wahlkampf 1976 plakatierte die SPD "Modell Deutschland".

In der Tat - Deutschland hatte die Turbulenzen der vorausgegangenen Jahre prächtig überstanden. Aus dem etwas verspießerten Land des Wirtschaftswunders war, dank der sozialliberalen Koalition, eines der modernsten Länder der Welt geworden.

Im Ausland rieb man sich die Augen: Der typische Deutsche, das war nicht mehr der dickliche, lederbehoste Spießer mit dem Dackel, sondern das waren Musiker wie Udo Lindenberg und Tangerine Dream; das waren elegante Fußballer wie Beckenbauer und Netzer, die 1972 auf eine begeisternde Weise Europameister wurden.



Gewiß war diese Zeit verdüstert durch den Versuch einer Verbrecherbande, sich als Revolutionäre aufzuspielen. Aber es war deshalb ja keine "Bleierne Zeit". So wenig, wie die Adenauer- Jahre muffig gewesen waren.

Es war im Gegenteil eine ungewöhnlich optimistische, zukunftsorientierte Zeit. Man braucht sich nur die Mode anzusehen mit ihren "Schockfarben" und fröhlichen Super- Mini- Röcken, die bunt- ornamentalen Tapeten, die Autos, die nicht grau und silbern waren wie heute, sondern rot, grün und gelb.

Es war in keiner Weise das "Jahrzehnt der RAF", sondern ein heiteres Jahrzehnt, das Jahrzehnt der sexuellen Befreiung, das Jahrzehnt von Oswald Kolle und Alice Schwarzer.

Ein Jahrzehnt, das auch die RAF den Deutschen nicht vermiesen konnte.



Daß er total scheiterte, der Versuch, den Kommunismus durch Terror einzuführen, haben wir ganz überwiegend einem Mann zu verdanken: Helmut Schmidt.

Wie fast immer hatten wir ein nachgerade unverschämtes Glück mit unserem Bundeskanzler: Adenauer war der beste denkbare Bundeskanzler für die Aufbau- Zeit gewesen. Kiesinger die optimale Besetzung für den "wandelnden Vermittlungs- Ausschuß", den die damalige Große Koalition verlangte. Willy Brandt war wie kein anderer geeignet gewesen, den Aufbruch der Bundesrepublik in die Moderne zu verkörpern.

Und der lautere, disziplinierte Helmut Schmidt war der ideale Bundeskanzler, als es darum ging, den Staat gegen die Verbrecherbande und ihre Sympathisanten zu verteidigen, die diesen demokratischen Rechtsstaat für einen "Papiertiger" hielten und dachten, sie könnten durch "individuellen Terror" die "Herrschenden" zu Fall bringen.

Helmut Schmidt hat aufrecht gegen diese Verbrecher und ihre vielen Sympathisanten und Unterstützer gestanden. In der Rückschau war es ein Glücksfall, daß nicht der depressive, selbstzweifelnde Willy Brandt als Bundeskanzler diesen Kampf zu bestehen hatte, sondern Helmut Schmidt, der Kantianer.



Am Ende mußte er freilich mit Hilfe der FDP gegen seine eigene Partei regieren, die linken Träumern und kommunistischen Stamokap- Strategen zum Opfer zu fallen drohte.

In der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik strebten diese die SPD zunehmend beherrschenden Linken den Weg in den Sozialismus an.

Die beiden Zauberwörter waren "systemüberwindende Reformen" (also eine unblutige, allmähliche Einführung des Sozialismus in der Tradition Eduard Bernsteins) und "Investitionslenkung" (die Ausweitung des Keynes'schen Instrumentariums, bis schließlich eine sozialistische Planwirtschaft erreicht sein würde).

Außenpolitisch lag man auf "Friedenskurs"; was darauf hinauslief, den Sowjets freie Hand bei der Dislozierung (so nannte man das damals; also Aufstellung) ihrer uns bedrohenden SS-20-Raketen zu lassen und zugleich den Versuch, mit den amerikanischen Pershing eine Gegendrohung aufzubauen, zu untergraben.

Die Absicht lag auf der Hand: Nach der DDR auch die Bundesrepublik Deutschland in den Einflußreich der UdSSR zu bringen, als Voraussetzung für eine Machtübernahme durch die Kommunisten.

Helmut Schmidt hatte den Nato-Doppelbeschluß erreicht, der eine einseitige atomare Bedrohung durch die UdSSR verhindern sollte; aber seine Partei agierte mit allen Mitteln dagegen.

Am Ende stimmten auf dem SPD- Parteitag 1983 - Schmidt war schon gestürzt - noch ein Dutzend Delegierte für diesen Beschluß; darunter Helmut Schmidt selbst und Hans Apel, der die Strategie der SPD-Linken in einem bitteren und sehr lesenswerten Buch dargelegt hat.



Es war einer der größten Siege in der Geschichte des deutschen Kommunismus, damals die SPD auf die kommunistische Linie gebracht zu haben. Und es war eine der größten Niederlagen der Kommunisten, daß sie zwar die SPD kippen konnten, aber nicht die deutsche Regierung auf ihren Kurs zwingen.

Denn wieder hatten wir ein unverschämtes Glück mit zwei Spitzenpolitikern. Otto Graf Lambsdorffs Geradelinigkeit und Mut, Hans-Dietrich Genschers taktisches Geschick: Zusammen ermöglichten sie es der FDP, sich aus der "babylonischen Gefangenschaft" der SPD (so damals Franz-Josef Strauß) zu lösen und die Koalition mit der CDU einzugehen.

Gerade rechtzeitig, um zu verhindern, daß die Modernisierung der Bundesrepublik in ihr Gegenteil umschlug; daß daraus ein Weg in den Sozialismus und in die Abhängigkeit von der Sowjetunion wurde.

Der zweite Teil dieser Mini-Historie folgt. Die drei vorausgehenden Folge dieser optimistischen Serie findet man hier, hier und hier.