14. April 2007

Gedanken zu Frankreich (8): Liegt Le Pen vor Ségolène Royal? Über die Tradition der französischen Geheimpolizei

Die französische Polizei sagt vorher, daß Le Pen mehr Stimmen bekommen wird als Ségolène Royal. Klingt reißerisch und auch ein wenig absurd, nicht wahr? Mais c'est vrai.

Es stimmt, daß eine Dienststelle der französischen Polizei sich in der Vorhersage des Ergebnisses der bevorstehenden Wahlen übt. Und es stimmt - jedenfalls meldet das der als zuverlässig bekannte "Nouvel Observateur" -, daß sie vorhersagt, Le Pen werde im ersten Wahlgang mehr Stimmen bekommen als Ségolène Royal. Royal werde also bereits im ersten Wahlgang ausscheiden.

Das finde ich interessant. Erstens wegen des Inhalts dieser Prognose, natürlich. Die ja massiv von dem abweicht, was die Meinungsforscher unisono mitteilen. Zweitens aber auch wegen des Umstands, daß es in Frankreich eine Dienststelle der Polizei gibt, zu deren Obliegenheiten die Meinungsforschung zählt. Oder doch nicht?



Welche Dienststelle der französischen Polizei ist das? Es handelt sich um die Direction Centrale des Renseignements Généraux, also das "Zentrale Amt für Allgemeine Informationen", das direkt dem Innenministerium unterstellt ist. Wer sich für ihre Organisationsstruktur interessiert, der kann sie sich als PDF-Datei herunterladen.

Der Name geht auf das Jahr 1911 zurück; aber als eine Dienststelle mit klar definierten Aufgaben wurde das Amt erst 1937 eingerichtet, also unter der sozialistisch- kommunistischen Volksfront- Regierung. Und zwar unter dem Namen "Direction des Services de Renseignements Généraux et de la Police Administrative" (Amt für Allgemeine Informationen und für Polizeiliche Aufgaben in der Verwaltung).

Eine kommunistische Gründung also? Nicht ganz.

Uns Deutsche, die wir unseren Verfassungsschutz und den BND gern skeptisch beäugen, mutet das zwar wohl schon recht totalitär an, was da gegründet wurde: Ein Dienst, dessen hauptsächliche Aufgabe es ist, die Regierung über alles auf dem Laufenden zu halten, was im Volk vorgeht. Ein Dekret von 1995 definiert seine Obliegenheiten so:
La Direction centrale des renseignements généraux est chargée de la recherche et de la centralisation des renseignements destinés à informer le Gouvernement ; elle participe à la défense des intérêts fondamentaux de l'Etat ; elle concourt à la mission générale de sécurité intérieure. Elle est chargée de la surveillance des établissements de jeux et des champs de courses.

Das Zentrale Amt für Allgemeine Information ist für die Erhebung und die zentrale Erfassung von Nachrichten zuständig, die dazu dienen, die Regierung zu informieren; es ist an der Sicherstellung der fundamentalen Interessen des Staats beteiligt; es hat Aufgaben innerhalb des allgemeinen Ziels, die innere Sicherheit zu gewährleisten. Es ist für die Überwachung der Spielstätten und der Rennbahnen zuständig.
Daß die Kommunisten, als sie 1936 in Frankreich einen Zipfel der Macht erhascht hatten, einen solchen Dienst einrichten halfen, verwundert nicht. Aber es wäre zu kurz gesprungen, in ihm eine kommunistische Erfindung zu sehen. Die französische Tradition der Bespitzelung des Volks ist ein wenig älter.



Dieses Amt setzt nämlich eine Tradition fort, die auf das Ende des 18. Jahrhunderts zurückgeht. Das Amt selbst stellt im Internet seine Tradition detailliert dar:

Im 18. Jahrhundert gab es die berühmt- berüchtigte Geheimpolizei, die Inspecteurs de Police. Unter der Revolution und unter Napoléon wurden sie Commissaires Spéciaux genannt, Sonder- Kommissare also; und 1855 wurden sie zugleich den Präfekten der Départements und dem Innenministerium in Paris unterstellt.

Die Dritte Republik hat diese Einrichtung weiterentwickelt. 1911 gründete der Geheimdienst- Chef Célestin Hennion eine "Brigade des Renseignements Généraux", aus der dann die Volksfront 1937 das heutige Amt machte, dessen Kompetenzen im wesentlichen unverändert in die Vierte und die Fünfte Republik übernommen wurden.



Nachdem in Frankreich 2002 die Rechte gesiegt hatte und damit die Regierung die Bürgerrechte ernster nahm, wurden allerdings die Befugnisse dieses Amtes eingeschränkt.

Ein Dekret des Innenministeriums von 2004 wies dem Amt als Aufgaben zu: "La lutte contre les terrorismes, la lutte contre les violences urbaines et l'économie souterraine, et l'anticipation et la gestion des crises", also die Bekämpfung des Terrorismus, die Bekämpfung der Gewalt in den Städten und der Schattenwirtschaft sowie die Früherkennung von Krisen und Gegenmaßnahmen.



Dieses Dekret nun spielt inzwischen eine wesentlichen Rolle in der Entwicklung des aktuellen Falls. Als ich heute Mittag die Meldung im "Nouvel Observateur" gelesen und beschlossen hatte, einen Beitrag dazu zu schreiben, gab es nur diese Meldung.

Inzwischen hat das Innenministerium Stellung genommen, und die Situation beginnt sich zu verwirren.

Was heute Mittag in der Online- Ausgabe des "Nouvel Observateur" zu lesen gewesen war, steht zwar immer noch in der aktuellen Version der Meldung:
La Direction Centrale des Renseignements Généraux est en possession d’une enquête confidentielle sur l’état de l’opinion qui annonce l’élimination de Ségolène Royal au 1er tour.

Das Zentrale Amt für Allgemeine Information verfügt über eine geheime Untersuchung über den Stand der Öffentlichen Meinung, aus der hervorgeht, daß Ségolène Royal im ersten Wahlgang ausscheiden wird.
Sarkozy, so hieß es weiter, werde deutlich vorn liegen. Zwischen Bayrou und Le Pen werde es ein Kopf- an- Kopf- Rennen um den zweiten Platz geben. Dies seien Daten aus einer Erhebung, an der 15 000 Befragte teilgenommen hätten. (Anmerkung von Zettel: Meinungsforscher begnügen sich mit um die 1000 Befragten!).

Und nun kommt das Dekret von 2004 ins Spiel. Der "Nouvel Observateur" schreibt aktuell:
Les Renseignements généraux (RG) ont démenti en fin d'après-midi avoir réalisé une telle enquête. "Depuis le 15 juillet 2004, nous n'avons plus le droit de nous livrer à des prévisions électorales", a-t-on déclaré à la Direction des RG. "Cet article n'a aucun fondement de vérité", a-t-on ajouté.

Das Zentrale Amt für Allgemeine Information hat am Spätnachmittag dementiert, eine solche Untersuchung durchgeführt zu haben. "Seit dem 15. Juli 2004 sind wir nicht mehr berechtigt, uns mit Wahlvorhersagen zu befassen" erklärte die Leitung des Amts. "Dieser Artikel entbehrt jedes Wahrheitsgehalts" hieß es weiter.
Der "Nouvel Observateur" aber blieb bis vergangene Nacht bei seiner Darstellung. In dem mit "S.R." (also vermutlich Serge Raffarin) gezeichneten Artikel heißt es:
Selon nos sources, contrairement au démenti officiel, les RG ont bien livré une enquête sur les intentions de vote des Français. "Ils ne peuvent faire autrement que nier cette activité, car elle est devenue illégale depuis trois ans", confirme un collaborateur du ministère de l'Intérieur, qui poursuit: "En réalité, il ne s'agit pas à proprement parler d'un sondage, mais plutôt d'une étude qualitative améliorée".

Nicolas Sarkozy y est largement en tête, entre 25 et 26 %, suivi de loin, à 19 %, par Le Pen, Bayrou, et, dans un mouchoir, Ségolène Royal. Cette dernière est donc légèrement distancée et peut revenir dans la course à tout moment. C'est pour cette raison que la direction centrale des RG dément sa "disqualification" au 1er tour, selon l'expression même des enquêteurs.

Nach unseren Quellen hat das Amt, entgegen dem offiziellen Dementi, sehr wohl eine Untersuchung über die Wahlabsichten der Franzosen durchgeführt. "Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als dieses Unterfangen zu bestreiten, denn das ist seit drei Jahren verboten" bestätigt ein Mitarbeiter des Innenministeriums und fährt fort: "Es handelt sich in der Tat, streng genommen, nicht eigentlich um eine Meinungsumfrage, sondern um eine verbesserte qualitative Studie".

Danach ist Nicolas Sarkozy weit in Front, zwischen 25 und 26 Prozent. Dahinter, weit zurück, mit jeweils 19 Prozent Le Pen und Bayrou, und um Haaresbreite dahinter Ségolène Royal. Diese ist also nur knapp hinten und kann jederzeit in das Rennen zurückkommen. Deshalb bestreitet das Amt, daß sie im ersten Wahlgang "abgeschlagen" sei, wie es die Untersucher selbst formuliert hatten.



Mein Kommentar:
Daß die Bürokraten dieses Amts die Meinung des Volks mit ihren Methoden besser erfassen können als die mit wissenschaftlichen Methoden arbeitenden privaten Institute, ist ein typisch französischer Irrglaube.

Also, ich glaube nicht, daß Ségolène so miserabel im Rennen liegt, wie diese Untersuchung es zu behaupten scheint. Daß sie nicht mehr gewinnen kann, davon bin ich allerdings überzeugt.

Aber interessanter finde ich, daß man bei dieser Gelegenheit von der Existenz dieses seltsamen Amts erfuhr. Von Linken begründet, von Rechten immerhin in seinen Befugnissen beschnitten.

Wie schön wäre es, wenn der Liberale Bayrou Präsident würde und es fertigbrächte, dieses klassische Produkt des französischen Etatistmus ganz aus der Welt zu schaffen.



Daß diese Untersuchung offenbar dem "Nouvel Observateur" zugespielt wurde, der sich seit Beginn des Wahlkampfs vehement für Royal einsetzt, dürfte freilich kein Zufall sein: Es liegt auf der Hand, daß eine Meldung, wonach Royal schon im ersten Wahlgang ausscheiden könnte, viele grüne und linksextreme Wähler motivieren könnte, ihr zähneknirschend doch ihre Stimme zu geben, schon im ersten Wahlgang. Statt Voynet zu wählen, oder Laguiller, oder Besancenot, oder Bové, und wie sie alle heißen.

Immerhin entfallen in den Umfragen fast zehn Prozent der Wahlabsichten auf Linksextreme und Grüne. Würden sie alle für Royal stimmen, dann läge sie vor Sarkozy!