6. April 2007

Randbemerkung: Iran-Astrologie

Zur Zeit des Kalten Kriegs gab es den Berufsstand der "Kreml- Astrologen". Das waren Experten, die kraft Intuition, Scharfsinn und manchmal auch anhand von Fakten, die ihnen irgendwelche Vertrauensleute mitgeteilt hatten, uns über das aufklärten, was hinter den Mauern des Kreml vorging.

Also zum Beispiel, welche Fraktion sich gegen welche andere in welcher Entscheidung durchgesetzt habe. Warum der Kreml diesen und jenen Schachzug getan, mal wieder njet und dann überraschenderweise auch schon mal da gesagt hatte.

Da gab es, so lehrten es uns die Kreml- Astrologen, die "Beton- Köpfe" und die "Technokraten" im Kreml; es gab die Vertreter der Schwerindustrie und die Anwälte der Konsumgüter- Industrie, die Pragmatiker und die Hüter der reinen Lehre, wie den "Chef- Ideologen" Suslow. Mal siegten diese, mal jene; so erklärten es uns die Kreml - Astrologen.



Das Schöne an der Kreml- Astrologie war, daß sie völlig risikolos war. Es gab ja keine Möglichkeit, zu überprüfen, was diese Kreml- Astrologen behaupteten. Denn dazu hätte man wissen müssen, was wirklich im Kreml geschah. Und hätte man es gewußt, - dann hätte man ja die Kreml- Astrologen nicht gebraucht.

So ähnlich ist es, scheint mir, heute in Bezug auf das, was in der Führung des Iran vorgeht. Der Iran ist keine Einmann- Diktatur, wie es der Irak vor der Befreiung gewesen war. Es herrschen dort nicht Verhältnisse wie unter Stalin, sondern wie unter, sagen wir, Breschnew. Ein ideales Betätigungsfeld also für Iran- Astrologen.



Während der Entführung der britischen Soldaten und bei ihrer Freilassung hatten sie wieder Hochkonjunktur, diese Iran- Astrologen.

Im San Francisco Chronicle sieht beispielsweise Matthew B. Stannard unter der Überschrift "Why Iran freed captured British sailors, marines" die Aktion, einschließlich der Freilassung, als einen vollen Erfolg der Iraner an:
Iran's unexpected decision to release 15 captive British sailors and marines suggests the leaders of the Islamic Republic decided they had gained as much as they could from the crisis -- and that further confrontation could prove counterproductive, experts said Wednesday.

"The bottom line that they've underscored is: If you mess with us, we can mess back," said Kamran Bokhari, a senior analyst at the private intelligence consulting firm Stratfor. "The Iranians come out looking really good, because they've demonstrated they can checkmate."

Die unerwartete Entscheidung, 15 gefangene britische Matrosen und Marinesoldaten freizulassen, läßt vermuten, daß die Führer der Islamischen Republik zu dem Urteil gekommen waren, daß sie aus der Krise so viel Gewinn gezogen hatten, wie sie konnten - und daß eine weitere Konfrontation kontraproduktiv gewesen wäre. Das sagten Experten am Mittwoch.

"Das Fazit, das sie unterstrichen haben, lautet: Wenn ihr uns ins Gehege kommt, dann kommen wir euch ins Gehege," erläuterte Kamran Bokhari, ein leitender Analyst bei der privaten Geheimdienst- Beratungsfirma Stratfor. "Die Iraner sehen am Ende richtig gut aus, weil sie gezeigt haben, daß sie Paroli bieten können."



Ähnlich sieht es der Kommentator der Süddeutschen Zeitung, Tomas Avenarius:
Irans Präsident ist der ungekrönte König des tragikomischen Polit- Theaters. Die Art, wie er die Freilassung der 15 festgehaltenen britischen Marinesoldaten bekanntgab, war ebenso grotesk wie meisterlich. (...) Ahmadinedschads Auftritt wirkte versöhnlich und als Signal der Stärke zugleich. Erst watschte er Briten und Amerikaner rhetorisch ab. Dann steckte er seinen Revolutionsgardisten, die die britischen Soldaten gefangengenommen hatten, vor der versammelten Weltpresse Orden an die Brust für die Festnahme der "britischen Invasoren".
Und dann weiter, Iran- astrologisch:
Unklar ist auch, was sich in Teheran abgespielt hat. Wurden die Hardliner um Ahmadinedschad von der etablierten Machtelite zurückgepfiffen? Hat das Regime erkannt, in welche Gefahr es sich begibt? Oder war alles Teil eines abgekarteten Spiels? (...) Erkennbar ist nur, dass die im Atomstreit unter Druck stehende Islamische Republik einmal mehr ihre Position verteidigt und das Gesicht gewahrt hat. Die Briten haben das nicht.



Weitere Bemühungen, das Verhalten der Perser zu verstehen, kann man zum Beispiel in der Presseschau der FTD zusammengestellt finden.

Ja, woher wissen wir denn, daß irgend etwas davon stimmt?

Man kann sich Dutzende Szenarien ausdenken für den Beginn der Affäre:
  • Vielleicht wollten die Revolutionsgarden sich gegen die Moderaten durchsetzen und haben auf eigene Faust die Briten festgesetzt.

  • Vielleicht gab es einen seit langem ausgeheckten Plan der gesamten iranischen Führung, die Briten zu demütigen, um den iranischen Einfluß im Südirak zu verstärken.

  • Vielleicht hat auch ein lokaler Kommandeur gemeint, die Briten seien wirklich in irakische Hoheitsgewässer eingedrungen, und einfach gemäß seinen Instruktionen gehandelt.

  • Oder vielleicht waren sie ja wirklich in irakischen Hoheitsgewässern. Vielleicht aufgrund eines Navigationsfehlers.

  • Oder vielleicht, weil sie gezielt dahin geschickt wurden, um zu spionieren.

  • Oder um die Aufmerksamkeit und Effizienz der iranischen Streitkräfte zu testen. Auch das soll es schon gegeben haben; es war zur Zeit des Kalten Kriegs gang und gebe.



  • Ebenso kann man sich fast Beliebiges über die Gründe für das abrupte Ende der Affäre ausdenken:
  • Vielleicht hatte Khaminei genug von den Eskapaden der Revolutionsgardisten und hat ein Machtwort gesprochen.

  • Vielleicht haben die USA und Großbritannien mit sehr unangenehmen Gegenmaßnahmen gedroht.

  • Vielleicht haben diejenigen, die im Iran etwas mehr Macht haben als Ahmadinedschad, erkannt, daß sie als internationaler Paria keinen Blumentopf gewinnen können und den Scharfmacher zurückgepfiffen.

  • Vielleicht war das Ganze - siehe oben - ohnehin eine Eigenmächtigkeit lokaler Verantwortlicher, und man war heilfroh, aus der Nummer herauszukommen.

  • Vielleicht war es auch so, wie die zitierten Kommentatoren vermuten, und der Iran hat eine glänzend geplante Operation glanzvoll zu ihrem Ende gebracht.



  • Oder vielleicht war es auch so, wie es Newsmax schildert, unter Berufung auf freilich ungenannte (israelische?) Quellen. (Dank an Boche für den Hinweis darauf):
    The capture of the British naval inspection team was clearly a coordinated effort by the Iranian government aimed at demonstrating Iran's ability to confront the U.S.-led multinational forces in Iraq and to divert international attention from the nuclear showdown. The decision to release the hostages showed the limits of Iran's power and the fears of some leaders that too much provocation could backfire. (...)

    Khamenei's top advisers argued that by striking out against a U.S. ally in Iraq, they would be sending a message to other European nations to step back from supporting the U.S. strategy of increasing pressure on Iran over its nuclear program. They saw the move as a clear test of Western resolve.

    (...) But as Britain refused to apologize for the behavior of its boarding party, continuing to insist that they were operating in Iraqi waters – not inside Iran's territorial waters, as Tehran alleged – some of Khamenei's advisers began to have second thoughts.

    Adding to those doubts were reports that the USS Nimitz was steaming toward the Persian Gulf – making it the third Carrier Strike Group in the area.

    (...) On Friday, March 30, Khamenei's top advisers met in an emergency session of the Supreme Council on National Security, chaired by Ali Larijani. Larijani is the regime's top nuclear negotiator, and is a confidant of the Supreme Leader, while maintaining close ties to President Ahmadinejad.

    At that meeting, Revolutionary Guards commander Maj. Gen. Rahim Safavi reported that the deployment of the Nimitz suggested that a U.S. military invasion of Iran was being prepared for early May. He urged the Council to order the release of the British hostages as a gesture to defuse the tension in the region.

    Die Gefangennahme des Kontrollteams der britischen Marine war eindeutig ein koordinierter Versuch der iranischen Regierung mit dem Ziel, die Fähigkeit des Iran zu demonstrieren, sich der von den USA geführten multinationalen Streitmacht entgegenzustellen. Weiterhin wollte man die internationale Aufmerksamkeit von der nuklearen Konfrontation ablenken. Die Entscheidung, die Geiseln freizulassen, zeigte die Grenzen der Macht des Iran und die Furcht einiger seiner Führer davor, daß zuviel von solche Provokation nach hinten losgehen könnte. (...)

    Die Haupt- Ratgeber Khameneis argumentierten, daß ein Schlag gegen den wichtigsten Verbündeten der USA eine Botschaft an die anderen europäischen Nationen wäre, sich von der US-Strategie zurückzuziehen, auf den Iran wegen seines Atomprogramms zunehmend Druck auszuüben. Sie sahen diesen Schritt als einen eindeutigen Test der Entschlossenheit des Westens.

    (...) Aber als die Briten sich weigerten, sich für das Verhalten ihres Kontroll- Teams zu entschuldigen und stattdessen darauf beharrten, daß sie in irakischen Gewässern operiert hatten - und nicht in iranischen Gewässern, wie Teheran behauptete -, wurden einige der Berater Khameinis nachdenklich.

    Zu diesen Zweifeln kam hinzu, daß sich der US-Flugzeugträger Nimitz in Richtung Persischer Golf in Bewegung gesetzt hatte - als der dritte Flugzeugträger in diesem Raum.

    (...) Am Freitag, dem 30. März, trafen sich die wichtigsten Berater Khameneis zu unter dem Vorsitz von Ali Larijani zu einer Dringlichkeits- Sitzung des Obersten Nationalen Sicherheitsrats. Larijani ist der Chefunterhändler des Regimes zu Atomthemen, und er ist ein Vertrauter des Obersten Führers, hat aber auch enge Verbindungen zu Präsident Ahmadinedschad.

    Auf diesem Treffen berichtete der Kommandeur der Revolutionsgarden, Generalmajor Rahim Safavi, daß die Inmarschsetzung der Nimitz darauf hindeute, daß eine militärische Invasion des Iran durch die USA für Anfang Mai vorbereitet werde. Er drängte den Rat, die Freilassung der britischen Geiseln anzuordnen; als eine Geste, um die Spannungen in der Region zu verringern.




    In B.L.O.G. kann man eine interessante, kenntnisreich geführte Diskussion darüber lesen, wie seriös denn wohl dieses "Newsmax" sei.

    Ich kann das überhaupt nicht beurteilen. Mir will nur scheinen, daß dessen Version auch nicht unglaubwürdiger ist als die des "San Francisco Chronicle" oder der "Süddeutschen Zeitung".

    Nix Gewisses weiß man halt nicht. Und wenn man nix Gewisses nicht weiß, dann haben sie immer Hochkonjunktur, die Astrologen.