Wenn das Fernsehen und die Zeitungen über Afrika berichten, dann selten Gutes. Das liegt nicht nur an dem bekannten zynischen journalistischen Grundsatz Bad news is good news - schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Sondern die politische Lage in vielen Ländern Afrikas ist noch immer durch Instabilität gekennzeichnet.
Das aktuelle Beispiel ist Mali, dessen Norden sich für unabhängig erklärt hat, nachdem als Folge des Sturzes von Gaddafi große Mengen an Waffen aus Ostlibyen dorthin gelangt waren. Diese Rebellion ist deshalb bemerkenswert, weil in ihr gewissermaßen zwei Epochen aufeinandertreffen: Die Zeit der "Nationalen Befreiungsbewegungen", wie sie nach dem Vorbild der algerischen FLN und der Mau-Mau-Bewegung in Kenia ab den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts überall in Afrika entstanden; und die heutige Epoche des islamistischen Terrorismus.
In Nordmali hat zunächst eine solche Nationale Befreiungsbewegung - das National Movement for the Liberation of Azawad (MNLA) von Tuaregs - mit einer dschihadistischen Terrororganisation - dem Movement for Oneness and Jihad in West Africa (MUJAO), hervorgegangen aus der Kaida des Islamischen Maghreb - zusammengearbeitet, um die Unabhängigkeit von der Zentralregierung in Bamako zu erlangen, die über diese Rebellion stürzte. Inzwischen aber bekämpfen die MNLA und die MUJAO einander erbittert. Gestern beispielsweise meldete Agence France Presse heftige Kämpfe in der nordmalischen Stadt Gao, denen zahlreiche Menschen zum Opfer fielen.
Das ist die eine Seite Afrikas; diejenige, die wir auf den Bildschirmen unserer TV-Geräte zu sehen bekommen und über welche die Agenturen berichten. Von der anderen, kaum beachteten Seite handelt ein Artikel von Robert D. Kaplan und Mark Schroeder bei Stratfor: Dem erstaunlichen Wirtschaftswachstum in vielen Ländern Afrikas.
Es liegt im Durchschnitt aller Länder des Afrika südlich der Sahara - also des nichtarabischen, des hamitischen Afrika; von Schwarzafrika, um den kürzesten Begriff zu verwenden - bei ungefähr sechs Prozent jährlich. Schwarzafrika ist damit die Weltregion mit dem gegenwärtig höchsten Wirtschaftswachstum. Manche Kommentatoren nennen es schon das "neue Asien".
In dem Finanz-Informationsdienst Money Observer schrieb beispielsweise vor vier Wochen der britische Analyst Darius McDermott von der Firma Chelsea Financial Services:
Zum einen weisen sie auf das demographische Problem Schwarzafrikas hin; ein Problem komplementär zu Europas schrumpfender Bevölkerung (siehe Deutschlands demographische Zukunft; ZR vom 21. 6. 2012): In Schwarzafrika wächst noch immer die Bevölkerung um im Schnitt zwei Prozent jährlich; was den Zuwachs des Pro-Kopf-Einkommens auf zwei Drittel des Wirtschaftswachstums senkt. Die Zahl der Jugendlichen in Schwarzafrika wird sich bis 2045 verdoppeln. Die Jugendarbeitslosigkeit ist ohnehin hoch. Ein solcher youth bulge, ein Jugendüberhang, ist der Nährboden für Unruhen und Gewalt.
Vor allem aber nehmen Kaplan und Schroeder eine ernüchternde Analyse der Struktur dieses auf den ersten Blick so beeindruckenden Wirtschaftswachstums vor.
Ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum beruht in der Regel auf der Entwicklung des produzierendes Gewerbes. Davon findet aber in Schwarzafrika nur wenig statt. Die hohen Wachstumsraten basieren fast ausschließlich auf der Ausbeutung von Bodenschätzen - der Förderung von Erdöl vor den Küsten von Ländern wie Angola, Nigeria und Äquatorial-Guinea; Uranabbau in Niger; den Kupferminen in Sambia und den Diamantenminen in Botswana.
Sie steigern zum einen ihre Produktion; zum anderen haben sich die Weltmarktpreise für Rohstoffe und Energie erhöht. Das schlägt sich in einem numerischen Wachstum der Wirtschaft nieder, dem aber weder ein entsprechend wachsender Wohlstand der Bevölkerung noch strukturelle Fortschritte entsprechen.
In den Strukturen nicht nur der Wirtschaft, sondern vor allem auch der öffentlichen Verwaltung sehen die beiden Autoren das hauptsächliche Hindernis dafür, daß sich in Schwarzafrika der Aufschwung Asiens in den letzten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts wiederholt.
Dort herrschte konfuzianisches Denken; gab es eine funktionierende öffentliche Verwaltung. In Japan organisierte das Industrieministerium Miti, hervorgegangen aus der Kriegswirtschaft, den Aufstieg. Länder wie Südkorea, Singapur und Malaysia entwickelten konsequent die für ein schnelles Wachstum erforderliche Infrastruktur; unter Regimes von, wie die Autoren schreiben, "aufgeklärten Autokraten" wie Park Chung Hee, Lee Kuan Yew und Mahathir bin Mohamad.
In Afrika findet man, mit Ausnahme Südafrikas, nichts dergleichen; keine staatlichen Anstrengungen zur Entwicklung der Industrie, zum Aufbau einer effizienten Verwaltung.
Hinzu kommen die noch immer zahlreichen ethnischen Konflikte.
Es wird zwar argumentiert, daß durch die zunehmende Verstädterung die alten Stammesbindungen verschwinden oder gelockert werden; aber in vielen Ländern Schwarzafrikas gibt es weiter Auseinandersetzungen zwischen den sie bevölkernden Ethnien - in Kenya beispielsweise, in Simbabwe, in Nigeria und in Südafrika. Hinzu kommen religiöse Konflikte in Ländern wie Nigeria mit seinem islamistischen Terrorismus gegen die Christen. Der Ostkongo ist unregierbar. In Niger, Guinea, Guinea-Bissau und Madagaskar wurden die Regierungen gewaltsam gestürzt. Von Mali war schon oben die Rede.
Dort, wo Bürgerkriege herrschten, ist zwar teilweise Ruhe eingekehrt, wie in Liberia, Sierra Leone und der Elfenbeinküste. Aber das bedeutet nicht, daß stabile Gemeinwesen entstanden wären. Die Ruhe ist vielmehr teils der Kriegsmüdigkeit zu verdanken, teils internationalem Eingreifen.
Gewiß gibt es, meinen die beiden Autoren abschließend, in Afrika Fortschritt. Es stimmt, daß eine Mittelklasse entsteht. Die Landwirtschaft modernisiert sich; technische Innovationen wie das Handy wirken sich auf die Gesellschaft aus. Aber ein neues Asien werde Afrika wohl nicht werden.
Das aktuelle Beispiel ist Mali, dessen Norden sich für unabhängig erklärt hat, nachdem als Folge des Sturzes von Gaddafi große Mengen an Waffen aus Ostlibyen dorthin gelangt waren. Diese Rebellion ist deshalb bemerkenswert, weil in ihr gewissermaßen zwei Epochen aufeinandertreffen: Die Zeit der "Nationalen Befreiungsbewegungen", wie sie nach dem Vorbild der algerischen FLN und der Mau-Mau-Bewegung in Kenia ab den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts überall in Afrika entstanden; und die heutige Epoche des islamistischen Terrorismus.
In Nordmali hat zunächst eine solche Nationale Befreiungsbewegung - das National Movement for the Liberation of Azawad (MNLA) von Tuaregs - mit einer dschihadistischen Terrororganisation - dem Movement for Oneness and Jihad in West Africa (MUJAO), hervorgegangen aus der Kaida des Islamischen Maghreb - zusammengearbeitet, um die Unabhängigkeit von der Zentralregierung in Bamako zu erlangen, die über diese Rebellion stürzte. Inzwischen aber bekämpfen die MNLA und die MUJAO einander erbittert. Gestern beispielsweise meldete Agence France Presse heftige Kämpfe in der nordmalischen Stadt Gao, denen zahlreiche Menschen zum Opfer fielen.
Das ist die eine Seite Afrikas; diejenige, die wir auf den Bildschirmen unserer TV-Geräte zu sehen bekommen und über welche die Agenturen berichten. Von der anderen, kaum beachteten Seite handelt ein Artikel von Robert D. Kaplan und Mark Schroeder bei Stratfor: Dem erstaunlichen Wirtschaftswachstum in vielen Ländern Afrikas.
Es liegt im Durchschnitt aller Länder des Afrika südlich der Sahara - also des nichtarabischen, des hamitischen Afrika; von Schwarzafrika, um den kürzesten Begriff zu verwenden - bei ungefähr sechs Prozent jährlich. Schwarzafrika ist damit die Weltregion mit dem gegenwärtig höchsten Wirtschaftswachstum. Manche Kommentatoren nennen es schon das "neue Asien".
In dem Finanz-Informationsdienst Money Observer schrieb beispielsweise vor vier Wochen der britische Analyst Darius McDermott von der Firma Chelsea Financial Services:
Africa may well be the next Asia (...) 60 per cent of the world's uncultivated arable land is found in Africa. It has vast supplies of mineral resources, largely untouched yet due to lack of technical know-how and expense of extraction. (...) Africa's emerging middle class is already more than 300 million people. The region grew positively in the middle of the 2009 global recession. Africa is becoming one of the most attractive destinations for tourism (possibly more than 50 million tourists in 2012).Kaplan und Schroeder gießen Wasser in den Wein dieser Euphorie.
Afrika könnte gut das neue Asien werden (...) 60 Prozent des noch nicht urbar gemachten, landwirtschaftlich nutzbaren Landes weltweit finden sich in Afrika. Es hat gewaltige Vorkommen an Bodenschätzen, die aufgrund des Mangels an technischem Know-How und der Erschließungskosten noch weitgehend unberührt sind. (...) Afrikas entstehende Mittelschicht umfaßt bereits 300 Millionen Menschen. Die Region hatte inmitten der globalen Rezession von 2009 ein positives Wachstum. Afrika ist im Begriff, sich zu einem der attraktivsten Tourismusziele zu entwickeln (es könnten 2012 mehr als 50 Millionen Touristen werden).
Zum einen weisen sie auf das demographische Problem Schwarzafrikas hin; ein Problem komplementär zu Europas schrumpfender Bevölkerung (siehe Deutschlands demographische Zukunft; ZR vom 21. 6. 2012): In Schwarzafrika wächst noch immer die Bevölkerung um im Schnitt zwei Prozent jährlich; was den Zuwachs des Pro-Kopf-Einkommens auf zwei Drittel des Wirtschaftswachstums senkt. Die Zahl der Jugendlichen in Schwarzafrika wird sich bis 2045 verdoppeln. Die Jugendarbeitslosigkeit ist ohnehin hoch. Ein solcher youth bulge, ein Jugendüberhang, ist der Nährboden für Unruhen und Gewalt.
Vor allem aber nehmen Kaplan und Schroeder eine ernüchternde Analyse der Struktur dieses auf den ersten Blick so beeindruckenden Wirtschaftswachstums vor.
Ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum beruht in der Regel auf der Entwicklung des produzierendes Gewerbes. Davon findet aber in Schwarzafrika nur wenig statt. Die hohen Wachstumsraten basieren fast ausschließlich auf der Ausbeutung von Bodenschätzen - der Förderung von Erdöl vor den Küsten von Ländern wie Angola, Nigeria und Äquatorial-Guinea; Uranabbau in Niger; den Kupferminen in Sambia und den Diamantenminen in Botswana.
Sie steigern zum einen ihre Produktion; zum anderen haben sich die Weltmarktpreise für Rohstoffe und Energie erhöht. Das schlägt sich in einem numerischen Wachstum der Wirtschaft nieder, dem aber weder ein entsprechend wachsender Wohlstand der Bevölkerung noch strukturelle Fortschritte entsprechen.
In den Strukturen nicht nur der Wirtschaft, sondern vor allem auch der öffentlichen Verwaltung sehen die beiden Autoren das hauptsächliche Hindernis dafür, daß sich in Schwarzafrika der Aufschwung Asiens in den letzten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts wiederholt.
Dort herrschte konfuzianisches Denken; gab es eine funktionierende öffentliche Verwaltung. In Japan organisierte das Industrieministerium Miti, hervorgegangen aus der Kriegswirtschaft, den Aufstieg. Länder wie Südkorea, Singapur und Malaysia entwickelten konsequent die für ein schnelles Wachstum erforderliche Infrastruktur; unter Regimes von, wie die Autoren schreiben, "aufgeklärten Autokraten" wie Park Chung Hee, Lee Kuan Yew und Mahathir bin Mohamad.
In Afrika findet man, mit Ausnahme Südafrikas, nichts dergleichen; keine staatlichen Anstrengungen zur Entwicklung der Industrie, zum Aufbau einer effizienten Verwaltung.
Hinzu kommen die noch immer zahlreichen ethnischen Konflikte.
Es wird zwar argumentiert, daß durch die zunehmende Verstädterung die alten Stammesbindungen verschwinden oder gelockert werden; aber in vielen Ländern Schwarzafrikas gibt es weiter Auseinandersetzungen zwischen den sie bevölkernden Ethnien - in Kenya beispielsweise, in Simbabwe, in Nigeria und in Südafrika. Hinzu kommen religiöse Konflikte in Ländern wie Nigeria mit seinem islamistischen Terrorismus gegen die Christen. Der Ostkongo ist unregierbar. In Niger, Guinea, Guinea-Bissau und Madagaskar wurden die Regierungen gewaltsam gestürzt. Von Mali war schon oben die Rede.
Dort, wo Bürgerkriege herrschten, ist zwar teilweise Ruhe eingekehrt, wie in Liberia, Sierra Leone und der Elfenbeinküste. Aber das bedeutet nicht, daß stabile Gemeinwesen entstanden wären. Die Ruhe ist vielmehr teils der Kriegsmüdigkeit zu verdanken, teils internationalem Eingreifen.
Gewiß gibt es, meinen die beiden Autoren abschließend, in Afrika Fortschritt. Es stimmt, daß eine Mittelklasse entsteht. Die Landwirtschaft modernisiert sich; technische Innovationen wie das Handy wirken sich auf die Gesellschaft aus. Aber ein neues Asien werde Afrika wohl nicht werden.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Die Länder Afrikas mit dem Zeitpunkt ihrer Unabhängigkeit. Als Teil des Wikimedia Commons Atlas of the World gemeinfrei.