6. Juni 2012

Der heutige Venusdurchgang: Einige Informationen, die Sie vielleicht interessieren


Während ich dies schreibe, bewegt sich die Venus vor der Sonne. Ich verfolge das auf der WebSite der NASA. Man kann es sich beispielsweise auch beim CosmicLog von MSNBC ansehen.

Wenn Sie dies lesen, ist das Spektakel wahrscheinlich vorbei. Auch wenn Sie sich für Astronomie interessieren, werden Sie es vermutlich nicht direkt haben beobachten können, angesichts der Wolkendecke über Mitteleuropa.

Auch wenn Sie sich andererseits nicht für Astronomie interessieren, werden Sie von dem Ereignis gehört und gelesen haben; meist vermutlich unter der Bezeichnung "Venustransit". Das ist ein Anglizismus (venus transit heißt die Sache auf Englisch), der sich inzwischen eingebürgert hat.

Möglicherweise sind Ihnen dabei einige Fragen durch den Kopf gegangen. Vielleicht beantwortet das Folgende die eine oder andere davon.


Was ist ein Venusdurchgang? Im Prinzip so etwas wie eine Sonnenfinsternis. Bei dieser schiebt sich der Mond vor die Sonne und verdunkelt sie. Bei einem Venusdurchgang schiebt sich analog die Venus vor die Sonne. Obwohl ihr Durchmesser größer ist als der des Mondes, erscheint sie wegen der großen Entfernung aber winzig klein, so daß sie die Sonne nicht verfinstert. Das Titelbild zeigt den Venusdurchgang am 8. Juni 2004.


Welche Planeten können einen solchen Durchgang zeigen? Nur die Venus und der Merkur. Das sind die beiden "inneren" Planeten, deren Bahn näher an der Sonne liegt als diejenige der Erde. Alle anderen Planetenbahnen verlaufen weiter weg von der Sonne als die der Erde. Diese Planeten können also niemals zwischen Erde und Sonne stehen.


Wann kommt es zu einem Venusdurchgang? Wenn die Venus, von der Erde aus gesehen, genau "vor" der Sonne steht. Das ist nur selten der Fall, weil die Bahn der Venus zur Erdbahn um 3,4 Grad geneigt ist.

Wenn die Venus in Richtung Sonne steht, von der Erde aus gesehen (Konjunktion), dann sieht man sie deshalb meist nur in deren Nähe, aber nicht genau davor. Nur wenn eine Konjunktion zu einem Zeitpunkt auftritt, zu dem sich die Bahn der Erde und der Venus außerdem gerade schneiden (Knotenpunkt), gibt es einen Venusdurchgang. Sie können sich das hier sehr schön ansehen:



Die Abbildung zeigt die Bahn von Erde und Venus einmal als Draufsicht und einmal von der Seite. Die gestrichelte rote Linie markiert den Knotenpunkt. Nur wenn genau an dieser Stelle Erde und Venus in gerader Linie zur Sonne stehen, gibt es einen Venusdurchgang.

Aufgrund der Bahndaten der beiden Planeten tritt dies in regelmäßigen Abständen auf: nach 121,5 Jahren - nach 8 Jahren - nach 105,5 Jahren. Dann wiederholt sich dieser Zyklus. Der letzte Venusdurchgang war 2004. Der jetzige ist also der nach der 8-Jahres-Periode. Danach kommt die Periode von 105,5 Jahren, so daß der nächste Durchgang erst im Dezember 2117 zu beobachten sein wird.


Warum war die genaue Messung des Venusdurchgangs in der Geschichte der Astronomie von so großer Bedeutung? Weil sie es ermöglichte, die Entfernung der Erde von der Sonne zu bestimmen. Deren Kenntnis wiederum war eminent wichtig, um mittels Himmelsbeobachtung Positionen und Entfernungen auf der Erde genau zu messen. Es gab also ein großes praktisches Interesse daran. Die theoretischen Vorarbeiten hatte schon im Jahr 1716 der große britische Astronom Edmond Halley geleistet, indem er das mathematische Verfahren und die erforderlichen Messungen beschrieb.

Erstmals in der Geschichte der Astronomie war man bei dem Durchgang im Jahr 1769 so weit, solche Messungen vorzunehmen zu können. Welche gewaltigen Anstrengungen in diesem Jahr in ganz Europa und auch Amerika unternommen wurden, hat Arno Schmidt in dem schönen und lehrreichen Funkessay "Das schönere Europa" beschrieben, den Sie hier lesen können. Unter anderem diente die erste Expedition von James Cook in die Südsee diesem Unternehmen; nebenher hat er dabei auch Australien und Neuseeland entdeckt.


Wieso war ein Expedition überhaupt erforderlich? Weil man, um die notwendigen Berechnungen vorzunehmen, das Ereignis zugleich von Beobachtungs­punkten auf möglichst verschiedener geografischer Breite messen mußte; alle außerdem während der Stunden des Durchgangs in der Tagzone gelegen. Diese weit auseinanderliegenden Beobachtungspunkte waren erforderlich, um trigonometrische Berechnungen vornehmen zu können.

Schauen Sie sich bitte diese Abbildung an, die einfacher zu verstehen ist, als es vielleicht auf den ersten Blick scheinen mag (für eine vergrößerte Ansicht bitte auf das Bild klicken):


Sie sehen rechts die Erde mit zwei unterschiedlichen Beobachtungspunkten, einer nördlich und einer weiter südlich. Der Weg, auf dem die Venus aus ihrer jeweiligen Perspektive bei dem Durchgang "über die Sonne läuft", ist für jeden von ihnen etwas verschieden; für den nördlicheren Beobachtungspunkt verläuft er weiter südlich.

Sie können sich das klarmachen, wenn Sie sich beispielsweise vor einen Fernseher setzen und einen Gegenstand vor ihm bewegen. Er "läuft" auf einer bestimmten Höhe über den Fernsehschirm. Stehen Sie jetzt auf (sie wechseln sozusagen den Beobachtungspunkt Richtung Norden) und wiederholen Sie genau dieselbe Bewegegung: Es wird jetzt nicht mehr dieselbe "Höhe" auf dem Bildschirm sein, auf der sie verläuft, sondern Sie sehen den sich bewegenden Gegenstand weiter unten, relativ zum Bildschirm. Eine solche Verschiebung wird als Parallaxe bezeichnet. Ihre Größe hängt von den jeweiligen Entfernungen ab.


Wie kann man die Parallaxe beim Venusdurchgang genau bestimmen? Im Prinzip könnte man den jeweiligen Abstand des Wegs der Venus vom Zentrum oder vom Rand der Sonne messen. Ein viel genaueres Verfahren, das 1769 angewandt wurde, besteht aber in einer Zeitmessung. Da die Sonne eine Kreisscheibe ist, dauert der Weg vom linken zum rechten Rand umso länger, je näher er am Zentrum der Sonne verläuft. Man brauchte also nur die Zeit des Venusdurchgangs an den verschiedenen Beobachtungsstellen genau zu messen, um die Parallaxe bestimmen zu können. Das bedeuten die Parameter Δt1 und Δt2 in der Abbildung: Die Zeitdifferenz zwischen dem Beginn und dem Ende des Durchgangs, gemessen an der jeweiligen Beobachtungs­station.


Wie gelangt man von der Parallaxe zur Bestimmung der Entfernung Sonne-Erde? Im Prinzip ist das Trigonometrie, wie Sie sie in der Schule gelernt haben. Allerdings ist die Zahl der Unbekannten eigentlich zu groß, da die Entfernung der Venus zur Sonne ja ebensowenig bekannt war wie diejenige der Erde zur Sonne. Hier half aber das Dritte Kepler'sche Gesetz, das eine feste Beziehung zwischen den Umlaufbahnen von Planeten und ihrer Umlaufzeit beschreibt.

Dieses Gesetze gilt für alle umlaufenden Himmelskörper, also beispielsweise auch für Erdsatelliten. Je höher ihre Umlaufbahn, umso länger brauchen sie für eine Erdumkreisung. Ein Satellit, der in genau 24 Stunden die Erde umkreist, also synchron zur Erddrehung, und der damit über einem Punkt zu "stehen" scheint (geostationäre Umlaufbahn) muß deshalb beispielsweise in einer ganz bestimmten Höhe kreisen; in diesem Fall genau 35.786 km. Satelliten in Erdnähe, wie die ISS, brauchen dagegen nur ungefähr 90 Minuten für eine Erdumkreisung.

Die Umlaufzeiten von Erde und Venus kannte man. Also konnte man das Verhältnis ihrer Entfernungen zur Sonne bestimmen (0,72), auch wenn man die absoluten Werte nicht kannte. Damit hatte man eine Unbekannte weniger, und die Trigonometrie konnte funktionieren.


Wie genau war die Messung der Entfernung Erde-Sonne im Jahr 1769? Weit besser als alle vorausgehenden Schätzungen, aber nach heutigen Maßstäben immer noch recht ungenau. Unter anderem, weil es schwierig war, den Beginn und das Ende des Durchgangs genau zu bestimmen. Man war ja auf sein Auge angewiesen. Die beste damalige Schätzung war 153 Millionen Kilometer. Heute weiß man, daß diese Strecke - die sogenannte Astronomische Einheit (AE) - genau 149.597.870 Kilometer beträgt. Allerdings handelt es sich um eine mittlere Entfernung; mittels des Venusdurchgangs hatte man nur die Entfernung zu dem betreffenden Zeitpunkt messen können, am 3. Juni 1769.



Zum Schluß noch eine kleine Passage aus dem Funkessay von Arno Schmidt. Sie beschreibt den Erfolg des Unternehmens:
Und das Riesenunternehmen geglückt! An 5 Stellen der Erdoberfläche hat man, bei klarem Himmel, 6 volle Stunden lang, den Weg des Planeten über die Sonnenscheibe verfolgen können: in Wardöhus am Eismeer maß Hell aus Wien in der Mitternachtssonne. Ebenso der Stockholmer Planmann zu Kajaneborg, in den weiten Wäldern Finnlands. In Nordkanada gelang die dritte. Die vierte an der Küste des mexikanischen Kalifornien. Die letzte im rousseau'schen Traumparadies O'Taheiti - oder, wie wir heute sagen, Tahiti. (...)

Drei weitere, nicht ganz so vollkommene, aber doch zur endgültigen Berechnung wichtige Beobachtungsreihen hatten die Russen geliefert : Rumowskij in Kola; Kapitän Islennieff in Jakutsk. Als letzter der Mexikaner Velasquez in Santa Anna, Kalifornien. (...)

Aber sogleich kam die nächste Verzögerung, ehe das große Werk gelungen, die Entfernung der Sonne endgültig bekannt war: der Rückweg der Beobachter war weit; und keine Post ging damals von der Südsee oder den "barren grounds"; am magnetischen Pol. Paris und Leningrad, damals führend nach Anzahl der Observatorien und dem Ruf ihrer Gelehrten, waren zum natürlichen Sammelbecken sämtlicher Rechenunterlagen geworden, dort also saß man nach jenem berühmten 3. Juni 1769, und wartete fiebernd auf das Material.
Es war die erste große derartige Zusammenarbeit von Gelehrten aus so vielen Ländern. Für Arno Schmidt eine Sternstunde Europas: "Aber einmal wenigstens war man doch, und auf's Erhabenste, einig gewesen".­
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelabbildung: Der Venusdurchgang am 8. Juni 2004; Autor SudhirP. Abbildung 1: Autorin Theresa knott. Abbildung 2: Autoren Vermeer, Duckysmokton, Ilia. Alle unter GNU Free Documentation License freigegeben.