17. Oktober 2009

Ab Montag wird der Kindle nach Deutschland ausgeliefert. Interessant wird er nur für diejenigen sein, die amerikanische Literatur lesen möchten

Vom kommenden Montag an wird Amazons Kindle nach Deutschland ausgeliefert; vorbestellen konnte man ihn schon seit einiger Zeit. Vorerst gibt es allerdings nur den Kindle 2 zum Preis von $ 279,00; zwanzig Dollar mehr als das entsprechende Gerät mit der Ausstattung für die USA. Der Kindle DX mit einem größeren Display und einer deutlich höheren Speicherkapazität (ca 3500 stat 1500 Bücher) wird vorerst weiter nur in den USA angeboten.

Ob die 279 Dollar der Endpreis für den deutschen Besteller sind, ist derzeit nicht ganz klar. Die Geräte werden direkt aus den USA versandt, und es könnten Fracht- und Zollgebühren hinzukommen; siehe den kürzlichen Artikel und vor allem die Kommentare dazu in "Spiegel-Online".

Für dieses Geld bekommt man ein beeindruckendes Gerät; ich habe schon recht enthusiastisch darüber geschrieben, als vor zwei Jahren in den USA der Kindle 1 auf den Markt kam (Amazons Kindle - besser als Bücher aus Papier?; ZR vom 20. 9. 2007).

Nicht nur kann man E-Bücher und Zeitungen herunterladen (in den USA über ein eigenes Funknetz von Amazon; in Deutschland über einen Roaming- Partner; die Karte der Versorgungsgebiete ist hier einsehbar). Sondern der Kindle ist auch ein Webbrowser, der die Wikipedia zur Verfügung stellt und der sich auch für das Ansehen anderer Angebote im Web verwenden läßt, sofern sie überwiegend aus Text bestehen. (Diese Funktion ist allerdings derzeit in Deutschland nicht freigeschaltet).

Hörbücher kann man ebenfalls herunterladen; und in der aktuellen Version gibt es sogar die (wie es heißt, "experimentelle") Option, sich jedes Buch und jede Zeitschrift vorlesen zu lassen, sofern dem keine Copyright- Bedingungen entgegenstehen.

Dazu gibt es die Möglichkeit, über die eingebaute Tastatur in den Texten nach Stichwörtern zu suchen und eigene Notizen und Randbemerkungen zu erstellen; diese können exportiert werden.



Soweit ist das alles sehr schön. Nun kommt aber der Haken: der Preis für das Herunterladen von Büchern. Hier sind die Bedingungen in Deutschland von denen in den USA so radikal verschieden, daß es auf absehbare Zeit wohl nur attraktiv sein wird, den Kindle zum Lesen und Anhören amerikanischer Literatur zu verwenden; für Zeitungen wie die FAZ, die Amazon bereits anbietet, gilt das allerdings nicht.

Warum stellen Verlage eigentlich ihre Bücher, sogar Neuerscheinungen und Bestseller, Amazon zur Verbreitung zur Verfügung? Schaden sie damit nicht dem Absatz ihrer gedruckten Bücher?

Sehr wahrscheinlich ja. Aber das kann den Verlagen gleichgültig sein. Amazon zahlt ihnen nämlich für jedes heruntergeladene Buch exakt so viel, wie sie vom Grossisten für ein gedrucktes Buch bekommen. Dies und andere Details können Sie im Internet- Magazin Slate nachlesen.

Nicht die Verlage leiden also potentiell unter der Verbreitung von E-Büchern via Amazon, sondern die Grossisten und die Buchhändler. Die Verlage machen sogar ein glänzendes Geschäft, denn wenn sie ein Buch an Amazon statt an den Grossisten oder direkt an den Buchhändler verkaufen, sparen sie ja dessen Produktionskosten.

Der Betrag, den die Verlage üblicherweise für ein Buch erlösen, entspricht ziemlich genau der Hälfte des Ladenpreises; in den USA wie in Deutschland. Eine so hohe Handelsspanne ist erforderlich, weil Bücher, von aktuellen Bestsellern abgesehen, sehr langsam umgeschlagen werden; anders als zum Beispiel die Lebensmittel und die Kurzzeit- Angebote bei Aldi, für die eine viel geringere Handelsspanne hochprofitabel ist.

Wenn Amazon in den USA den Verlagen die Hälfte des Ladenpreises zahlt, dann kann das allerdings ein Verlustgeschäft sein, denn dem Kunden stellt Amazon maximal $9,99 in Rechnung. Bei dicken Büchern ist das unter Umständen deutlich weniger als das, was Amazon dem Verlag bezahlen muß. Das wird einerseits durch Bücher mit niedrigem Ladenpreis kompensiert; vor allem aber auch durch den Verkauf der Geräte, an denen Amazon hauptsächlich verdient.



Für den Kunden ist es attraktiv, ein E-Buch zur Hälfte des Ladenpreises oder für noch weniger zu lesen; das ist ein wesentlicher Grund für den Erfolg des Kindle in den USA. In Deutschland aber ist das aufgrund der Gesetzeslage nicht möglich.

Der Buchhandel ist einer der letzten Bereiche, in denen eine gesetzliche Preisbindung der zweiten Hand gilt. Früher einmal war eine solche Preisbindung ubiquitär - einen Fernseher, ein Auto, ja sogar eine Marken- Schrankwand oder einen Beutel Tütensuppe bekam man überall zu genau demselben Preis; im kleinen Laden auf dem Land wie auch im Großkaufhaus. Heute kann in fast allen Bereichen der Einzelhändler seine Preise selbst gestalten und sogar mit dem Käufer individuell aushandeln; nur eben nicht bei Büchern.

Nicht in Deutschland bei Büchern. In anderen EU-Ländern ist auch dieser Rest Preisbindung bereits aufgehoben. In Deutschland aber gilt - vielleicht ja zu Recht - das Argument, daß das Buch ein Kulturgut ist, das einen solchen Schutz verdient. Oder genauer: Daß der kleine Buchhändler, der ohne Preisbindung nicht mit den großen Ketten konkurrieren könnte, so geschützt werden soll.

Das gilt nun auch für E-Bücher. Kein E-Buch darf in Deutschland billiger angeboten werden als die jeweils billigste gedruckte Version.

Das Herunterladen eines aktuellen Bestsellers auf den Kindle müßte also in Deutschland bis zu vierzig Euro kosten. Das wird kaum jemand für ein virtuelles Buch bezahlen wollen. Allenfalls dann, wenn eine Taschenbuchausgabe erschienen ist - wenn also das Buch nicht mehr aktuell ist -, könnte es interessant sein, die E-Buch- Version zu kaufen.

Wir sind es gewöhnt, für digitale Literatur ungleich weniger zu bezahlen als für Bücher aus Papier und Leinen. Bei Zweitausendeins kann man zum Beispiel derzeit "1.755.000 Seiten Weltliteratur, Sachbücher, Großlexika" und dazu noch Filme und Tondokumente für ganze 39,99 Euro auf DVD kaufen. Solange deutsche E-Bücher preislich nicht wenigstens ein bißchen in die Nähe solcher Angebote kommen, werden sie für einen Anbieter für Amazon, der auf niedrige Preise setzt, unattraktiv sein.

Aber es gibt ja in Deutschland genug potentielle Käufer, die Englisch lesen und die mit dem Kindle die Möglichkeit haben, statt teurer Import- Bücher englischsprachige Literatur nun günstig zu bekommen; mit allen weiteren Vorteilen des Kindle.

Und wer weiß, vielleicht entschließt sich ja unsere neue, liberalkonservative Regierung dazu, die Preisbindung für Bücher aufzuheben. Ob das gut wäre, weiß ich nicht. Das Für und Wider dazu wäre ein anderes Thema. Eine Ausnahme für E-Bücher könnte ich mir jedenfalls gut vorstellen.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Der Kindle 1. Vom Autor Tsgreer in die Public Domain gestellt. - Mit Dank an Rayson für den Hinweis darauf, daß der Webbrowser derzeit in Deutschland nicht zur Verfügung steht, sowie an Florian für einen Hinweis zur terminologischen Präzisierung.