10. Oktober 2009

Nobelpreis für Präsident Obama: Welches werden die Folgen sein?

Nach der Bekanntgabe der Preisverleihung an Barack Obama stand zunächst im Vordergrund, ob er diesen Preis denn wohl verdient habe; das war auch meine erste Reaktion. Wichtiger ist aber die Frage, welche Folgen die Wahl des Osloer Komitees hat.

Im Nouvel Observateur sieht Vincent Jauvert positive Folgen. Zwar habe Obamas Politik bisher keine Früchte getragen; dafür bedürfe es eines langen Atems. Die Amerikaner würden deshalb zunehmend ungeduldig werden:
Ils sont de plus en plus nombreux à juger que leur président est faible et n'obtient rien par sa diplomatie de la main tendue - ni en Iran ni ailleurs, à part la Russie peut-être. C'est pour cela que le Prix Nobel vient à point nommé - pour aider Barack Obama, le soutenir dans sa rénovation radicale de la politique étrangère de la première puissance.

Espérons que ce ne soit pas déjà trop tard. Que les forces rétrogrades n'ont pas déjà retrouvé suffisamment de forces à Washington pour mettre définitivement en échec le jeune président.

Diejenigen werden immer zahlreicher, die urteilen, daß ihr Präsident schwach ist und mit seiner Politik der ausgestreckten Hand nichts erreicht - im Iran so wenig wie anderswo, vielleicht mit Ausnahme Rußlands. Deshalb kommt der Nobelpreis genau im richtigen Augenblick - um Obama zu helfen, um ihn bei seiner radikalen Erneuerung der Außenpolitik der größten Weltmacht zu unterstützen.

Hoffen wir, daß es dafür nicht zu spät ist. Daß die rückwärts gewandten Kräfte in Washington nicht schon genug Kraft gefunden haben, um den jungen Präsidenten endgültig scheitern zu lassen.
Diese Analyse des von mir sehr geschätzten Vincent Jauvert scheint mir wenig plausibel zu sein.

Zum einen mögen diejenigen, die Jauvert als "rückwärts gewandte Kräfte" bezeichnet, Obama zwar innenpolitisch das Leben schwer machen. In der Außenpolitik haben die Republikaner ihm aber bisher kaum einen Stein in den Weg gelegt.

Daß im Nahen Osten nichts von dem von Obama heraufbeschworenen Frieden in Sicht ist, daß immer noch niemand weiß, welche Strategie das Weiße Haus nun eigentlich in Afghanistan verfolgt - das liegt nicht an den Republikanern. Es liegt an Obamas Neigung, unerfüllbare Hoffnungen zu wecken, und es liegt an seiner Entscheidungsschwäche.

Zum anderen ist es höchst fraglich, ob die Zuerkennung des Nobelpreises Obama überhaupt innenpolitisch stärkt. Sehen wir uns zwei frühere vergleichbare Fälle an:

Am 10. Dezember 1971 nahm Willy Brandt den Friedensnobelpreis entgegen. Er befand sich damals in einer innenpolitisch prekären Situation: Seine Ostpolitik stieß auf zunehmende Kritik; seine Mehrheit im Bundestag schwand durch Übertritte von Abgeordneten der Koalition zur CDU dahin.

Die Verleihung des Nobelpreises hat diesen Prozeß nicht gestoppt oder auch nur verlangsamt. Bereits im Frühjahr 1972, ein Vierteljahr nach der Verleihung des Nobelpreises, hatte die sozialliberale Koalition ihre Mehrheit im Bundestag verloren. Im April beantragte die Union daraufhin ein konstruktives Mißtrauensvotum, das nur deshalb scheiterte, weil mindestens zwei Abgeordnete der Union (Julius Steiner und Leo Wagner) vom MfS bestochen worden waren und gegen das Mißtrauensvotum stimmten.

Brandts Regierung war damit aber nur vorübergehend gerettet; eine Mehrheit hatte sie ja immer noch nicht. Fünf Monate später warf Brandt das Handtuch und stellte die Vertrauensfrage mit der Absicht, Neuwahlen herbeizuführen. Diese gewann er. Allenfalls darin könnte man eine Spätwirkung des Nobelpreises sehen.

Noch weniger half der Friedens- Nobelpreis Michael Gorbatschow innenpolitisch. Er nahm ihn im Dezember 1990 entgegen. Acht Monate später fand der Putschversuch statt, der ihn um die Macht brachte; auch wenn er von Jelzins Gnaden noch bis zum Dezember weiterregieren durfte.

Gewiß, das sind zwei Beispiele, die man nicht verallgemeinern darf. Sie zeigen aber jedenfalls, daß die Verleihung des Friedens- Nobelpreises an einen amtierenden Staatsmann diesen keineswegs automatisch innenpolitisch stärkt.

Das ist auch einleuchtend: Eine solche Ehrung aus Oslo wird leicht als eine Einmischung wahrgenommen; allenfalls polarisiert sie. So war es bei Willy Brandt 1971; so dürfte es bei Gorbatschow 1990 gewesen sein. Und es sieht ganz so aus, als spalte auch jetzt die Verleihung an Obama die amerikanische Nation. Wie die Washington Post schreibt:
Instead of the universal tribute that often accompanies a Nobel Prize, Obama's award resulted in a deluge of response that included all the divisiveness of the presidential campaign. The reactions Friday to Obama's winning the prize tended to cast him as either a savior or a fraud, with little conversation in between. There was bewilderment and cynicism, hope and pride.

Statt der allgemeinen Anerkennung, die oft mit einem Nobelpreis einhergeht, brachte die Ehrung Obamas eine Sintflut von Reaktionen hervor, welche die ganze Gespaltenheit des Präsidentschafts- Wahlkampfs umspannte. Die Reaktionen am Freitag auf die Zuerkennung des Nobelpreises an Obama tendierten dazu, ihn entweder als den Erlöser oder als einen Schwindler darzustellen; dazwischen gab es kaum eine Kommunikation. Es gab Bestürztheit und Zynismus, Hoffnung und Stolz.



Und in der Außenpolitik? Natürlich gratulieren alle dem Präsidenten, wie es sich gehört. Aber daß er aus der Ehrung Kapital schlagen könnte, ist jedenfalls im Augenblick nicht zu erkennen.

Im Gegenteil: Das Widersprüchliche seine Politik wird noch deutlicher zutage treten. Der Träger des Friedens- Nobelpreises ist zugleich der Oberbefehlshaber der gewaltigsten Militärmaschine der Welt. Eine seiner ersten Amtshandlungen war es, mehr Truppen nach Afghanistan zu schicken. Jüngst hat er erklärt, gegenüber dem Iran lägen "alle Optionen auf dem Tisch", was nach diplomatischem Sprachgebrauch bedeutet, daß er auch einen Militärschlag nicht mehr ausschließt.

Willy Brandt konnte überzeugend als Friedenskanzler auftreten; gegen wen hätte er mit Krieg drohen sollen? Michael Gorbatschow konnte, als er Ende 1990 diesen Preis erhielt, nichts anderes als friedfertig sein; angesichts der sich auflösenden Sowjetmacht. Aber Obama hat gar keine Wahl, als die militärische Macht der USA bei Bedarf einzusetzen; bei Strafe des Verlusts des Status als Weltmacht.

Es bedarf keiner prophetischen Gabe, um vorherzusehen, wie die Gegner der USA diesen Nobelpreis propagandistisch nutzen werden: Bei jeder militärischen Operation der USA, schon bei jeder Drohung mit militärischem Eingreifen wird man hohnlachend fragen: Und dieser Mann hat den Friedens- Nobelpreis bekommen? Wofür eigentlich?



Die Titelvignette zeigt das offizielle Foto von Präsident Obama. Es wurde wenige Stunden vor seinem Amtsantritt von Peter Souza aufgenommen und ist unter Creative Commons Attribution 3.0 Unported License freigegeben. Für Kommentare bitte hier klicken.