Eric Besson ist ein Minister, wie es ihn in Deutschland nicht geben könnte: Erstens gehört er als langjähriger Sozialist der Regierung des Konservativen François Fillon unter dem konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy an. Zweitens leitet Besson ein Ministerium, dessen Bezeichnung allein für sich schon ausreichen würde, um in Deutschland einen Aufschrei der Empörung auszulösen: Das Ministère de l'immigration, de l'integration, de l'identité nationale de du developpement solidaire, das Ministerium für Einwanderung, Integration, nationale Identität und solidarische Entwicklung.
Seine Zuständigkeit für die nationale Identität der Franzosen nun hat den Minister Besson veranlaßt, eine Initiative zu starten, die - so zeichnet sich bereits im Lauf des Tages ab - zu heftigen Debatten führen wird. Nachdem Besson diese Initiative gestern schon im Fernsehen angekündigt hatte, lieferte heute sein Ministerium die formale Ankündigung:
Nicht wahr, wer als Minister dergleichen in Deutschland unternehmen würde, der wäre am nächsten Tag weg vom Fenster. Oder vielmehr: So würde sich eben kein deutscher Minister heraushängen, aus dem Fenster. Keiner jedenfalls, der nicht den politischen Suizid plant.
In dem Land, in dem schon jemand wie Thilo Sarrazin für eine beherzte Darstellung der Verhältnisse, wie sie nun einmal sind, einem Ostrakismos unterworfen wurde, als hätte er die heiligsten Werte der Demokratie besudelt, wird kein Minister es wagen, den Begriff "nationale Identität" auch nur in den Mund zu nehmen; geschweige denn, daß ein Ministerium diese Bezeichnung trägt und ein Minister die damit bezeichnete Aufgabe ernst nimmt, indem er eine öffentliche Debatte über die nationale Identität in die Wege leitet.
Auch in Frankreich gab es im Lauf des heutigen Tages heftige Reaktionen. Aber niemand hat Besson bisher vorgeworfen, daß er ein Rechtsextremist sei; daß es nicht angehe, Einwanderer zu französisieren oder dergleichen mehr von dem, was in Deutschland unvermeidlich wäre.
Vorgeworfen wird Besson vielmehr - so kann man aktuell zum Beispiel im Nouvel Observateur lesen, - daß er von der Ausweisung afghanischer Flüchtlinge ablenken wolle (die sozialistische Abgeordnete Elisbath Guigou) oder von der Wirtschaftskrise (der sozialistische Abgeordnete Christian Paul); oder daß er den Patriotismus nicht mit den richtigen Methoden fördere. Man müsse die jungen Franzosen dazu bringen, Frankreich und seine Werte zu lieben, meinte zum Beispiel der sozialistische Europa- Abgeordnete Vincent Peillon, aber nicht durch eine solche Debatte.
Patriotismus und nationale Identität sind für die Franzosen etwas ganz anderes als für uns Deutsche. In Frankreich ist die nationale Identität ein Wert, der über das gesamte politische Spektrum hinweg hochgehalten wird.
Niemand käme auf den Gedanken, im Patriotismus etwas politisch Rechtes oder gar Rechtsextremes zu sehen. Schließlich ist die Nationalhymne zugleich das Lied der Revolution gewesen. Das "marchons, marchons!" in der Marseillaise - marschieren wir, marschieren wir! - ist nicht der Aufruf, gegen die Schlösser der Aristokraten zu marschieren, sondern das Vaterland gegen fremde Eindringlinge zu verteidigen, deren "Blut unsere Äcker düngen möge".
Patrioten sind sie alle, die Franzosen. Für die Assimilation der Einwanderer treten sie fast alle ein, von rechts bis links. Verschiedenheit ja, aber innerhalb der gemeinsamen nationalen Identität.
Und so haben denn auch die Kommunisten dem Minister Besson wegen seiner Initiative nicht etwa Nationalismus vorgeworfen, sondern eine "Rückkehr des widerwärtigsten Pétainismus". Pétain wird bekanntlich als das Gegenteil eines Patrioten angesehen; er war der Präsident des mit den deutschen Besatzern kollaborierenden Frankreich.
Seine Zuständigkeit für die nationale Identität der Franzosen nun hat den Minister Besson veranlaßt, eine Initiative zu starten, die - so zeichnet sich bereits im Lauf des Tages ab - zu heftigen Debatten führen wird. Nachdem Besson diese Initiative gestern schon im Fernsehen angekündigt hatte, lieferte heute sein Ministerium die formale Ankündigung:
Eric BESSON lance un grand débat sur l’identité nationaleWorum es gehen soll, wird dann im einzelnen erläutert. Es seien zwei große Fragen zu besprechen, schreibt der Minister: Was bedeutet es für Sie heute, Franzose zu sein? Zweitens: Wie können wir es besser erreichen, daß diejenigen, die in unser Land kommen und hier bleiben, diese Werte übernehmen?
Eric BESSON, Ministre de l’immigration, de l’intégration, de l’identité nationale et du développement solidaire a décidé l’ouverture le 2 novembre 2009 d’un grand débat sur l’identité nationale. Ce débat sera décliné dans chacune des 100 préfectures de département et des 350 sous-préfectures d’arrondissement, où les réunions seront animées par le corps préfectoral et les parlementaires nationaux et européens. Ces réunions associeront l’ensemble des forces vives de la Nation : mouvements associatifs, enseignants, élèves et parents d’élèves de l’enseignement primaire, secondaire et supérieur, organisations syndicales, représentants des chefs d’entreprises, élus locaux, représentants des anciens combattants et des associations patriotiques.
Eric BESSON initiiert eine große Debatte zur nationalen Identität
Der Minister für Einwanderung, Integration, nationale Identität und solidarische Entwicklung Eric BESSON hat angeordnet, daß am 2. November eine große Debatte über die nationale Identität eröffnet wird. Diese Debatte wird im einzelnen in jeder Präfektur der Départements und in jeder Unter- Präfektur der Bezirke durchgeführt werden. Die dortigen Versammlungen werden von den Beamten der Präfektur sowie von nationalen und europäischen Parlamentariern moderiert werden. Sie werden die Gesamtheit der lebendigen Kräfte der Nation zusammenführen: Verbände, Lehrende, Schüler und ihre Eltern aus den Grundschulen, den weiterführenden Schulen, den Universitäten, Gewerkschaften, Vertreter der Leitungen von Unternehmen, Lokalpolitiker, Vertreter der Veteranenverbände und patriotischer Vereinigungen.
Nicht wahr, wer als Minister dergleichen in Deutschland unternehmen würde, der wäre am nächsten Tag weg vom Fenster. Oder vielmehr: So würde sich eben kein deutscher Minister heraushängen, aus dem Fenster. Keiner jedenfalls, der nicht den politischen Suizid plant.
In dem Land, in dem schon jemand wie Thilo Sarrazin für eine beherzte Darstellung der Verhältnisse, wie sie nun einmal sind, einem Ostrakismos unterworfen wurde, als hätte er die heiligsten Werte der Demokratie besudelt, wird kein Minister es wagen, den Begriff "nationale Identität" auch nur in den Mund zu nehmen; geschweige denn, daß ein Ministerium diese Bezeichnung trägt und ein Minister die damit bezeichnete Aufgabe ernst nimmt, indem er eine öffentliche Debatte über die nationale Identität in die Wege leitet.
Auch in Frankreich gab es im Lauf des heutigen Tages heftige Reaktionen. Aber niemand hat Besson bisher vorgeworfen, daß er ein Rechtsextremist sei; daß es nicht angehe, Einwanderer zu französisieren oder dergleichen mehr von dem, was in Deutschland unvermeidlich wäre.
Vorgeworfen wird Besson vielmehr - so kann man aktuell zum Beispiel im Nouvel Observateur lesen, - daß er von der Ausweisung afghanischer Flüchtlinge ablenken wolle (die sozialistische Abgeordnete Elisbath Guigou) oder von der Wirtschaftskrise (der sozialistische Abgeordnete Christian Paul); oder daß er den Patriotismus nicht mit den richtigen Methoden fördere. Man müsse die jungen Franzosen dazu bringen, Frankreich und seine Werte zu lieben, meinte zum Beispiel der sozialistische Europa- Abgeordnete Vincent Peillon, aber nicht durch eine solche Debatte.
Patriotismus und nationale Identität sind für die Franzosen etwas ganz anderes als für uns Deutsche. In Frankreich ist die nationale Identität ein Wert, der über das gesamte politische Spektrum hinweg hochgehalten wird.
Niemand käme auf den Gedanken, im Patriotismus etwas politisch Rechtes oder gar Rechtsextremes zu sehen. Schließlich ist die Nationalhymne zugleich das Lied der Revolution gewesen. Das "marchons, marchons!" in der Marseillaise - marschieren wir, marschieren wir! - ist nicht der Aufruf, gegen die Schlösser der Aristokraten zu marschieren, sondern das Vaterland gegen fremde Eindringlinge zu verteidigen, deren "Blut unsere Äcker düngen möge".
Patrioten sind sie alle, die Franzosen. Für die Assimilation der Einwanderer treten sie fast alle ein, von rechts bis links. Verschiedenheit ja, aber innerhalb der gemeinsamen nationalen Identität.
Und so haben denn auch die Kommunisten dem Minister Besson wegen seiner Initiative nicht etwa Nationalismus vorgeworfen, sondern eine "Rückkehr des widerwärtigsten Pétainismus". Pétain wird bekanntlich als das Gegenteil eines Patrioten angesehen; er war der Präsident des mit den deutschen Besatzern kollaborierenden Frankreich.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie findet man hier. Titelvignette: Eugène Delacroix, La Liberté guidant le peuple (1830); Ausschnitt.