13. Oktober 2009

Neues aus der Forschung (6): Hypnose - Scharlatanerie oder ernsthafter Forschungsgegenstand? Teil 1: Fragwürdiges

Die Hypnose steht in keinem guten Ruf. Ein Phänomen zwischen Therapie und Bühnen- Klamauk. Ein Phänomen, von dem gar nicht sicher ist, daß es überhaupt existiert - besteht der ganze Zauber nicht vielleicht nur darin, daß jemand die Rolle des "Hypnotisierten" übernimmt und sie spielt, so gut er denn kann? Für diese skeptische Position gibt es ausgezeichnete Argumente; im Skeptic's Dictionary sind sie konzis zusammengefaßt.

Und noch dazu ist die Hypnose ein Phänomen mit einer anrüchigen Vergangenheit, die zurückreicht bis ins 18. Jahrhundert, als der Theologe und Mediziner Franz Anton Mesmer mit seinen fragwürdigen Vorführungen des "animalischen Magnetismus" die Damen und Messieurs des Rokoko beeindruckte. Schon damals kamen mehrere wissenschaftliche Kommissionen zu dem Schluß, daß es für die Existenz des von Mesmer behaupteten animalischen Magnetismus keine Belege gebe. Der britische Medizin- Historiker I.M.L. Donaldson hat das mit Liebe zum Detail recherchiert.

Auch daß Sigmund Freud es zuerst mit Hypnose versuchte, bevor er das Verfahren der Psychanalyse entwickelte, macht die Sache für viele wohl kaum seriöser. Er hatte das Hypnotisieren während seines Studienauftenthalts in Frankreich gelernt; unter anderem bei Jean-Marie Charcot an dem berühmten Hospital Salpêtrière.

Hier sehen Sie Charcot auf einem zeitgenössischen Gemälde in Aktion. Ob die in die Arme eines Assistenten gesunkene Frau hypnotisiert war oder einen hysterischen Anfall hatte, ist allerdings nicht ganz klar:


Reichlich schwankender Boden also. Viele Psychologen und Neurowissenschaftler haben es deshalb lange vermieden, sich mit der Hypnose zu befassen. Zumal anfängliche Versuche, Besonderheiten im EEG zu finden, während jemand hypnotisiert ist, ohne Ergebnis blieben. Das EEG unter Hypnose schien dem Wach-EEG zu gleichen wie ein Ei dem anderen.

Also alles doch nur Schwindel, nur ein Rollenspiel, bei dem der "Hypnotisierte" mitmacht? Wohl doch nicht, wie die aktuelle Forschung zeigt.



Betrachten wir, bevor wir uns der Hirnforschung zuwenden, etwas Geläufigeres. Nehmen wir den Fußball; nehmen wir dort den Torwart. Man hat entsprechenede Äußerungen von den Torleuten Kahn und Lehmann gehört; jüngst hat es René Adler nach dem Spiel am vergangenen Samstag gegen Rußland gesagt: Ein Spitzentorwart befindet sich während des Spiels in einem Zustand trance- artiger Konzentration. "Spiegel- Online! über René Adler:
Es war die ihm eigene absolute Konzentration, die seine ohnehin gezügelten Emotionen in diesem Augenblick völlig ausschaltete. "Ich habe gar nicht realisiert, dass Schluss war", schilderte Adler im Kabinentrakt des Luschniki- Stadions die Schlussszene. "Ich habe gedacht, der Schiedsrichter hat Freistoß gepfiffen. Ich war wirklich noch sehr angespannt in diesem Moment und so auf dieses Spiel fokussiert, dass ich den Ball nicht aus den Augen lassen wollte." Bis der Schweizer Schiedsrichter Massimo Busacca das Match abpfiff. "Es hat ein paar Sekunden gedauert, bis mir klar war, dass das Spiel vorbei ist. Ich musste das erst sacken lassen. Dann kamen nach und nach auch die Emotionen."
Ein solcher Zustand extremer Konzentration, der die Aufmerksamkeit auf eine einzige Aufgabe fokussiert, stellt sich in vielen Situationen ein. Beim Dirigenten, für den während des Dirigierens das Orchester und das Musikstück seine kognitive Welt sind; beim Soldaten, der sich so auf den Kampf konzentriert, daß er selbst eine schwere Verwundung nicht bemerkt. Auch der Computerspieler kennt das, der nicht bemerkt, was um ihn herum im Raum vorgeht, während er seine Punkte zu erjagen trachtet.

Die Möglichkeit, daß wir uns derart konzentrieren können, ist biologisch sinnvoll. Sie ermöglicht es uns, alle Ressourcen für eine Aufgabe von besonderer Wichtigkeit bereitzustellen. Daß wir dafür das monitoring, die Überwachung unserer Umwelt auf neue Ereignisse hin, vorübergehend vernachlässigen, kann in Kauf genommen werden.

Für solche Zustände höchster Konzentration hat sich die Bezeichnung "Trance" eingebürgert; eine unglückliche Bezeichnung, weil sie für etwas ganz Natürliches und Normales ein Wort verwendet, das mit allerlei fragwürdigen Konnotationen belastet ist. Die Technik des Hypnotisierens besteht darin, einen solchen Zustand der Trance herbeizuführen, in dem der Hypnotisierte seine Aufmerksamkeit ganz auf den Hypnotiseur konzentriert, so daß er für dessen Suggestionen offen ist.

Wenn dies also ein biologisch zwar nicht häufiger, aber normaler Zustand ist, dann darf man erwarten, daß ihm identifizierbare Gehirnmechanismen zugrundeliegen. Anders als die ältere Forschung, die mit der damaligen groben Methode der Analyse von EEG-Frequenzen nichts hatte finden können, haben die heutigen Methoden der Darstellung von Gehirnvorgängen mit bildgebenden Verfahren höchst Interessantes zutage gefördert.

In Science News (Bd. 176, Nr.8, 10. Oktober 2009, S. 26) hat jetzt Susan Gaidos diese neuen Ergebnisse zusammengefaßt. Über sie berichte ich im zweiten Teil.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Galileo Galilei, gemalt im Jahr 1605 von Domenico Robusti. Ausschnitt. Illustration: Der Hypnoseforscher Jean-Marie Charcot bei einer Demonstration vor seinen Studenten. Gemälde von André Brouillet (1887). Ausschnitt. Copyright erloschen.