14. Juli 2010

Zitat des Tages: Hannelore Ypsilanti? Über eine gebrochene Zusage und die Meute der Wachhunde

Ich schließe für NRW jegliche Tolerierung aus. Es ist einfach unrealistisch, ein 18-Millionen-Land in einer solchen Form zu regieren.

Hannelore Kraft laut "Focus-Online" am 1. März 2010 nach einer Sitzung des SPD-Präsidiums in Berlin. Ich habe das schon einmal zitiert: Das Versprechen der Hannelore Kraft; ZR vom 20. 6. 2010.


Kommentar: Hannelore Kraft will also ab heute das Land NRW auf eine Art regieren, die sie vor der Wahl ausdrücklich ausgeschlossen hat. Sie will exakt das tun, was sie für unrealistisch erklärt hat.

Soll man darauf herumreiten, wie ich das jetzt tue, indem ich das Zitat recycle? Ich denke, man sollte. Denn dieses Beispiel zeigt zweierlei.

Erstens werden in Wahlkämpfen Versprechungen gemacht, die man nach der Wahl nicht halten kann oder nicht halten will. Das geschieht wieder und wieder, obwohl es wieder und wieder schlecht ausgeht. Das zeigt mangelnde Professionalität

Hannelore Kraft wollte den Fehler Andrea Ypsilantis vermeiden, eine Koalition mit den Kommunisten auszuschließen. Aber eine Tolerierung hat sie ausgeschlossen; aus dem sehr guten Grund, daß man ein großes Land nicht auf diese Weise regieren kann.

Sie hat das ohne Not getan, und ohne erkennbaren Vorteil im Wahlkampf. Was einen Teil der Wähler interessierte, das war gewesen, ob die SPD zu einer Volksfront-Regierung bereit sein würde. Diese hat Hannelore Kraft bekanntlich nicht ausgeschlossen.

Die Frage einer möglichen Tolerierung dürfte hingegen kaum einen Wähler interessiert haben. Wer die SPD in dem Bewußtsein wählte, damit möglicherweise eine Volksfront-Regierung zu wählen, der hätte sie auch gewählt, wenn Kraft die Möglichkeit einer Tolerierung durch die Kommunisten offengelassen hätte.

Was bei Ypsilanti ein gezieltes Täuschungsmanöver gewesen war, das tat Kraft aus Ungeschick: Etwas erst zu versprechen, was sie dann nicht halten wollte oder konnte. Bei Ypsilanti eher "wollte"; bei Kraft eher "konnte"; sie hat sich ja gegen die Tolerierungs-Lösung bis zum Schluß gewehrt.

Das zweite ist der Eindruck, daß Politiker wie Ypsilanti und Kraft offenbar überhaupt nicht verstehen, was sie mit Wortbrüchen und mit nach der Wahl wieder kassierten Zusagen anrichten.

Vielleicht glauben sie immer noch das Märchen, daß "der Wähler ein kurzes Gedächtnis" habe. Man könne ihm das Blaue vom Himmel versprechen; nach der Wahl sei das ja doch bald vergessen.

Vielleicht - sehr wahrscheinlich sogar - war das einmal so. Für den einzelnen Wähler stimmt es vermutlich auch immer noch; ihm fehlt schlicht das politische Interesse, um sich zu merken, wer was versprochen hat. Aber da sind ja noch die Medien.



Die deutschen Medien haben sich in den vergangenen Jahrzehnten in einem Maß gewandelt, das vielen ihrer Konsumenten gar nicht bewußt ist. In einem immer schärfer werdenden Wettbewerb sind die meisten so geworden, wie bis in die siebziger Jahre hinein nur der "Spiegel" gewesen war: Immer darauf aus, Politiker niederzumachen, sie zu demaskieren, ihnen Fehler nachzuweisen.

Der "Spiegel" hat damit seinerzeit eine wichtige Funktion erfüllt, nämlich die eines Wachhunds der Demokratie. Jetzt aber wimmelt es von Wachhunden, die sich um die Knochen der brisanten und peinlichen Nachrichten raufen. Aus dem einzelnen Wachhund ist eine Meute geworden.

Lob von Politikern vernimmt man kaum noch; selten auch nur eine neutrale Analyse ihres Verhaltens. Die Regel ist Kritik; und zwar rundum, ohne Ansehen der Partei. Die Kanzlerin wird heute von der "bürgerlichen" Presse so niedergemacht wie Konrad Adenauer einst nur vom "Spiegel".

Der Nachweis gebrochener Versprechen paßt da hinein. Das Ergebnis ist ein wachsendes allgemeines Mißtrauen in die Politik; eine, wie man so sagt "Politikverdrossenheit".

Sie liegt nicht daran, daß heute schlechtere Politik gemacht werden würde als zur Zeit von Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Schmidt. Aber wir alle wissen über die Politik ja nur das, was wir aus den Medien erfahren. Was wir erfahren, ist heutzutage enttäuschend, oft degoûtant. Über die Jahre, über die Jahrzehnte prägt dies das Bild von der Politik und den Politikern.

Wer sich in diesem Biotop, das durchaus Merkmale eines Haifischbeckens trägt, als Politiker behaupten will, der muß mit allen Wassern gewaschen sein. Als Hannelore Kraft eine Tolerierung ausschloß, erwies sie sich eher als noch nicht ganz trocken hinter den Ohren.



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