14. Juli 2010

Pro und contra Homöopathie: Keine einfache Entscheidung

Der Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach, hat gefordert, man solle "den Kassen schlicht verbieten, die Homöopathie zu bezahlen." Anzuerkennen ist, daß er nicht gleich die ganze Homöopathie verbieten will; getreu der linken politischen Philosophie, daß der Staat stets besser weiß als der Bürger selbst, was diesem guttut und was ihm abträglich ist.

Warum will er, daß die Kassen eine homöopathische Behandlung nicht mehr bezahlen dürfen? Weil "die Krankenkassen mit ihrem Vorgehen" die Homöopathie "adeln" würden, sagt Lauterbach.

Wie unadelig ist sie denn, die Homöopathie? Ist sie am Ende nicht nur bürgerlich, sondern gar nichtsnutzig; subproletarisch sozusagen? Nämlich schlicht unwirksam?

Da muß man sehr unterscheiden zwischen der Wirksamkeit homöopathischer Medikamente und der Wirksamkeit einer homöopathischen Behandlung.



Was die Medikamente und die theoretischen Grundlage für diese Art der Medikation angeht, ist die Homöopathie eine einzige Katastrophe. Wissenschaftlich indiskutabel.

Von einer wissenschaftlichen Behauptung erwartet man, daß sie erstens hinreichend plausibel und zweitens hinreichend gut belegt ist.

Je weniger plausibel eine Behauptung ist - je weniger sie also mit dem bisherigen Forschungsstand übereinstimmt -, umso besser muß sie belegt sein, damit man sie akzeptieren kann. Die geläufige Formel dafür ist extraordinary claims require extraordinary evidence - außerordentliche Behauptungen verlangen außerordentliche Belege.

Anders gesagt: Wenn etwas von vornherein unwahrscheinlich ist, dann braucht man starke Belege, um es dennoch als wahr zu akzeptieren. Bei einer ohnehin von vornherein ("a priori") wahrscheinlich richtigen Aussage kann man sich dagegen mit weniger zwingenden Belegen zufriedengeben.

Mathematisch wird das durch das Bayes'sche Theorem ausgedrückt. Man kann es sich aber auch leicht an Beispielen klarmachen. Wenn jemand mir sagt "Heute morgen bin ich mit Kopfschmerzen aufgewacht", dann werde ich ihm das erst einmal glauben, denn es ist a priori wahrscheinlich. Wenn er aber sagt "Heute morgen standen in meinem Zimmer sieben winzige, glibberige, grüne Marsmenschen, die, begleitet von einer Harfe, die Nationalhymne von Tuvalu sangen", dann werde ich dafür Beweise verlangen, weil es a priori unwahrscheinlich ist.

Denn es ist unplausibel, daß mein Gewährsmann die Nationalhymne von Tuvalu kennt; auch würde eine Harfe nicht durch seine Zimmertür passen.

Was nun die Medikamente angeht, die in der Homöopathie eingesetzt werden, so ist ihre Wirksamkeit erstens a priori unwahrscheinlich und zweitens miserabel belegt. Ungünstiger kann es für eine wissenschaftliche Hypothese gar nicht stehen.



Sie ist unplausibel, weil sie nicht dem Stand der heutigen Forschung entspricht, sondern dem Stand der Medizin von vor zweihundert Jahren; genauer: dem Kenntnisstand eines damaligen medizinischen Außenseiters, Samuel Hahnemann.

Die Pharmakologie steckte damals noch in ihren Anfängen. Man kannte die Wirkung bestimmter Medikamente, wußte aber nicht, wie und warum sie wirken. Die Brücke zur Physiologie, die sich erst ganz am Anfang des Aufschwungs befand, den sie im 19. Jahrhundert erleben sollte, war noch kaum geschlagen.

In dieser wissenschaftlichen Frühzeit der wissenschaftlichen Medizin dachte sich Samuel Hahnemann allerlei aus. Er meinte Belege dafür zu haben, daß man Gleiches mit Gleichem (griechisch homoios) heilen müsse; daher der Name "Homöopathie". Aber wie kann eine Substanz heilen, die doch auch krank macht? Sie kann es, wenn man sie in geringer Dosierung verabreicht, meinte Hahnemann.

Wenn man so will, hatte er damit das Prinzip des Impfens formuliert: Ein niedrig dosierter Erreger löst eine Reaktion des Immunsystems aus, die dann auch für derartige Erreger in höherer Konzentration bereitsteht. Aber das ist, wie wir heute wissen, ein therapeutischer - oder eigentlich prophylaktischer - Sonderfall (und wird, nebenbei, von der Homöopathie abgelehnt). Ein allgemeines Prinzip, daß man Gleiches mit Gleichem heilen kann, gibt es nicht. Das ist das Ergebnis von zweihundert Jahren physiologischer und pharmakologischer Forschung seit der Zeit Hahnemanns.

Es gibt ein solches Prinzip ebensowenig, wie es irgendeine bekannte physiologische oder auch nur physikalische Grundlage dafür gibt, daß Substanzen auch noch in "homöopathischen Dosen" wirksam sein können; nämlich so stark verdünnt ("potenziert"), daß kaum noch etwas von der Ursprungs-Substanz in der Verdünnung ist.

In der aktuellen Titelgeschichte des "Spiegel" (27/2010, S. 58 - 67) kann man das illustriert finden: Bei einer "Potenz D9" (die ursprüngliche Substanz wird im Verhältnis 1:10 verdünnt, das Ergebnis wiederum im Verhältnis 1:10 uns so fort, insgesamt neun Mal) ist noch ein einziger Tropfen dieser Substanz in einer Menge der Lösung, die dem Inhalt eines Tanklasters entspricht. Bei D23 ist es ein Tropfen in der Wassermenge des Mittelmeers. Es werden Verdünnungen bis zu D1000 verwendet.

Der Kunde kauft also, wenn er "Globuli" erwirbt, faktisch nichts als Wasser oder ein anderes Lösungsmittel, etwa Ethanol. Mit nichts darin, aber für teures Geld.

Nun argumentieren Anhänger der Homöopathie, die ursprüngliche Substanz hinterlasse irgendwie Spuren im Lösungsmittel; es gebe ein "Gedächtnis des Wassers". Das widerspricht nicht nur allen bekannten Ergebnissen der Physik, sondern es fehlt auch jeder Beleg dafür.

Damit sind wir beim zweiten Aspekt, demjenigen der empirischen Belege. Etwas kann ja der Fall sein, auch wenn es den bestehenden wissenschaftlichen Auffassungen widerspricht.

Vielleicht existiert ein "Gedächtnis des Wassers", auch wenn es dafür keine bekannte physikalische Grundlage gibt. Vielleicht kann man wirklich mit solchen nach etablierten Erkenntnissen wirkungslosen Substanzen heilen. Vielleicht gilt dabei ein der modernen Medizin unbekanntes Prinzip, nämliches des Heilens von "Gleichem durch Gleiches".

Das könnte alles sein. Aber da es sehr unplausibel ist, brauchte man - Extraordinary claims require extraordinary evidence - starke Belege, um es zu akzeptieren.

Diese aber existieren schlicht nicht. Das "Gedächtnis des Wassers" hat noch niemand nachweisen können. Die Wirksamkeit homöopathischer Medikamente ist nach den Standards der Wirksamkeitsprüfung von Arzneimitteln nicht belegt; Einzelheiten kann man beispielsweise in dem zitierten Artikel des "Spiegel" nachlesen. Vor allem in den methodisch besten Untersuchungen fand sich kein Hinweis auf eine Wirksamkeit homöopathischer Präparate.



Sollte man also Karl Lauterbach folgen? Das ist keineswegs offensichtlich. Denn wenn auch die homöopathischen Mittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unwirksam sind - die homöopathische Behandlung ist es keineswegs. Millionen von Patienten sind mit dieser Art von Behandlung zufrieden. Sie sind offenbar der Meinung, daß der homöopathische Doktor "ihnen geholfen" hat.

Letztlich geht es in der Medizin um das Wohlbefinden des Patienten. Wenn eine homöopathische Therapie das Wohlbefinden verbessert - wenn es dem Patienten nach der Behandlung besser geht als zuvor -, dann hat diese Behandlung ihre Berechtigung.

Warum geht es dem Patienten besser? Ein offensichtlicher Faktor sind Placebo-Effekte. Allein der Glaube des Patienten, wirksam behandelt zu werden, kann sich günstig auswirken. Und zwar nicht nur auf das subjektive Befinden, sondern auch auf den objektiven Krankheitsverlauf. Placebos haben objektiv nachweisbare Wirkungen im Gehirn.

Zweitens wird man in der Regel auch ohne wirksame Behandlung wieder gesund; jedenfalls bei geringfügigeren Erkrankungen. Eine alte Volksweisheit besagt, daß eine Erkältung zwei Wochen dauert, wenn man zum Doktor geht, und vierzehn Tage, wenn man zu Hause bleibt. Wird man behandelt, dann tendiert man dazu, eine Besserung oder Heilung kausal auf diese Behandlung zurückzuführen. Daß der Verlauf ohne Behandlung möglicherweise genauso gewesen wäre, weiß man ja nicht.



Warum neigen Menschen dazu, zum Arzt zu gehen, statt auf die Selbstheilungskräfte ihres Körpers zu vertrauen? Dafür gibt es sicher viele Motive; darunter das triviale, daß man als Arbeitnehmer nur dann zu Hause bleiben darf, wenn man krankgeschrieben ist. Ein weiteres rationales Motiv ist, daß sich hinter einer banalen Erkrankung ja auch etwas Ernstes verbergen könnte. Und drittens kann der Arzt oft die Symptome lindern, auch wenn die Behandlung vielleicht den Verlauf selbst nur wenig beeinflußt.

Vor allem aber dürfte ein psychologisches Moment eine zentrale Rolle spielen: Wir sind es gewohnt - und sind vielleicht ja auch genetisch so eingerichtet - , etwas zu tun, wenn wir einer Schwierigkeit, einem Mangel, etwas uns Unzuträglichem gegenüberstehen. Gegen eine Erkrankung kann man aber selbst meist wenig tun; oft weiß man noch nicht einmal, was eigentlich los ist. Das erzeugt einen Zustand der Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins.

Dagegen hilft der Besuch beim Arzt. Der Doktor sagt einem, was man "hat"; schon dieses Benennen hilft, weil es Unsicherheit verringert oder beseitigt. Sodann "tut er etwas"; man fühlt sich aufgehoben. Beim Homöopathen dürften solche Wirkungen (bei Patienten, die an Homöopathie glauben) stärker sein als bei wissenschaftlich arbeitenden Medizinern; schon weil er sich für den Patienten mehr Zeit nimmt.



Warum also sollte man den Kassen verbieten, homöopathische Behandlungen zu bezahlen? Daß die Medikamente unwirksam sind, ist ein schwaches Argument, solange die Behandlung wirksam ist.

Entscheidend sollten Kostenüberlegungen sein. Ist für die Krankenkassen finanziell etwas gewonnen, wenn ein Patient, statt mit seiner banalen Erkrankung zum Homöopathen zu gehen, einen wissenschaftlich arbeitenden Mediziner aufsucht, der seine Apparate "auslasten" möchte? Das ist zu bezweifeln.

Also sollte man es beim jetzigen Zustand belassen. Eine andere Frage ist es, wieso so viele Menschen - oft mit Abitur, manche mit Studium - an den Hokuspokus der Homöopathie glauben können; sie könnten ebenso zum Voodoo-Zauberer gehen. Offenbar hat man ihnen auf der Schule und im Studium kein wissenschaftliches Denken beigebracht.

Und erst recht ist zu fragen, wie Ärzte, die eine wissenschaftliche Ausbildung durchlaufen haben, ernsthaft glauben können, daß man den menschlichen Organismus beeinflussen kann, indem man dem Patienten Globuli verabreicht; darin Ethanol und vielleicht einige Moleküle der Exkremente des Pottwals oder von Pferdehaar.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Samuel Hahnemann 1841. In der Public Domain, da das Copyright erloschen ist.