30. Juli 2010

Marginalie: Sündenbock Sauerland

In "Zeit-Online" gibt es derzeit zwei Aufmacher. Der eine trägt die Überschrift "Bürgermeister Sauerland ohne Rückhalt"; der andere ist betitelt "Ein Rathaus ruiniert seinen Ruf". Gemeint ist das Duisburger Rathaus.

In der Liste der meistgelesenen Beiträge stehen diese beiden Artikel derzeit an der zweiten und dritten Stelle; hinter einem Beitrag über die Haftentlassung von Jörg Kachelmann.

In einem dritten Artikel zum selben Thema ("Wir haben die Schnauze voll") heißt es in "Zeit-Online":
Fünf Tage nach der Katastrophe von Duisburg haben sich an diesem Morgen über 300 Menschen vor dem Sitz des Oberbürgermeisters versammelt, um ihre Wut loszuwerden. (...) Antworten und Rücktritte – das ist es, weswegen sie alle heute gekommen sind. "Blut klebt an euren Händen", steht auf einem Plakat. Einer trägt gar einen Galgen vor sich her, an dem eine Stoffpuppe mit dem aufgeklebten Gesicht des Oberbürgermeisters baumelt.
Was ist da los?

Bisher ist über die Ursachen des Unglücks von Duisburg nur bekannt, daß eine Reihe von Faktoren zusammenwirkten; wie es bei solchen Ereignissen die Regel ist. Ich habe sie am Mittwoch genannt (Ein bisher übersehener Faktor bei dem Unglück während der Love Parade; ZR vom 28. 7. 2010):
  • Die Unfähigkeit des Veranstalters Schaller, dessen Organisation versagte.

  • Die Genehmigung einer Veranstaltung durch die Stadt Duisburg, die so nicht hätte genehmigt werden dürfen.

  • Das kriminelle Verhalten von Teilnehmern, die eine Sperre der Polizei gewaltsam durchbrachen, wodurch zwei Besucherströme aufeinandertreffen konnten.
  • Von diesen drei Faktoren wird in der bisherigen öffentlichen Diskussion der dritte völlig ausgeklammert. Schaller wird zwar kritisiert, aber seltsam emotionslos. Die Emotionen richten sich ganz überwiegend gegen die Stadt Duisburg, und dort wiederum fast ausschließlich gegen Oberbürgermeister Sauerland.

    Bisher ist nur unvollständig bekannt, welche Rolle Sauerland in dem Genehmigungsverfahren gespielt hat.

    Es ist unwahrscheinlich, daß er die Gefahrenlage auf dem Gelände persönlich analysiert hat; dazu sind die zuständigen Mitarbeiter des betreffenden Amts da. Das war in diesem Fall das Baudezernat des SPD-Politikers Jürgen Dressler, der laut Auskunft der Stadt Duisburg das Sicherheitskonzept abgezeichnet hat, nachdem er zuvor Einwände erhoben gehabt hatte.

    Sauerland wollte die Veranstaltung in Duisburg haben; aber das wollten auch andere, beispielsweise Fritz Pleitgen, der Geschäftsführer von RUHR.2010 ("Hier müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um dieses Fest der Szenekultur mit seiner internationalen Strahlkraft auf die Beine zu stellen"; so Pleitgen im Februar 2010).

    Ob Sauerland über seine politische Verantwortung als Stadtoberhaupt hinaus eine persönliche Schuld trifft, ob diese gar größer ist als die von Schaller, als diejenige der Verantwortlichen des zuständigen Bauderzernats (ganz zu schweigen von der Schuld der Kriminellen, die gewaltsam die Polizeisperre durchbrochen haben) - das weiß derzeit niemand.

    Aber Adolf Sauerland wird zum Sündenbock gemacht. Sagen wir es genauer: Adolf Sauerland (CDU) wird zum Sündenbock gemacht.



    Der erste Leserkommentar zu dem Artikel in "Zeit-Online", dem ich das Zitat entnommen habe, lautet so:
    So richtig dies auch ist, es ist bedauerlich, dass es erst Toter bedarf, damit Deutsche ihrer Unzufriedenheit gegenüber dem Staat Ausdruck verleihen.

    "Die Demonstration wird auch zur Bühne derjenigen, die einmal ihre generelle Abscheu vor der Politik, vor dem System, loswerden wollen."

    Leider wird dies bald wieder in Vergessenheit geraten und die Lethargie wird wieder die Oberhand gewinnen und es geht weiter wie bisher.
    Da haben wir es, sehr treffend zusammengefaßt. Sauerland wird zum Sündenbock gemacht, nicht weil erwiesen oder auch nur wahrscheinlich wäre, daß er der Hauptschuldige ist. Sondern er wird als der personifizierte Staat gesehen.

    Er wird - ein CDU-Oberbürgermeister im traditionell roten Duisburg - als die Personifikation des "Systems" gesehen, des Kapitalismus, der liberalen Gesellschaft. Und ungeschickt, wie er agiert, ist er die ideale Besetzung für diese Rolle.



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