8. Juli 2010

Multikulti jetzt doch gescheitert? Noch nicht ganz.

Vier lange Jahre lag der Fahnenkult der Sommermärchen-WM den Denkern und Deutern im Magen. Gefährlicher Nationalismus? Ideologiefrei feiernde Jugendliche? Beides unerfreulich; aber was genau hätte man dagegen sagen sollen?

Wenn man nicht weiß, wie man gegen etwas sein soll, kann man sich Gründe überlegen, weshalb man dafür ist. Dies hat gestern, vor dem Spiel, Stefan Kaiser für die FTD auf mustergültige Weise getan.
Die aktuelle Deutschlandbegeisterung hat fast nichts mehr vom damaligen Chauvinismus [den es 1990 noch gegeben habe; K.]. Das macht es leichter, sich mit ihr zu identifizieren. Schon das Sommermärchen 2006 hat den deutschen Nationalkomplex erheblich gelindert. Plötzlich war es selbst in linksliberalen Kreisen nicht mehr verpönt, ein bisschen Patriotismus zu zeigen. Doch das neue deutsche Selbstverständnis ist damals bei Autofähnchen und "Schland"-Rufen stehen geblieben. So richtig wusste niemand, worauf genau er denn jetzt stolz sein soll.
Aber inzwischen weiß man es!
Die WM 2010 bietet nun die Chance, ein damals noch diffus gebliebenes Gefühl mit Inhalt zu füllen. Deutschland hat eine Mannschaft nach Südafrika geschickt, die nicht nur begeisternden Fußball spielt, sondern die in ihrer Zusammensetzung die Wirklichkeit des Landes viel besser spiegelt, als es je eine deutsche Nationalmannschaft vor ihr getan hat.
(...)
Neben Bastian Schweinsteiger aus Kolbermoor oder Thomas Müller aus Weilheim in Oberbayern besetzen mit Mesut Özil oder Sami Khedira die Söhne türkischer und tunesischer Einwanderer tragende Rollen im Team.
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In den Migrantenstadtteilen Berlins - in Kreuzberg, Neukölln oder Wedding - schwenken Türken und Araber deutsche Fahnen.
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Der Stolz auf die deutsche Mannschaft lässt sich nicht loslösen von ihrer multiethnischen Zusammensetzung und der damit verbundenen spielerischen Leichtigkeit.
Patriotismus und Multikulti finden zusammen - wie viele Beobachter und Analytiker haben diese neue deutsche Einheit nicht in den letzten Tagen und Wochen besungen!



Und jetzt?

0:1

Gegen eine monoethnische Mannschaft.

Und das wenige Tage, nachdem die Mustertruppe der Integration, Frankreichs Black-blanc-beur, unter skandalösen Begleitumständen gescheitert ist.

Hat hier die Wahrheit auf dem Platz die wunderbare neue deutsche Fußballtheorie schon wieder sterben lassen? Müssen wir uns von der Erkenntnis, daß sich Fußballspiele mittels diversity management gewinnen lassen, ebenso verabschieden wie wir das von der These des dominanten lateinamerikanischen Fußballs getan haben, die zwischen dem Achtel- und dem Viertelfinale recht beliebt gewesen ist?



Gehen wir kurz die theoretisch möglichen Rettungsversuche durch.

1. könnte man sich Spanien vorknöpfen, und darauf verweisen, daß dessen Multiethnizität so alt ist, daß sie sozusagen autochthon geworden ist. Ein provinzialrömisches Bevölkerungsgemisch, angereichert durch eine gotische und eine arabisch-berberische Erobererkaste; das jahrundertelange Neben- und Miteinander von muslimischer, christlicher und jüdischer Kultur: das sollte eigentlich reichen, um Spanien vor dem Vorwurf der Homogenität in Schutz zu nehmen und zugleich den Erfolg der Mannschaft in seiner historischen Dimension zu würdigen.

2. Alternativ dazu könnte man Spanien beschimpfen, dieses postfaschistische Land, in dem Straßen immer noch nach dem Generalissimus Franco benannt werden, und das sich mit Sperranlagen, wie sie die Wehrmacht an den normannischen Stränden hatte, sowie Todeszäunen in Ceuta und Melilla vor dem talentierten Fußballernachwuchs aus Afrika rassistisch abschottet. "Ja gut," könnte man auf gut fußbabblerisch sagen, "sie haben ein Spiel gegen uns gewonnen, aber wollen wir uns solche Leute wirklich zum Vorbild nehmen? Müssen wir denn wirklich jedes Spiel gewinnen, oder ist es nicht letztlich viel wichtiger, den Migranten zu zeigen, wie sie mit Deutschland gemeinsam verlieren können?"

3. Daran anschließend wäre das Vorurteil in Frage zu stellen, daß Siege in jedem Fall den Niederlagen vorzuziehen sind. Hätte ein Erfolg bei dieser Weltmeisterschaft nicht die größte Errungenschaft der Nachkriegszeit, das unprätentiöse Auftreten des Landes, wieder in Frage gestellt? Hätte nicht der Triumph des Multikulturalismus zu einer neuen Großmannssucht pervertieren können? Wie gut, daß es nicht so weit gekommen ist. Wir haben großartig gespielt und mit Haltung verloren: besser kann es doch nicht gehen.

4. könnte man - aber das wäre schon eine Verzweiflungstat in letzter Minute - vorläufig immer noch darauf verweisen, daß entgegen dem Anschein die WM noch nicht zu Ende ist und die multiethnischen Holländer ja noch gewinnen könnten.



So sehr diese Ansätze an bewährtes bundesrepublikanisches Gedankengut anschließen, so wenig überzeugungsfähig dürften sie sich angesichts des folgenden schlichten Gedankens erweisen.

Es ist doch einfach so: wenn das 4:0 gegen Argentinien ein Beweis für die Überlegenheit der multiethnisch bedingten spielerischen Leichtigkeit gewesen ist, dann ist das 0:1 gegen Spanien die Widerlegung davon. Dagegen kommt keine noch so reflektierte Deutung an.



Nein, hier ist Politik gefordert. Wenn sich so etwas wie gestern nicht wiederholen soll, müssen die Regeln geändert werden.

Die nächstliegende Idee wäre es, eine Migrantenquote einzuführen. Damit wären alle Mannschaften multikulturell und es darf wieder jeder gewinnen oder verlieren, wie ihm gerade ist.

Quotenregeln sind an sich eine ausgezeichnete Methode, haben jedoch in diesem Fall einige Nachteile.

Zunächst einmal leidet der Plan, die Spanier zu zwingen, einige Araber oder Afrikaner einzubürgern, damit wir sie endlich schlagen können, um so den Wert multikultureller Mannschaften wieder herauszustellen, an einer gewissen Widersinnigkeit - ganz abgesehen von der Frage, ob er auch funktionieren würde.

Ferner ist das Verhältnis von Migration und minoritärer Multikultur durchaus fragil. Die Südamerikaner zum Beispiel würden breit grinsen: Wir sind fast allesamt Einwanderer! Quote erfüllt! Das geht natürlich nicht; in Südamerika wäre ja im multikulturellen Sinn keine Einwanderer-, sondern eine Indio-Quote zu verlangen. Doch dann ließe sich Multikultur nicht mehr an dem einfachen Kriterium der Einwanderung festmachen, sondern würde heikle Betrachtungen über Kultur erfordern: was tunlich zu vermeiden ist. Man denke nur, die Bayern würden sich beispielsweise als eigenes Kulturvolk definieren - Deutschland könnte dann die Multikulti-Quote erfüllen, ohne Mitbürger mit türkischem oder afrikanischem Hintergrund zu nominieren. Noch schlimmer sieht es hinsichtlich der Multiethnizität aus. Andere Kriterien dafür als die faktische Migration namhaft zu machen, grenzt ja schon an Rassismus.

Nein, mit einer Quotenregelung geht es hier einmal nicht.



Doch gibt es eine einfache Möglichkeit, wie durch eine Regeländerung der Multikulturalismus vor erneuten Niederlagen geschützt werden, das Fußballspiel sogar noch spannender gestaltet und zugleich die Freude an den Erfolgen des eigenen Landes bewahrt werden kann.

Wer als Kind Fußball gespielt hat, erinnert sich bestimmt an die Methode, einen Haufen Kinder in zwei Mannschaften aufzuteilen: die beiden besten Fußballer werden Mannschaftskapitäne und wählen abwechselnd je einen Spieler für ihre Mannschaft aus. Der Charme der Methode besteht darin, daß die Mannschaften, die so gebildet werden, meistens etwa gleichstark sind und man auch immer wieder mit anderen zusammen spielt.

Und ebenso sollten in Zukunft Länderspiele ablaufen: die beiden Trainer wählen aus den 46 Spielern der vereinigten Aufgebote die Mannschaften für das kommende Spiel nach dieser Kindermethode aus, wie bisher auch unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Die Nationalität der Trainer entscheidet, unter welcher Fahne die Mannschaften jeweils spielen, so daß die Fans wissen, für wen sie jubeln sollen; da die Mannschaften gleich stark sind, ergeben sich stets unglaublich spannende Spiele; und völlig gleichgültig, wie hoch der Migranten- oder Minderheitenanteil der beiden Ausgangskader ist, werden aufgrund dieser Auswahlregel auf beiden Seiten immer gleich viele davon auflaufen. Und das unabhängig davon, an welchen Kriterien man ethnische oder kulturelle Minorität festmachen oder vielmehr lieber nicht festmachen möchte, oder überhaupt welche Art von Minorität man relevant finden will. Ganz ohne komplizierte Definitionen hätte jeglicher Monokulturalismus ausgespielt.

Fahne schwenken, glücklich sein, den Segen der Bedenkenträger haben.

So schön könnte Fußball werden. Und man sage nicht, die Fans wären damit überfordert. Niemand hat heute noch ein Problem damit, wenn in den Ligavereinen keine Söhne der Stadt mehr spielen, oder wenn ein Spieler, dem man heute noch zugejubelt hat, nächste Woche beim Gegner kickt.

Das wär's.

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