23. Januar 2010

Karl-Heinz Dellwo, das "1000. Mitglied" der "LPG junge Welt". Ist das der RAF-Mörder Dellwo? Die "Rote Armee Fraktion" und die Parteikommunisten

Ich möchte Ihnen über eine kleine Recherche berichten.

Auf meinem üblichen Gang durch die linksextreme Presse bin ich auf ein Interview in der heutigen "Jungen Welt" gestoßen, einer stramm marxistisch- leninistischen Zeitung, die einst der SED gehörte und die dann der PDS nahestand; jetzt ihrer Nachfolgepartei.

Ich habe kürzlich darauf aufmerksam gemacht, daß Dietmar Bartsch - der Mann, den Frank- Walter Steinmeier gern in die SPD aufnehmen möchte - zeitweilig Geschäftsführer der "Jungen Welt" war. In diese Position wurde er Anfang 1990 berufen, während er noch damit beschäftigt war, sein vierjähriges Studium an der "Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion" mit der Promotion abzuschließen (siehe Fraktionskämpfe bei den Kommunisten und eine schändliche, eine unfaßbare Reaktion des SPD-Fraktionsvorsitzenden Steinmeier; ZR vom 16. 1. 2010).

Dieses linksextreme Blatt also bringt heute ein Interview mit dem "1000. Mitglied der LPG junge Welt eG". "LPG", das ist - wir dürfen schmunzeln - nicht das, was es in der DDR war, also eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, sondern die "Linke Presse- & Verlagsgenossenschaft", der die "Junge Welt" inzwischen gehört.

Dieses "1000. Mitglied" sagt in dem Interview unter anderem dies:
Aus meiner Sicht hat die junge Welt noch am ehesten die Chance, sich zu einer Zeitung zu entwickeln, die Menschen in die Lage versetzt, über die Schranken des heutigen Systems hinauszudenken. Das schafft aus meiner Sicht keine andere Zeitung in diesem Land. Die junge Welt tut es in manchen Punkten noch nicht radikal genug, aber sie hat das Potential.
Beim Namen dieses Genossen, dem die "Junge Welt" noch nicht radikal genug ist, habe ich gestutzt: Karl-Heinz Dellwo.



Karl-Heinz Dellwo hieß einer der schlimmsten RAF-Mörder. Er war an dem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Stockholm im April 1975 beteiligt, bei dem die Täter den Verteidigungsattaché Andreas Baron von Mirbach viehisch ermordet haben (er war nicht das einzige Opfer). Seine Witwe hat das gegenüber der Buchautorin Anne Siemens vor einigen Jahren so geschildert:
Etwa eine Stunde lang hatte mein Mann über den Countdown seiner eigenen Erschießung zu verhandeln. Gegenüber den Polizisten musste er immer wieder auf das Ende des von der RAF an die Bundesregierung gestellten Ultimatums hinweisen. Als die Verhandlungen erfolglos blieben, wurde er nach dem letzten Wortwechsel mit der Polizei aus unmittelbarer Nähe von hinten mit fünf Schüssen in Kopf, Rücken, Becken und Beine niedergestreckt. Anschließend warfen die Terroristen den noch Lebenden mit dem Kopf voran die Treppe hinunter.

Dort lag er, schwer röchelnd auf den Treppenstufen - einsam und im Niemandsland -, bis eine aus gesundheitlichen Gründen freigelassene Geisel die Nachricht in die Freiheit brachte, dass Andreas noch lebe. Nach langwierigen Verhandlungen mit den Terroristen wurde er nach circa einer Stunde von zwei schwedischen Beamten, die nur in Unterhosen gekleidet waren, geborgen. Andreas wurde in der Universitätsklinik von Stockholm noch operiert, doch er starb gegen 18 Uhr abends - wenige Tage nach seinem vierundvierzigsten Geburtstag.
In einem Interview mit "einestages"/"Spiegel- Online" hat sich Dellwo ausdrücklich zu seiner Verantwortung für diese Tat bekannt und zugleich mitgeteilt, daß er keine Reue empfindet:
einestages: Politiker und Angehörige von RAF-Opfern verlangen heute von den Ex-RAF-Mitgliedern Reue. Zu recht?

Dellwo: Ich bedauere seit langer Zeit den Tod der Botschaftsangehörigen in Stockholm und meine Verantwortlichkeit dafür. Aber der Ruf nach Reue ist der Ruf nach einem unpolitischen Schlussstrich. Das lehne ich ab.

einestages: Welches Gefühl haben Sie heute, wenn Sie auf die Geschichte der RAF zurückblicken?

Dellwo: Ein graues. Es überwiegt die Trauer, ein zwangsläufiges Gefühl nach dem Scheitern. Andererseits sehe ich, dass wir verlieren mussten. Die Zeit war nicht reif und unsere Fehler zu schwerwiegend. Fidel Castro hat mal über die RAF gesagt: Ein heroisches Opfer, aber ein vergebliches.
So sieht der 1977 zu zweimal lebenslanger Haft verurteilte, aber bereits 1995 wieder entlassene Mörder Karl-Heinz Dellwo jetzt seine Taten; das Interview wurde am 11. Oktober 2007 publiziert. Schon im Februar 2007 hatte er gegenüber der "Welt" erklärt, "er halte die damaligen Ziele der RAF nach wie vor für richtig". Ich habe das damals in zwei Artikeln kommentiert; "... die Ziele der RAF nach wie vor für richtig"; ZR vom 26. 2. 2007 sowie Die Aktualität der RAF; ZR vom 19. 3. 2007.



Nun also ist ein gewisser Karl-Heinz Dellwo das "1000. Mitglied" der ""Linken Presse- & Verlagsgenossenschaft", die die "Junge Welt" herausgibt. Ist es wirklich der RAF-Mörder? Aus dem Begleittext zu dem Interview geht das nicht hervor; dort heißt es zu Dellwo nur: "Karl-Heinz Dellwo ist Mitbegründer des Laika-Verlags in Hamburg und 1000. Mitglied der LPG junge Welt eG". Also mußte ich ein wenig recherchieren.

In der Wikipedia findet man über die gegenwärtigen Lebensumstände des Mörders Dellwo dies: "Karl-Heinz Dellwo wohnt heute mit seiner Lebensgefährtin Gabriele Rollnik in Hamburg und arbeitet unter anderen [sic] seit 2004 mit seiner Firma bellaStoria Film als Dokumentarfilmer".

Und was macht andererseits das "1000. Mitglied" Karl-Heinz Dellwo? Es ist, wir haben es gelesen, "Mitbegründer des Laika-Verlags in Hamburg".

Also habe ich die WebSite von BellaStoria Filmproduktion aufgesucht. Und siehe, was steht da? "Laika Verlag. Bibliothek des Widerstands". Er ist es also. Das "1000. Mitglied" ist mit dem Mörder identisch.

Nicht nur das "1000. Mitglied" ist Karl-Heinz Dellwo, sondern er ist der "Jungen Welt" noch enger verbunden. Einem Beitrag von Carmen Bitsch auf der diesjährigen Rosa- Luxemburg- Konferenz kann man es entnehmen: "Tageszeitung junge Welt und Laika-Verlag geben gemeinsam die 100 wichtigsten Filme des Widerstandes heraus".

Und so ist also zusammengewachsen, was zusammengehört: Der RAF-Mörder, der seine Taten nicht bereut, sondern der den "bewaffneten Kampf" zum damaligen Zeitpunkt lediglich als "Fehler" ansieht, und die kommunistische Tageszeitung "Junge Welt".

Jene "Junge Welt", auf deren Rosa- Luxemburg- Konferenz des Jahres 2007 eine "Grußbotschaft" des damals noch inhaftierten RAF-Mörders Christian Klar verlesen wurde; ein Text, den Klar auf Anregung des langjährigen SED-Mitglieds und Rektors der Humboldt- Universität Heinrich Fink (Deckname "Heiner") verfaßt hatte (siehe Die PDS und der Gruß eines Terroristen; ZR vom 27. 2. 2007 sowie Christian Klar, die Waffe der Kritik, die Kritik der Waffen; ZR vom 8. 5. 2007).



Zwischen dem "bewaffneten Kampf" der RAF auf der einen Seite und der Strategie derjeniger Kommunisten, die in der SED, der DKP, der PDS und aktuell der Partei "Die Linke" organisiert waren und sind, auf der anderen Seite liegt eben keineswegs die tiefe Kluft, die viele vermuten.

Zur Zeit der RAF wurden deren Mitglieder meist als "anarchistische Gewalttäter" bezeichnet (siehe Titelvignette; für eine vergrößerte Version bitte anklicken).

Das war krass unzutreffend, denn mit Anarchismus hatte die RAF nichts im Sinn. Ihre Mitglieder - jedenfalls die führenden - waren stramme Marxisten- Leninisten, die sich in ihren "theoretischen Schriften" auf Marx, Lenin und Mao beriefen. (Siehe Was waren die Ziele der RAF?; ZR vom 24. 11. 2008).

Andererseits stehen kommunistische Parteien der revolutionären Gewalt keineswegs ablehnend gegenüber.

Die jetzige Partei "Die Linke" hat ihre Stiftung nach jener Rosa Luxemburg genannt, die eine glühende Anhängerin revolutionärer Gewalt war; siehe Rosa "Mutter Theresa" Luxemburg?; ZR vom 10. 1. 2010. Wie eng die Beziehungen der Partei Gregor Gysis und Lothar Biskys zum revolutionären Cuba sind, konnte man zum Beispiel beim solidarischen Besuch Oskar Lafontaines bei den Genossen auf der Zuckerinsel erfahren.

Zwischen dem "bewaffneten Kampf" der kommunistischen RAF in den siebziger und frühen achtziger Jahren und der Linie der damaligen SED und der DKP gab es im Kern nur einen einzigen Unterschied: Die Einschätzung der Chancen für einen Bürgerkrieg in Mitteleuropa. Die RAF meinte, ihn herbeibomben zu können; die Parteikommunisten hielten das für nicht machbar.

Heute sehen auch die meisten ehemaligen RAF-Mitglieder ein, daß damals die Situation nicht "reif" für einen Bürgerkrieg gewesen war. Insofern sind sie auf die Linie der Parteikommunisten eingeschwenkt. Deshalb steht einer Zusammenarbeit des "1000. Mitglieds" mit der "Jungen Welt" heutzutage nichts mehr im Wege.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Fahndungsplakat aus dem Jahr 1972 mit Fotos von Mitgliedern der "ersten Generation" der RAF-Terroristen. Dellwo gehörte der "zweiten Generation" an. Als Werk des BKA in der Public Domain.