24. Januar 2010

Marginalie: Die deutsche Bevölkerung schrumpft. Hilft Familienpolitik? Hilft Religiosität? Malte Lehming hat eine andere Idee

Der im Augenblick meistkommentierte (aktuell 148 Kommentare) Artikel in "Zeit- Online" stammt aus dem "Tagesspiegel", wurde von Malte Lehming verfaßt und trägt den Titel "Religiöser werden für mehr Kinder?".

Malte Lehming, der das Ressort "Meinung" beim "Tagesspiegel" leitet, ist mir kürzlich schon einmal unangenehm aufgefallen, als er das Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung zu den Minaretten mit der Behauptung kommentierte, die Schweizer hätten "mehrheitlich die Idee der Freiheit und das Prinzip der Menschenrechte mit Füßen getreten. Sie haben die Weltsicht Osama bin Ladens übernommen"; "Die Schweizer haben das Prinzip der Menschenrechte mit Füßen getreten". Ein Agitator im Gewand des Liberalen; ZR vom 30. 11. 2009.

Nicht besser als dieser damalige ressentimentgeladene Artikel ist der jetzige Beitrag Lehmings, der so viele Kommentare auslöst.

Lehming erwähnt den bekannten empirischen Zusammenhang zwischen Religiosität und Geburtenrate - religiöse Menschen bekommen im Schnitt mehr Kinder als diejenigen, die der Religion fernstehen - und gelangt zu dieser umwerfenden Folgerung:
Brauchen wir eine Rückkehr zur Religion? Nicht unbedingt. (...) Wer den Glauben an die Familienpolitik verloren hat, aber zum Glauben an Gott nicht zurückkehren will, kann auch für eine massive Einwanderung plädieren und für eine rasche Aufnahme der Türkei in die EU.
Den "Glauben an die Familienpolitik" hat jedenfalls unser Kommentator verloren, denn:
Trotz aller Milliarden, die in Krippenplatzausbau und Elterngeld gesteckt werden, verschwindet jährlich eine Großstadt. Folglich müsste noch etwas verschwinden – der Glaube an die Möglichkeiten des Staates, die Geburtenrate durch pekuniäre Maßnahmen entscheidend zu beeinflussen. Denn diese These darf als widerlegt gelten.
Natürlich ist sie keineswegs widerlegt, diese "These". Nur gibt es ja erst seit wenigen Jahren in Deutschland so etwas wie eine aktive Familienpolitik, und auch das nur in zarten Ansätzen wie der Elternzeit. Da wird man nicht sofort einen Surge der Gebärfreudigkeit erwarten können; zumal in wirtschaftlich unsicheren Zeiten.

Historische Erfahrungen hingegen zeigen, daß eine aktive Bevölkerungspolitik sehr wohl die Geburtenrate steigern kann. Das Musterbeispiel ist Frankreich, wo (man kann das zum Beispiel in diesem Artikel im Time Magazine vom Februar 2007 nachlesen) eine konsequente Familienpolitik seit den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer der höchsten Geburtenraten in Europa geführt hat; und zwar mit 1,8 Geburten je geburtsfähige Frau auch bei der einheimischen Bevölkerung.

Lehming konstatiert, ohne sich offenbar sachkundig gemacht zu haben, die Nutzlosigkeit staatlicher Familienpolitik. Er skizziert weiterhin den Zusammenhang zwischen Religiosität und Geburtenrate, weiß aber natürlich, daß er uns in Deutschland nicht dabei hilft, das Problem einer schrumpfenden Bevölkerung zu bewältigen.

Und damit hat er uns da, wo er uns haben will. Jetzt kann er am Schluß die Katze aus dem Sack lassen, dem ansonsten leeren Sack seiner intellektuell bescheidenen Überlegungen: Die Katze, die da heraushüpft, ist Lehmings Plädoyer für mehr Einwanderung. Und - interessanterweise - für "eine rasche Aufnahme der Türkei in die EU".

Warum? Weil Lehming offenbar vermutet, daß dann Scharen von Türken als EU-Bürger das Recht haben würden, ihren Wohnsitz in Deutschland zu nehmen. Bisher wurde dieser Aspekt einer Aufnahme der Türkei in die EU in der öffentlichen Debatte ja konsequent ausgeklammert.



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