19. Januar 2010

Zitat des Tages: "Eine linke Minderheit setzt sich über den Willen der Mehrheit hinweg". Erhält Obama heute die Quittung für seine Gesundheitspolitik?

"Health care has transcended issue status. It now represents something quite irregular in American politics: The obsession of a liberal minority thwarting the will of an intense supermajority for the better part of a year now.

(Die Gesundheitspolitik ist mittlerweile mehr als nur ein Streitthema. Sie ist inzwischen etwas, das in der amerikanischen Politik einen Ausnahmefall darstellt: Die Obsession einer linken Minderheit, die sich jetzt schon fast ein Jahr lang über den Willen einer massiven Super- Mehrheit hinwegsetzt).

Die Beraterin der Republikanischen Partei Mary Matalin laut der heutigen Washington Post über die Gesundheitsreform von Präsident Obama.


Kommentar: Heute wird im US-Bundesstaat Massachusetts in einer Nachwahl der Sitz im Senat neu besetzt, der durch den Tod von Edward Kennedy vakant geworden war. Über die Brisanz dieser Wahl hat bereits am 6. Januar Gorgasal in diesem Blog geschrieben.

Gorgasal hat die damals aktuellsten Umfragen zitiert, die den republikanischen Bewerber Scott P. Brown erstaunlich stark sahen; bedenkt man, daß in diesem Bundesstaat die Republikaner traditionell ungefähr so bedeutend sind wie in Bayern die SPD. Allerdings lag damals die demokratische Kandidatin Martha Coakley immer noch deutlich vorn, und Gorgasal schrieb zu Recht:
Natürlich sieht es noch immer nach einem Sieg für die Demokratin Coakley aus. Aber auch ein nur knapper Sieg im urdemokratischen Massachusetts wäre ein Schuss vor den Bug der Demokraten in Washington: vielleicht ist das Mandat der Wähler von 2008 doch weniger radikal als geglaubt.
Inzwischen droht für Obama aus dem Schuß vor den Bug ein Volltreffer zu werden. Denn in den aktuellen Umfragen hat der Republikaner Brown die Demokratin Coakly bereits überholt. Hier sind die letzten Daten, zusammengestellt von Pollster, com:
  • Brown 52 Coakley 43 (Politico/Insider Advantage, 17. Januar)
  • Brown 52 Coakley 45 (ARG, 15. - 17. Januar)
  • Brown 48 Coakley 48 (DailyKos/R2000, 15. - 17. Januar)
  • Brown 52 Coakley 42 (PajamasMedia, 17. Januar)
  • Brown 51, Coakley 46 (PPP 16. - 17. Januar)
  • Brown 51 Coakley 41 (InsideMedford,15. Januar)
  • Sollte Brown tatsächlich gewinnen, dann wäre das nicht nur eine politische Sensation und eine schwere Niederlage für den Präsidenten, sondern es brächte auch dessen Gesundheitsgesetz in unmittelbare Gefahr.

    Dieses ist zwar durch das Repräsentantenhaus und den Senat gegangen, aber in zwei unterschiedlichen Versionen. Jetzt versuchen die beiden Häuser, diese zu einem gemeinsamen Text zu verschmelzen, über den dann erneut abgestimmt werden muß.

    Um das Gesetz in seiner endgültigen Form durchzubekommen, braucht Obama 60 Senatoren, die im Senat auf seiner Seite stehen; denn nur mit dieser Mehrheit kann er verhindern, daß die Gegner des Gesetzes es durch sogenanntes Filibustering (unbegrenztes Reden) blockieren.

    Gewinnt heute (das Ergebnis wird wegen der Zeitverschiebungt erst nach Mitternacht MEZ feststehen) in Massachusetts der Kandidat Brown, dann gibt es im Senat nur noch 59 Demokraten.



    Wie massiv inzwischen die Ablehnung von Obamas Gesundheitspolitik ist, können Sie an dieser Grafik von Pollster.com ablesen. Nur noch 39,0 Prozent der Amerikaner sind mit ihr einverstanden; 54,8 Prozent lehnen sie ab.

    Über die Gründe gibt eine eigene Umfrage der Washington Post Auskunft:
    Fifty-three percent said the changes would mean higher personal costs, and 50 percent said the quality of their health care would be better if the measure did not pass. Fifty-six percent said the overall cost of the initiative nationally would be higher under the plan advanced by the president and the Democrats.

    Dreiundfünfzig Prozent sagten, daß die Änderungen für sie höhere pesönliche Kosten bedeuten würden, und 50 Prozent sagten, daß die Qualität ihrer Gesundheits- Versorgung besser wäre, wenn das Gesetz nicht durchkäme. Fünfundfünfzig Prozent sagten, daß auf nationaler Ebene die Gesamtkosten der Initiative unter dem Plan, den der Präsident und die Demokraten vertreten, steigen würden.
    Vor einem Jahr, am 20. Januar 2009, leistete Präsident Obama seinen Amtseid. Die Erwartungen an ihn waren damals in den USA hoch, in Europa und besonders in Deutschland waren sie nachgerade verstiegen.

    Innerhalb dieses Jahres hat sich Obama als derjenige erwiesen, als den ich ihn in diesem Blog während des Wahlkampfs gezeichnet habe: Ein Mann, dessen einzige Qualifikation für das höchste Amt der USA das Talent war und ist, Reden zu halten und Menschen für sich einzunehmen.

    Jetzt sehen immer mehr Amerikaner den Kaiser nackt. Vielleicht ja auch bald immer mehr Deutsche.




    Nachtrag um 9.40: Laut New York Times planen der Präsident und führende Demokraten für den Fall eines Wahlsiegs von Brown ein Verfahren, um das Gesundheitsgesetz doch noch zu retten: Das Repräsentantenhaus soll mit seiner demokratischen Mehrheit einfach der Version zustimmen, die vom Senat gebilligt wurde und die das Haus bisher ablehnt. Dann wäre keine erneute Abstimmung im Senat mehr erforderlich.

    Die NYT zitiert dazu die Fraktionsvorsitzende der Demokraten im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi: "We will have health care one way or another" - "Wir werden die Gesundheitsreform bekommen, so oder so".

    Wozu der Fraktionsvorsitzende der Republikaner, John A. Boehner, anmerkte: "They are going to try every way, shape and form to shove this bill down the throats of the American people" - "Sie werden jeden Weg, jede Art, jede Form versuchen, um dieses Gesetz den Amerikanern in den Hals zu stopfen".

    Es ist allerdings fraglich, ob alle Demokraten im Repräsentantenhaus dieses taktische Spiel mitspielen würden. Ganz zu schweigen von den "Menschen draußen im Lande", bei denen der einstige Messias mit solch einer Schmierenkomödie wohl auch noch den letzten Kredit verspielen würde.



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