13. Juli 2010

Zettels Meckerecke: Linksliberale Blindheit. Warum fehlt es uns Deutschen an Zusammenhalt? Nebst einer Anmerkung über vegetarischen Schweinebraten

In "Zeit-Online" beklagt dessen Redakteur Christian Bangel einen Mangel an Gemeinsinn in Deutschland, trotz Schwarz-Rot-Gold allerorten während der WM: "Das Wir-gehören-wieder-zusammen-Gerede verstellt uns die Sicht darauf, dass das Gegenteil davon der Fall ist, was in der Presse steht: Uns Deutsche verbindet in Wahrheit immer weniger".

Wohl wahr. Schwarz-Rot-Gold - das sind für viele, vielleicht die meisten, schlicht die Vereinsfarben der Nationalmannschaft. Deren Fans sind sie. Sie bemalen sich folglich mit ihren Farben und schwenken dazu die passenden Fahnen; so, wie sich die Anhänger von Borussia Dortmund schwarz-gelb anmalen und die Fans der Werderaner ihre grün-weißen Fahnen ins Stadion mitbringen.

Immerhin, daß überhaupt die nationale Flagge von Privatleuten gezeigt wird, statt - wie bis vor kaum zehn Jahren - fast nur von öffentlichen Gebäuden zu wehen, ist ein Fortschritt. So, wie es ein Fortschritt ist, daß inzwischen die meisten Nationalspieler die Nationalhymne mitsingen.

Fällt Ihnen an dem vorausgehenden Abschnitt etwas auf, lieber Leser? Ja, genau. Ich habe unbefangen dreimal das Wort "national" benutzt.

In dem Artikel von Bangel, der sich mit dem fehlenden nationalen Zusammenhalt in Deutschland befaßt, kommt die Wörter "Nation" oder "national" kein einziges Mal vor.



Bangel beklagt den Mangel an nationaler Identität, aber er nennt sie nicht nationale Identität. Er beklagt einen fehlenden nationalen Zusammenhalt, aber er nennt ihn nicht nationalen Zusammenhalt.

Bangel will den Kuchen essen und ihn behalten. Er will ein nationales Gemeinschaftsgefühl, aber er will nicht, daß es national ist. Amerikaner, Franzosen, Briten würden über so etwas lachen. In Deutschland ist es normal; ist es die Normalität eines "linksliberal" geprägten Denkens. Bangel fragt:
Warum also soll ein Jungunternehmer aus Berlin nicht nur gemeinsam mit einem Hamburger Rentner der deutschen Mannschaft zujubeln, sondern auch mehr Steuern zahlen, damit der Rentner besser versorgt werden kann? Und warum sollte dieser zustimmen, dass seine Rente eingefroren wird, damit die nächste Generation nicht gänzlich handlungsunfähig ist? Gemeinsames Jubeln kostet nichts. Solidarität schon.
Ja, wo soll sie denn herkommen, diese Solidarität, wenn nicht (Rayson hat das vor vier Wochen in B.L.O.G. ausgezeichnet dargelegt) aus einer nationalen Identität?

Warum soll der deutsche Jungunternehmer mit dem deutschen Rentner irgendeine Gemeinsamkeit empfinden, die über das hinausgeht, was er an Gemeinsamkeit auch mit einem Rentner in Honolulu empfindet - wenn nicht aufgrund eines Gefühls nationalen Zusammenhalts?

Solidarität ist nun einmal an Identität gebunden. Das gilt übrigens auch für die Linke. Die von ihr mit Hochrufen bedachte "internationale Solidarität" ist ja nicht ein wunderbares Band, das alle Menschen umschlingt, sondern es ist bekanntlich die Klassensolidarität derer, die ihre Identität darin finden, daß sie Proletarier sind.



In seinem Buch The Faith Instinct beschreibt Nicholas Wade, wie nach dem heutigen Stand der Forschung die Jäger und Sammler des späten Mesolithikums lebten; die frühesten Gesellschaftsformen des Homo Sapiens: In der Situation einer harten Konkurrenz mit anderen Gruppen um die kargen Ressourcen hing das Überleben einer Gruppe von deren Zusammenhalt ab; bis hin zur Bereitschaft des Einzelnen, sich für die Gruppe zu opfern.

Damals - so Wades Hypothese - entstand die Gemeinsamkeiten, die das Invididuum an die Gruppe binden: Gemeinsames Tanzen und Singen, gemeinsam vollzogene Riten, gemeinsame Symbolik; die Mythen, die man mit anderen teilte. Frühe Formen der Religiosität ebenso wie des Patriotismus.

Auch heute noch macht sich die nationale Identität an dergleichen fest; gewissermaßen an den Relikten dessen, was damals, vor Zehntausenden von Jahren, entstand. Aus den gemeinsamen Mythen wurde eine gemeinsame Geschichte; vom gemeinsamen Singen blieb die Nationalhyme; an die Stelle der gemeinsam verehrten Götter traten die gemeinsamen Werte einer Nation. Auch wenn Riten nur noch selten gemeinsam zelebriert werden, gibt es Sitten und Gebräuche, welche diejenigen miteinander verbinden, die sich als Mitglieder derselben Nation empfinden.

Das ist weltweit so. In Deutschland nicht. Aus der Sicht der bei uns dominierenden "linksliberalen" Ideologie ist das alles verstaubt, finsteres Neunzehntes Jahrhundert. Manche wittern hinter Nationalgefühl gar das, was sie gern - und falsch - "Faschismus" nennen.

Jahrzehntelang haben sie nicht die nationale Identität gepriesen, sondern - in Gestalt der "Multikulti"-Ideologie - gerade das Fehlen einer deutschen nationalen Identität. Nicht Gemeinsamkeit wurde angestrebt, sondern Vielfalt, also Getrenntheit. Das Ergebnis ist jetzt zu besichtigen.

"Viele Deutsche wären wohl bereit, sich als Teil eines deutschen Gemeinwesens zu sehen. Dazu gehört aber ein Inhalt; etwa das Versprechen, dass das Gemeinwesen zurückgibt, was man einzahlt. Mit Fußball ist es nicht getan", schreibt Bangel.

Nein, mit Fußball ist es nicht getan. Aber mit einem "Versprechen" auf dem Niveau einer Lebensversicherung - man bekommt zurück, was man eingezahlt hat - erst recht nicht. Eine Nation ist ja keine Assekuranz.

Ohne eine gemeinsame Identität, also eine gemeinsame Leitkultur, gibt es nun einmal keinen Zusammenhalt. Worauf sollte er sich denn gründen?

Für eine gemeinsame Leitkultur aber hat Bangel nur Hohn: "Der letzte Versuch, ein Dach fürs Deutschsein zu finden, zeugte bereits von Realitätsverlust: Die 'deutsche Leitkultur' war ein schrecklich banaler Versuch, alle hier Lebenden auf Schiller, Goethe und Schweinebraten zu verpflichten".

Bangel ist - und damit ist er repräsentativ für die "linksliberale" Ideologie - blind für das Offensichtliche: Solidarität und Gemeinsinn entstehen nur aus einem Gefühl der Zusammengehörigkeit heraus. Dieses Gefühl gründet sich auf Gemeinsamkeiten; beispielsweise die gemeinsame Kultur und die gemeinsamen Sitten und Gebräuche, einschließlich einer Vorliebe für Apple Pie, Cassoulet oder Schweinebraten. So erschreckend banal ist das.

Man kann aus ideologischen Gründen gegen nationale Identität sein. Aber dann soll man nicht mangelnden Gemeinsinn beklagen. Das wäre so, als würde man versuchen, einen vegetarischen Schweinebraten zuzubereiten.



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