25. Juli 2010

Right or wrong, it's Reuters

Das sonst überall, nicht jedoch bei ZR gefürchtete Sommerloch bietet die Gelegenheit, ungewöhnliche Fragen zu beantworten. Zum Beispiel diese: Wer ist dümmer, indonesische Muslime oder westliche Journalisten?

Vergangenen Freitag war nämlich im Deutschlandfunk zu hören:
Die Muslime in Indonesien müssen ihre Gebetsrichtung ändern. Denn jahrelang haben die Gläubigen in dem südostasiatischen Land sich nicht wie vorgeschrieben nach Mekka hin verneigt. Vielmehr haben sie sich beim Gebet nach Westen und damit in Richtung Zentralafrikas gewandt.
Aha, denkt man sich als Radiohörer, und das ist also jahrelang keinem aufgefallen? Und wie lange müsste man als Radiomacher nachdenken, bevor einem auffällt, das das nicht stimmen kann?

Eine Quelle gibt das Deutschlandradio nicht an; vermutlich beruht die Nachricht auf einer Reuters-Meldung vom 16. Juli, in der es heißt:
Indonesia's Muslims learned on Friday they have been praying in the wrong direction, after the country's highest Islamic authority said its directive on the direction of Mecca actually had people facing Africa.

Die indonesischen Muslime erfuhren am Freitag, daß sie bislang in eine falsche Richtung gebetet haben, als die oberste islamische Geistlichkeit erklärte, ihre Richtungsangabe habe die Leute statt nach Mekka gen Afrika beten lassen.
Denn:
(...) Indonesian Ulema Council (MUI) issued an edict in March stipulating westward was the correct direction (...)

(...) Der indonesische Rat der Geistlichen (MUI) gab im März eine Fatwa heraus, in der Westen als korrekte Richtung bezeichnet wurde (...)
Woher, fragt man sich, will Reuters wissen, in welche Richtung sich die 200 Millionen indonesischen Muslime verneigt haben? Haben die sich alle nach der Fatwa im März in eine andere Richtung gedreht? Und was ist in den zigtausenden Moscheen wohl passiert? Standen die Gläubigen plötzlich schräg im Raum?
"But it has been decided that actually the mosques are facing Somalia or Kenya, so we are now suggesting people shift the direction slightly to the north-west," the head of the MUI, Cholil Ridwan, told Reuters. "There's no need to knock down mosques, just shift your direction slightly during prayer."

"Doch nun wurde befunden, daß die Moscheen tatsächlich in Richtung Somalia oder Kenia stehen, und daher schlagen wir vor, sich ein wenig nach Nordwesten zu drehen", sagte der Vorsitzende der MUI, Cholil Ridwan, zu Reuters. "Es ist nicht nötig, Moscheen abzureißen, einfach nur die Gebetsrichtung ein wenig zu ändern."
Das heißt, seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten stehen die Moscheen in der falschen Richtung? Dann hätte die Fatwa vom März ja gar keine besondere Bedeutung gehabt? Oder verbeugten sich die Muslime all die Zeit über schräg im Raum? Und seit März dann gerade zur Wand? Jetzt wieder schräg? Hätte man in dem Gespräch nicht ein wenig nachhaken können? Und sei es nur zu dem Zweck, daß die Leser den Text dann auch verstehen können?

Dieser offenkundige Nonsens stammt von Sunanda Creagh, die immerhin schon einige Jahre, mindestens seit 2008, bei Reuters tätig ist. Der Chief Correspondent, Political Risk, Singapore Andrew Marshall hat zudem den Text bearbeitet: man kann nicht behaupten, hier habe ein Sommerloch-Aushilfspraktikant herumgeschludert.

Reuters ist nicht irgendwer. Deshalb braucht man auch nicht weiter nachzudenken, bevor man druckt, was von dorther kommt. Irgendwer hat die Meldung übersetzt, gewiß ohne besonders auf den Inhalt zu achten, und Der Spiegel, und andere brachten sie dann ungerührt. Right or wrong, it's Reuters.


Soviel zu den westlichen Journalisten. Nun zu den indonesischen Muslimen.

Bei zwei der wichtigsten Moscheen des Landes, der Masjid Istiqlal in Jakarta (von 1978) und der Mesjid Raya Baiturrahman in Banda Aceh (von 1982), können Sie leicht selber feststellen, daß diese in der korrekten Richtung stehen. Dazu müssen Sie einfach die Koordinaten 6°10'11.40"S 106°49'51.40"E bzw. 5°33'13"N 95°19'1.9"E in den Qiblalocator eingeben, und das Satellitenbild so weit vergrößern, bis Sie die Gebäude sehen.

Zumindest die dort Betenden müssen sich über die Fatwa vom März ein wenig gewundert haben. Und in der Tat:
Kiblat ke barat ternyata menimbulkan multitafsir di masyarakat. “Setelah fatwa (kiblat ke arah barat) keluar ternyata banyak respon dari masyarakat. Mereka menafsirkan kalau kiblat kita barat (budaya barat),” ujar Ketua MUI Bidang Fatwa Ma’ruf Amin saat berbincang dengan detikcom, Rabu (14/7/2010).

Die Angabe der Gebetsrichtung Westen führte zu unterschiedlichen Interpretationen in der Gemeinschaft. "Auf die Publikation der Fatwa (Richtung Westen) folgten zahlreiche Reaktionen. Sie legten es so aus, daß unsere Richtung der Westen ist (die westliche Kultur)", sagte der Vorsitzende des Fatwa-Bereichs der MUI Ma'ruf Amin, im Gespräch mit AFP am Mittwoch (14.07.2010).



Und hier ist die ganze Geschichte:

Im Januar hatte der Islamgelehrte Mutoha Arkanuddin behauptet, 50-80% der Moscheen in Indonesien stünden falsch. Diese Aussage führte in konservativen Kreisen zu erheblicher Bestürzung.

Die Regierung meinte dazu, lediglich in einigen Erdbebengebieten könnten manche Moscheen ein wenig falsch stehen. (Quelle.)

Weit verbreitet ist dagegen die Meinung, die Verschiebung der indonesischen Erdplatte habe die Richtung nach Mekka verändert. Um diesen populären Irrtum richtigzustellen, äußerte sich die Geistlichkeit im März. Bei der Gelegenheit faßte sie nochmal die Richtungsregeln zusammen, wobei sie statt des korrekten Westnordwesten einfach Westen sagte. (Originaltext der Fatwa.)

Dies löste die oben schon zitierte Debatte aus, ob etwa der kulturelle Westen gemeint sei.

Um diese Debatte zu beruhigen, korrigierten sich die Geistlichen nocheinmal und bestätigten jetzt im Juli das altbekannte Westnordwesten - unbeabsichtigt gerade passend für unseren hiesigen Sommerloch-Journalismus. (Erklärung der MUI.)

Richtig zugeben, etwa Falsches gesagt zu haben, wollten sie dabei übrigens nicht.
“Just because we revised our edict doesn’t make the previous ruling completely wrong,” MUI councilor Umar Shihab told the Jakarta Globe.

“We’re just fine-tuning it to make it more precise."

"Daß wir unsere Fatwa revidiert haben, bedeutet nicht, daß die frühere Version gänzlich falsch gewesen ist," sagte das Ratsmitglied Umar Shihab dem Jakarta Globe.

"Wir haben sie nur ein wenig präzisiert."
Das klingt eigentlich alles ganz ganz vertraut nach business as usual in einer modernen Mediengesellschaft.


Und wie stehen die Moscheen nun wirklich?
(...) the Institute of Space and Aviation (Lapan) confirmed when the direction of qibla doesn’t comply with the qibla mosque direction, it does not mean there is a movement in the Earth’s plates. However, this phenomenon is due to many mosques in Indonesia determine the direction of Qibla in approx.

(...) das Institut für Luft- und Raumfahrt (Lapan) bestätigte, daß eine Abweichung der tatsächlichen Richtung nach Mekka von der in einer Moschee angegebenen Richtung nicht bedeutet, daß es eine Bewegung der Erdplatten gegeben hat. Vielmehr beruht dieses Phänomen darauf, daß bei vielen Moscheen die Richtung nach Mekka nur annäherungsweise festgestellt wurde.
Man hat es beim Bauen oftmals nicht so genau genommen. Siehda! Das ist anscheinend des Pudels Kern, der Ausgangspunkt all dieser indonesischen Debatten und der - allerdings selbstverschuldeten - westlichen Verwirrung darüber.

Was nun diese ungenau dastehenden Gotteshäuser betrifft, meint Ghazalie Masroerie, Leiter des astronomischen Instituts der Nahdlatul Ulama (einer der größten islamischen Organisationen Indonesiens mit vielleicht 30 Millionen Mitgliedern):
“There’s no need to renovate mosques or the like,” he said.

"Es ist ganz unnötig, Moscheen umzubauen oder dergleichen", sagte er.



© Kallias. Für Kommentare bitte hier klicken. Die Vignette zeigt eine Weltkarte in mittabstandstreuer Azimutalprojektion mit Mekka im Zentrum. Die Geraden entsprechen der Himmelsrichtung nach Mekka. Vom Urheber RokerHRO in der Wikipedia unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht.