18. Juli 2010

Marginalie: An Fritz Teufels Grab die Ewiggestrigen

In den fünfziger, den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sah man sie noch, teils bis in die Siebziger hinein: die Jugendbewegten. Männer, die sich kurzbehost und mit offenem Schillerkragen in Richtung Greisenalter bewegten; Frauen in kräftigen Schuhen, das Haar nicht selten zum Kranz geflochten.

Sie hatten die prägenden Erfahrungen ihres Lebens in den ersten Jahrzehnten des Zwanzigsten Jahrhunderts gemacht, als sie, die Klampfe spielend, "im Frühtau zu Berge" gezogen waren, grauer Städte Mauern hinter sich ließen und im Sommer mit ihren Kohten auf Nordlandfahrt gingen. Dann waren sie erwachsen geworden, allmählich alt und älter; aber sie hatten sich nicht mehr wesentlich verändert. Sie waren in ihrer Jugend steckengeblieben.

An diese jugendbewegten Grauköpfe mußte ich einen Augenblick lang denken, als ich die Berichte über die Beerdigung Fritz Teufels am vergangenen Mittwoch gelesen hatte; von Richard Herzinger in der "Welt", von Arno Widmann in der "Frankfurter Rundschau", von Philipp Gessler in der "Tageszeitung".

Da waren sie wieder versammelt, die Alt-Achtundsechziger, die überlebenden. Leute, die in ihrer Jugend hängengeblieben waren wie einst die Wandervögel; manche auf nachgerade gespenstische Weise in der Vergangenheit lebend. Herzinger über den seinerzeitigen Kommunarden Dieter Kunzelmann:
Ganz in weiß gewandet und mit einem Brecht-Käppi auf dem Kopf, wirkte er wie aus einem düsteren Märchen der deutschen Romantik entsprungen, ein Kobold aus längst vergangenen Zeiten. Mit den Medien, sagt Kunzelmann, der sich vor Jahren schon einmal für tot hatte erklären lassen, will er nichts mehr zu tun haben.
Gessler schreibt:
... gerade bei Teufels Trauerfeier trafen sich viele der alten Genossinnen und Genossen der 68er mal wieder. "Dit is ja det letzte Klassentreffn", berlinert Bommi Baumann. "Der Fritz war beliebt bei allen", meint er.
Und Widmann:
Es gab eine Nähe, die ein Pfarrer nur in den seltensten Fällen bieten kann, eine innige Intimität, auf die der politische Beobachter nicht gefasst war. Ulrich Enzensberger sagte über Fritz Teufel: "Wenn ihm etwas geschmeckt hatte, leckte er den Teller ab." Als dann Teufels langjähriger Rechtsanwalt Hans Christian Ströbele - er ist heute direkt gewählter Grünenabgeordneter in Berlin - erklärte, Fritz Teufel sei vor allem ein Genosse gewesen, verstand man das sofort richtig und hätte gerne zusammen mit dem Verstorbenen den einen oder anderen Teller abgeleckt.
Das klingt recht rührend und mag es für die Trauergemeinde auch gewesen sein.

Nur waren diejenigen, die sich da versammelt hatte, ja nicht im Frühtau zu Berge gezogen.

Unter den Trauergästen waren die Terroristen Irmgard Möller, Inge Viett, Karlheinz Dellwo und Astrid Proll. (Ja, Terroristen, nicht Ex-Terroristen; man spricht ja auch nicht von Ex-Mördern oder Ex-Betrügern.)

Dellwo beispielsweise gehört zu den Mördern von Andreas Mirbach. Er bereut seine Taten nicht und zitiert zur sogenannten "Rote-Armee-Fraktion" (RAF), der er angehörte, Fidel Castro: "Ein heroisches Opfer, aber ein vergebliches". Und mit "Opfer" meint er nicht die Ermordeten, sondern die Mörder; siehe Karl-Heinz Dellwo, das "1000. Mitglied" der "LPG junge Welt". Ist das der RAF-Mörder Dellwo?; ZR vom 23. 1. 2010.

Und jener Christian Ströbele, der Teufel einen guten Genossen nannte, ist der vermutlich einzige Abgeordnete des Deutschen Bundestages, an dessen Händen Blut klebt; das Blut der Opfer eines Kriegs, den er jahrelang durch Hilfe bei Waffenlieferungen unterstützt hat; siehe "Die Anwendung von Waffen richtig und notwendig"; ZR vom 6. 2. 2008.



Fritz Teufel mag - so wurde er auch wieder auf dieser Trauerfeier geschildert - ein liebenswerter, humorvoller Mensch gewesen sein. Es mag auch sein, daß seine Beteiligung am Terrorismus nur eine vorübergehende Verirrung war; jedenfalls hat er sich bald wieder davon losgesagt.

Also, de mortuis nil nisi bene, auch und vielleicht gerade in Bezug auf Fritz Teufel. Aber die Bewegung, für die er zu einem der Symbole wurde, hat keine Nachsicht verdient.

Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Nonchalance alle drei zitierten Journalisten - Widmann, selbst ein Achtundsechziger; der 1967 geborene Gessner; Herzinger (Jahrgang 1955) aus der Zwischengeneration, die diese Zeit als Schüler erlebt hat - darüber hinweggehen, daß in dieser Trauergemeinde nicht nur eine Reihe von Mördern waren, sondern daß die nichtkriminellen Anwesenden sich offenbar mit ihnen zusammen als Teil derselben Bewegung verstanden.

So gesehen war das dann doch weniger das Treffen der Gealterten einer Jugendbewegung als vielmehr ein Veteranentreffen von Ewiggestrigen.



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