16. April 2013

Zur "Aufstocker-Statistik". Ein Gastbeitrag von Sebastian Dettmer

Derzeit kann man Artikel lesen, dass der Anteil der sogenannten "Aufstocker" unter den Hartz IV Beziehern auf gut 30% gestiegen ist.

Hintergrund ist eine aktuelle Untersuchung der Universität Duisburg Essen, zu der gleich die "richtige Interpretation" mitgeliefert wird.

Diese Meldung ist allerdings die übliche tendenziöse Zahlen-Interpretation, die keinesfalls belegt, dass immer mehr Niedrigstlöhne gezahlt werden
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Denn ...
Bei den „Aufstockern“ handelt es sich um eine heterogene Gruppe:

(1) Leistungsempfänger, die arbeitslos gemeldet sind und ihr Arbeitslosengeld II durch die Aufnahme eines Minijobs aufstocken;

(2) Nicht arbeitslose Hilfeempfänger (z.B. Alleinerziehende mit kleinen Kindern, denen eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet wird), die ebenfalls ihre ALG II-Leistungen durch das Einkommen aus einem Minijob aufstocken;

(3) Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, bei denen das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft, in der sie leben, noch unter dem Hartz IV Niveau liegt;

(4) Selbstständige, bei denen das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft, in der sie leben, ebenso unter dem Hartz IV Niveau liegt.

Das bedeutet:

Bei den Gruppen 1 und 2 sind es die Minijobs, also eine weniger als Teilzeit-Arbeit, die ein Aufstocken notwendig machen, bzw. eher der Minijob stockt das ALG II auf. Über zu geringe Stundenlöhne sagen diese Gruppen NICHTS aus.

Desweiteren ist hier nicht von Personen die Rede, sondern von Bedarfsgemeinschaften. Das heisst, es kann sich hier um mehrere Personen im Haushalt handeln (Kinder, Ehepartner, sonstige), die von dem einen Einkommen nicht leben können, einen Rückschluss auf die Stundenlöhne lässt das nicht zu, denn auch bei 40 Stundenwoche a 8.50 Euro die Stunde kann man nur schwer zwei oder gar mehr Personen versorgen!


Weiter heisst es in der Studie:
Detailanalysen zeigen (für August 2012), dass 44 % der Aufstocker sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, 36 % einen Minijob ausüben und etwa 10 % selbstständig arbeiten.

Unter den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Aufstockern arbeiten mehr als die Hälfte (57,7 %, Daten aus 2011) vollzeitig.

Mal ausgerechnet und im Klartext bedeutet das:

Von rund 1,3 Mio Aufstockern...
... sind nur 44% SV-pflichtig beschäftigt (= ca 572.000)

... von diesen rund 572.000 SV-pflichtig beschäftigten arbeiten 57,7% vollzeit (= ca 330.000)

... und von diesen 330.000 wiederum ist nicht angegeben, wie viele Singles darunter sind, es sind Bedarfsgemeinschaften, also mitunter mehrere Menschen im Haushalt, die von dem einen Gehalt nicht leben können. Was bedeutet: Es muss nicht der Stundenlohn sein, der zu niedrig ist!

Anderen Untersuchungen zufolge liegt nämlich die Zahl der SINGLES, die trotz Vollzeit zu wenig verdienen bei unter 100.000, was also gerade mal rund 1,6% aller auf ALG I oder ALG II angewiesenen Personen betrifft.

Man kann sich auch die detaillierten Zahlen aus 2007 / 2008 herausziehen.
Zitat:
Nur ein geringer Teil der Singles (12,2 %) ist vollzeiterwerbstätig und damit ausschließlich aufgrund zu geringer Stundenlöhne bedürftig.

Was natürlich in dieser aktuellen Studie bzw den Meldungen darüber ignoriert wird.


Es sind immer noch zuviele, klar - aber keine Größenordnung, die auch nur ansatzweise den Schluss zulässt, in Deutschland würden massenweise Dumpinglöhne gezahlt, die der Staat dann auffangen müsste oder worauf er gar mit einem Gesetz für 41 Millionen (!) Erwerbstätige reagieren müsste.

Sebastian Dettmer

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