2. Juni 2013

Was ist eigentlich aus der Exhumierung des Jassir Arafat geworden? Eine Spurensuche.

Er war wohl eine der schillerndsten Figuren der arabischen Welt des 20. Jahrhunderts. Mitbegründer der PLO und Fatah, bekennender Terrorist, der jahrzehntelang Attentate, insbesondere gegen israelische Ziele, verübt hat -ein Verbrecher also- und Träger des Friedensnobelpreises: Jassir Arafat. 

Vor allem aber war er, dessen politischer Stern seit dem Einmarsch des Irak in Kuweit 1990 und endgültig mit der Zweiten Intifada gesunken war, in den letzten zehn Jahren seines Lebens eines: eine Symbolfigur. Symbol für die Palästinenser und die Arabische Welt. Symbol für den Kampf für ein "freies Palästina", wenngleich die Forderung nach einem "freien Palästina" sich meist im Bekämpfen und Vernichtenwollen des Staates Israel erschöpfte, und sich gegen Zivilisten richtete; also eben kein Freiheitskampf war, sondern Terrorismus. Symbolfigur aber auch für die internationale Linke. Die von Arafat mitbegründete Fatah ist bis heute beratendes Mitglied der Sozialistischen Internationalen (aktueller Präsident: der sozialistisch hochbegabte Georgious A. Papandreou) und der Sozialdemokratischen Partei Europas
Nun haben auch Symbolfiguren die Eigenschaft, sterblich zu sein. Arafat ereilte sein Schicksal am 11. November 2004. Als todesursächlich wurde eine Hirnblutung festgestellt, nachdem er bereits seit einiger Zeit unter Verdauungsproblemen und allgemeiner Auszehrung gelitten hatte. Das kommunistische nordkoreanische Regime ordnete eine dreitägige Staatstrauer für den engen Freund des nordkoreanischen Volkes an, und in den Palästinensergebieten war der Teufel los. Israel sah sich aus Furcht vor Terrorattacken gezwungen, die Grenze abzuriegeln, die terroristischen Al-Aqsa-Brigaden benannten sich in Märtyrer-Jassir-Arafat-Brigaden um. Symbolfiguren sterben nicht einfach so

Bereits früh wurde Israel unterstellt, Arafat ermordet zu haben; insbesondere die Witwe Arafats befeuerte derartige Spekulationen. Gleichwohl verbot sie den Ärzten des Militärkrankenhauses Percy in Clamart bei Paris, wo Arafat zuletzt behandelt worden war, die näheren Umstände zur Todesursache bekannt zu geben. Auch einer Autopsie stimmte die Witwe nicht zu. Eigentlich könnte dieser Artikel hier enden; allzu leicht zu durchschauen ist dieses Spiel. Der Tod Arafats sollte gegen Israel instrumentalisiert werden; die Witwe Arafats befeuerte unbelegte Vorwürfe gegen Israel und verpaßte denen, die es wissen konnten, einen Maulkorb. Es ging wohl auch um Geld.­

Die Spekulationen rissen über die Jahre jedoch nicht ab. Ihm sei das HI-Virus "injiziert" worden (einem 75jährigen in Zeiten bereits guter medikamentöser Behandelbarkeit der AIDS-Erkrankung und mehrjähriger Inkubationszeit!) und dergleichen Verschwörungstheorien mehr. Zuletzt sollte es eine Poloniumvergiftung gewesen sein. Nachdem der regimekritische russische Publizist und Ex-KGB-Agent Alexander Litwinenko 2006 unter den Augen der Weltöffentlichkeit an den Folgen einer Vergiftung mit dem radioaktiven Schwermetall Polonium-210 gestorben war, erfuhr auch die Vergiftungstheorie zum Tode Arafats erneuten Auftrieb. 

An persönlichen Gegenständen aus dem Nachlaß des Palästinenserführers waren 2012 Spuren des Giftes gefunden worden, von den Medien dankbar aufgenommen.  Wieder Stand Israel am spekulativen medialen Pranger

Die Sache ist nur die, daß Polonium-210 eine Halbwertszeit von 138 Tagen hat, d. h. nach 138 Tagen ist die Hälfte der Substanz zu Blei-206 zerfallen. Zwischen dem Tod 2004 und der Untersuchung der Gegenstände aus dem Nachlaß Arafats 2012 sind mehr als 2900 Tage vergangen. Die Halbwertszeit wurde also mehr als 21 Mal erreicht. Wenn man 1 Kilogramm (!) von irgendetwas 21 Mal halbiert, dann hat man 0,00047 Gramm übrig. Anders gesagt: Eine Vergiftung mit Polonium würde man nach so langer Zeit nicht anhand des verbliebenen Poloniums feststellen, sondern am Vorhandensein des Zerfallsproduktes Blei-206. Und das müßte in rauhen Mengen vorhanden sein, da die verwendete Poloniummenge zur Vergiftung Arafats gigantisch hätte sein müssen, um als Erklärung für das Polonium, das acht Jahre später auf den persönlichen Gegenständen Arafats gefunden wurde, herhalten zu können. Die untersuchenden Forscher betonten entsprechend, daß das gefundene Polonium  keinerlei Beweis für eine Vergiftung Arafats sei, was medial eher wenig transportiert wurde. 

Die Witwe Arafats erstattete 2012 in Frankreich öffentlichkeitswirksam Anzeige wegen Mordes gegen unbekannt, aber jeder dachte natürlich an Israel. Schließlich stimmte die Witwe zur Klärung des Vergiftungsvorwurfs einer Exhumierung des Leichnams Arafats zu, was wiederum auf breite mediale Resonanz gestoßen ist. Im Dezember 2012 war es dann soweit. 60 Proben wurden dem Leichnam Arafats in Ramallah entnommen. Endlich würde man Klarheit bekommen. 

Tja, und hier endet sie eigentlich schon, unsere kleine Reminiszenz. Denn seitdem ist das Thema in der medialen Versenkung verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Keine Bestätigung des Vorwurfs, vor allem aber: kein Dementi. Einfach nichts. Keine Nachrichten zum Thema mehr, die von diesem Jahr datieren. Lediglich Alljazeera lieferte im Februar eine Kurzmeldung, daß eine "zweite Runde von Untersuchungen" laufe, die "im Mai abgeschlossen" seien. Ähnlich die deutschprachige Ausgabe der RiaNovosti Nun ja, wir haben Anfang Juni. 

Man darf getrost davon ausgehen, daß die Vergiftungsvorwürfe bestätigende Evidenzen längst ihren Weg in die Medien gefunden hätten. Welches Motiv Israel gehabt haben soll, den völlig macht- und einflußlosen Arafat 2004 zu töten, und ihn damit eben zum "Märtyrer" zu machen, wurde ebenfalls kaum diskutiert. 

Es war einfach nur der natürliche Tod einer alten, parkinsonoiden Symbolfigur. 

Was bleibt also? Ein wieder einmal in seinem Ruf beschädigtes Israel und Medien, die sich allzu willfährig vor den antiisraelischen Karren haben spannen lassen.



Andreas Döding


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