29. Juni 2013

Scham und Schuld


Bundeskanzlerin Merkel sagte in Brüssel, sie habe nur Verachtung übrig für die Irischen Banker, deren mitgeschnittene Aussagen Deutschland verhöhnen und die EU-Hilfen lächerlich machen.

Solche Aussagen gibt es zuhauf. Die muss niemand mitschneiden, die kann man lesen – morgens in der Zeitung. Oder im Blog.
Es soll auch Menschen geben, die, obwohl jeden morgen zur Arbeit gehend und dazu noch steuerzahlend, sich gar nicht mehr einkriegen ob ihres Sarkasmus über das Handeln ihrer Regierenden, respektive der Kanzlerin.
Allerdings ziehen die auch gerne über gierige Banker her, ob zu Recht oder zu Unrecht.  
Angela Merkel wird sicher schon davon gehört haben, sie unterschätzt nicht die Wirkung der öffentlichen Meinung. 
Vielleicht denkt sie, ja, die Menschen da draußen können eben nicht die gesamte Tragweite dessen abschätzen, was sie, die Kanzlerin, tagtäglich in Erwägung zu ziehen hat. Also neben den ständigen Rettungen.
Aber die Banker, die müssen es doch wissen!

Und weil sie es wissen müssen und der angeblich ahnungslose Bürger mit staatlich gewährter Narrenfreiheit nicht, verachtet unsere Bundeskanzlerin öffentlich diejenigen, welche aussprachen was jedem klar ist, ob mit Ahnung oder ohne.

Bei einer Regierungschefin die vorbereitet ein Statement ablegt und ihre Worte gewählt artikuliert, ist es nicht nur angemessen sondern scheint mir auch geboten zu sein, ihre Worte zu wägen.

Verachtung entsteht laut Wikipedia durch die Bewertung einer anderen Person als minderwertig. 
"Die Hauptauswirkung von Verachtung ist eine überdauernde Abwertung der Person oder Institution in allen möglichen Bereichen und unter Umständen einer damit einhergehenden Nicht-Beachtung der entsprechenden Person oder sozialen Gruppe."
Mit der öffentlich ausgesprochenen Überzeugung des Unwertes einer Person oder Personengruppe lässt die Kanzlerin nicht nur Zweifel an ihrem Verhältnis zum kritischen Souverän aufkommen. Den könnte die Verachtung theoretisch ja auch treffen, wenn ihm Mündigkeit und Ahnung zugestanden wird. Die Zweifel lassen sich noch ausweiten auf die gesamte Berufsgruppe der Bankmanager.
"Die ehemalige Verachtung der „unehrliche Berufe“ ist ein Exklusionsmerkmal der Ständegesellschaft." 
 Gerade im Bankwesen hat dies eine lange Tradition.


Aber es geht mir um mehr: um ihre Kulturzugehörigkeit, und mit ihr, um die Deutschlands. Die Verortung Deutschlands im westlichen Kulturkreis wird durch eine öffentliche Verachtung von Personen durch eine deutsche Kanzlerin, in Frage gestellt. 
Angela Merkel scheint offenbar immer noch in einer Schamkultur zu leben, in der die Ehre durch eine äußere Instanz gewährt wird, oder eben nicht.
Im Westen hat sich dagegen diese Autorität im Selbst individualisiert. Und ist der Sühnung der Schuld gewichen. Einer festgestellten Schuld.

So wie das Umweltbundesamt ebenfalls in einer solchen Schamkultur zu leben scheint, wenn sie sich in ihrer Schrift "Und sie erwärmt sich doch" veranlasst sah, Kritiker der Theorie der anthropogenen Erderwärmung an den Pranger zu stellen. 
Solche öffentlichen Bloßstellungen beschädigt persönliches Ansehen nachhaltig(sic) und führt u.U. zum Gesichtsverlust. 
Da ist keine persönliche Schuld welche durch eine Sanktion beglichen werden könnte. Stattdessen eine Scham. Nicht zu begleichen, nur aufzuheben durch den, der sie öffentlich installierte.
Die soziale Umwelt soll sich abwenden. Den Opfern, die durch eine Obrigkeit bestimmt werden, soll das gesellschaftliche Ansehen entzogen werden. Stigmatisiert für den Rest ihrer Zeit soll ihre Stimme verstummen. 
Auch beim "Kampf gegen Rechts" kann diese Vorgehensweise beobachtet werden.

Man muss nicht gut finden, dass Banker auf das Wohl der Gesellschaft in der sie leben, keinen Pfifferling geben. Wer tut das schon.
Aber seiner Verachtung öffentlich Ausdruck zu verleihen, hat so viel mit Autorität, Ehre und öffentlicher Herabsetzung zu tun, dass sie eigentlich nicht mehr zu Deutschland zu passen schien.
Und es hat sehr wenig mit persönlicher Verantwortung zu tun, die bei einem Schuldvorwurf zu tragen wäre. Um solch einen Schuldvorwurf vorzubringen hatte die Kanzlerin aber nicht geladen. Ihr ging es offensichtlich um eine persönliche Wertung - als Bundeskanzlerin. Eine die außerhalb rechtlicher Schuld liegt. Und dennoch schwer wiegt, weil es eine öffentliche Bewertung ist, welche den Wert der betreffenden Personen unter den ihrigen stellt. Steht das einer Kanzlerin zu? 
Ist es ihre Aufgabe Bewertungen persönlicher Natur der Öffentlichkeit in einer Pressekonferenz vorzugeben?

Die Kanzlerin ist dünnhäutiger geworden, sie erkennt wohl langsam die grundlegenden Fehlentwicklungen in der Energie-, Europa- und Klimarettungspolitik. Der Westen ist im Begriff sich energiepolitisch unabhängig zu machen. Aber völlig anders als es sich die Kanzlerin und ihr wissenschaftlicher Beraterstab vorgestellt haben.
Es gibt in diesen Punkten keine Vorreiterrolle Deutschlands. Eventuell liegt auch hier eine Ursache dafür, dass sie nicht mehr trennt zwischen ihren Gefühlen und ihrem Amt.

Angela Merkel hat mit ihrer öffentlich ausgesprochenen Verachtung einen Stil ihrer Politik verdeutlicht. Möglicherweise meint sie auch hier einem Trend zu folgen. Die Macht des Kollektivs gegenüber dem Individuum wird auch in sozialen Netzwerken in Form eines "Shitstorms" zum Ausdruck, oder besser zum Ausbruch, gebracht. 
In solch einer Kultur geraten Gesetze und individuelle Schuld in den Hintergrund. Diffuse und schwer zu fassende, von einer höheren Autorität gesetzte Normen, treten an ihre Stelle. 

Ob in dem Wahlkampfslogan der SPD "Das Wir entscheidet" oder Hannelore Kraft sagt: "Wir sind kein Volk von Individualisten". Der Kollektivismus tritt in Deutschland immer aggressiver auf; an seiner Seite: 
Schamkultur und Antiliberalität. 


Erling Plaethe


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