22. Juni 2013

Der Mensch-Natur-Dualismus als zentrales Dogma grüner Religion.

Die großen christlichen Kirchen erleben gegenwärtig einen beschleunigten Bedeutungsverlust, immer mehr Menschen kehren den Amtskirchen den Rücken. Auch bisweilen vorauseilender Gehorsam gegenüber dem Zeitgeist vermag hieran nicht wirklich etwas zu ändern. Gleichwohl ist das Bedürfnis des Menschen nach Religion evident. Mir ist historisch kein Kulturvolk bekannt, das nicht religiöse oder quasi-religiöse Riten betrieben hätte oder keine "übergeordnete Instanz" angebetet hätte. Es sind die Fragen nach den letzten Dingen, nach dem "woher kommen wir, wohin gehen wir", die den Menschen spirituell suchen (und finden) lassen. Religion mag, zumindest historisch, auch in der Hoffnung fußen, daß "jemand" oder "etwas" uns vor Unbilden des Lebens bewahren möge, vor Mißernten oder Krankheit etwa. 
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Neben der individuell-spirituellen Dimension, der persönlichen Erfahrung, ist Religiosität auch ein soziales Phänomen; Religion ist eben immer auch Religionsgemeinschaft.  Beides, die individuelle und die soziale Komponente,  hilft Unsicherheit zu reduzieren und Sicherheit, ja Halt, im Leben zu gewinnen. Natürlich ist Glauben sehr viel mehr als das, aber das ist er eben auch.

Ein weiteres zentrales Element christlichen Glaubens, vielleicht der großen monotheistischen Religionen überhaupt, ist der Dualismus. Gut und Böse, Gläubige und Ungläubige, Himmel und Hölle, Erde und Paradies, (ewiges) Leben und der Tod: Hier der Mensch, dort Gott. Die Überwindung dieser Dualismen findet, wenn überhaupt, dann erst im Jenseits statt, in der Transzendenz, im "Himmelreich Gottes"; ist mithin Gegenstand religiöser Verheißung. 

Die vielen Kirchenaustritte bedeuten natürlich nicht, daß die Menschen weniger religiös-spirituelle Bedürfnisse hätten. Wähler der Grünen und der Linkspartei haben im Vergleich mit Wählern anderer Parteien die höchsten Anteile an Atheisten. Auch der Sozialismus ist ja voller begrifflicher Dualismen und quasireligiöser Dogmen. Ideologien sind Ersatzreligionen. Auch die grüne Ideologie ist eine solche Ersatzreligion; apokalyptisch und verheißungsvoll. Identitätsstiftend und sozial bindend. Und voller Dualismen.

Der vielleicht zentrale Dualismus grünen Glaubens ist der zwischen Mensch und Natur:  Hier der Mensch, dort die Natur. Die Rollen sind dabei klar verteilt. Der böse (sündige, "ungläubige") Mensch, der Raubbau an der (edlen, a priori guten, gottgleichen) Natur treibt, die ihrerseits als Opfer, ja als eine Art höheres Wesen konstruiert wird, die am besten gänzlich sich selbst überlassen wäre, also vom Menschen vollkommen unbeeinflußt. 

Wenn die Natur ihrerseits Opfer fordert, etwa bei Naturkatastrophen, dann ist aus Sicht grüner Hohepriester letztlich der Mensch schuld mit seiner Klimaerwärmung, seinen Flußbegradigungen usw. Schlechter Mensch-gute Natur ist die zentrale axiomatische Annahme grünen Glaubens und beinhaltet gleichsam die ganze Moraltheologie dieser Religion. Die Überwindung dieses Dualismus müßte eigentlich folgerichtig im Verschwinden des Menschen vom Antlitz der Erde liegen, dann hätten wir das "grüne Himmelreich auf Erden" (an dem sich dann freilich kein Mensch mehr erfreuen könnte). Da das schwerlich umzusetzen ist, nimmt man vorlieb mit der nächstbesten Möglichkeit: der Mensch soll gegenüber der Natur so tun als wäre er nicht da, als existiere er gar nicht. Andernfalls macht er sich "schuldig" an der Natur, da er sie zerstört (und nicht etwa umgestaltet oder verändert).

Dieses ganze Paket von Grundannahmen ist, bei Licht betrachtet, zutiefst irrational. Es gibt überhaupt keinen Grund zu der Annahme, der Mensch (und somit auch alle seine Handlungen und Handlungswirkungen) sei nicht Teil der Natur sondern gleichsam ihr Gegner, außerhalb von ihr stehend. Im Rahmen unserer phylogenetisch-evolutionären Entwicklung hat sich der Anpassungsvorteil einer überproportional ausgeprägten Großhirnrinde "herausselegiert". Diese Tatsache befähigt uns zu einer Reihe ganz erstaunlicher Leistungen. Dennoch ist der Bau, etwa eines Flugzeugs, lediglich quantitativ (mit Blick auf Komplexität und der hierfür nötigen kognitiven Leistung) anders als die Verwendung eines Steins zum Öffnen einer Nuß durch einen Schimpansen. Qualitativ kann ich dagegen keinerlei Unterschied erkennen. Hochhäuser und Atomkraftwerke sind, so gesehen, genauso Teil der Natur wie Maulwurfshügel oder Biberburgen. Weil eben der Mensch, einschließlich seiner Befähigungen, Handlungen und Handlungsfolgen sowie kultureller und zivilisatorischer Errungenschaften, Teil der Natur ist. 

Ebenso wie der Mensch, als Teil der Natur, nicht apriorisch "schlecht" ist, so ist die (nichtmenschliche) Natur nicht von vorneherein "gut". Die Tatsache, daß die Katze die Maus frißt, ist entlang moralischer Kategorien genauso wenig sinnvoll zu diskutieren wie die Tatsache von Erdbeben oder ein "schöner" oder "unberührter"  Wasserfall.  Selbstverständlich bedeutet das nicht, daß alles, was der Mensch in der Welt anstellt "gut" ist. Jedoch ist alles "menschlich", in einem moralisch wertfreien Sinn, und somit "natürlich". 

Nun ist die Fähigkeit, moralische Werturteile zu fällen, ebenfalls eine wichtige Eigenschaft des Menschen. Auch sie hat sich evolutionär entwickelt, und sie bietet höchstwahrscheinlich einen artspezifischen Anpassungsvorteil. Gleichwohl kann auch Moral rationalen oder irrationalen Prinzipien folgen. Aus Sicht eines islamistischen Extremisten ist es vermutlich hoch moralisches Verhalten, wenn er sich, zusammen mit ein paar "Ungläubigen" in die Luft sprengt. Die Moral ist in religiösen oder politisch-ideologischen Händen, das lehrt die Geschichte wiederholt, nicht unbedingt gut aufgehoben. Im Gegenteil werden oft völlig sachfremde Dinge mit Moral zu einem Wust amalgamiert, aus dem dann die Berechtigung abgeleitet wird, andere zu bevormunden und zu knechten. Das moralisierende Verhältnis des Menschen zur Natur in der grünen Religion ist so ein Wust.
Eine vernunftgeleitet-unideologische Moral, wie sie etwa Kant in seiner Kritik der praktischen Vernunft skizziert, hatte es dagegen immer schon schwer. 



Andreas Döding


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