Die Kernenergie gilt als besonders sicherer Energieträger. Wenn jetzt, wie sich abzeichnet, die Restlaufmengen der deutschen Atomkraftwerke drastisch reduziert werden, dann wird der Strom, der nach bisheriger Rechtslage von den Atomkraftwerken erzeugt worden wäre, unweigerlich durch andere Energieträger produziert. Da diese weniger sicher sind, führt der Atomausstieg zu einer erhöhten Sterblichkeit; schätzungsweise werden 30 Tausend Lebensjahre verloren gehen, bei vielleicht 2-3 Tsd. von vorzeitigem Tod betroffenen Personen.
von Kallias
Seit den 90er-Jahren hat die EU-Kommission eine umfangreiche Serie von Forschungsarbeiten über die "externen Effekte" der Stromerzeugung anfertigen lassen, also um die nicht im Strompreis enthaltenen Schäden an Vermögen, Umwelt und Gesundheit. Der Hauptautor aus Deutschland ist dabei Wolfram Krewitt vom "Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung" der Universität Stuttgart.Krewitts Angaben zufolge gehen pro Terawattstunde (d.h. Milliarden kWh) Stromerzeugung in Europa 73 Lebensjahre durch die Braunkohlenutzung verloren, 9,6 durch Kernenergie, 54 Lebensjahre durch Steinkohle, 25 durch Erdgas, 4 durch die Windenergienutzung und 33 durch Photovoltaik. Dabei werden jeweils die Schäden über den gesamten Brennstoffzyklus addiert.
Bei den fossilen Energieträgern handelt es sich überwiegend um die Folgen des emittierten Feinstaubs, bei der Kernenergie um Auswirkungen der Strahlung, die der Abraum des Uranbergbaus freisetzt. Die Bedeutung der möglichen Unfälle ist um zwei bis drei Größenordnungen geringer. (Vgl. die monetären Abschätzungen für Deutschland, National Implementation, S. 119 u. S. 124.)
Die politische Lage in Deutschland ist nun so, daß sieben Altmeiler stillgelegt wurden und vermutlich nicht mehr ans Netz gehen werden. Die Reststrommengen, die ihnen zugestanden wurden, werden wohl nicht auf andere Kraftwerke übertragen werden können. Es handelt sich dabei um 469 TWh (Terawattstunden). Diese Strommenge wird also nicht mehr durch AKW erzeugt werden, sondern von anderen Kraftwerken. Im Jahre 2010 waren die Anteile der verschiedenen Stromerzeugungsarten diese:
Braunkohle 23,7%
Kernenergie 22,6%
Steinkohle 18,7%
Erdgas 13,6%
Windkraft 5,9%
Photovoltaik 1,9%
Übrige Energieträger 13,5%
Da der Strom aus erneuerbaren Energieträgern aufgrund der hohen Vergütung vermutlich zu 100% in das Netz eingespeist wird, dürfte es nur bei den fossilen Trägern die Überkapazitäten geben, mit denen die wegfallende Strommenge der Altmeiler ersetzt werden kann. Da diese bereits stillgelegt sind, und somit keine Neubauten von fossilen Kraftwerken für Ersatz sorgen können, gehe ich von einer Substitution nach den gegenwärtigen Anteilen an der Stromproduktion aus, also 198 TWh Braunkohle, 157 TWh Steinkohle und 114 TWh Erdgas (= 469 TWh Ex-Atomstrom).
Die gesamte Reststrommenge nach dem noch geltenden Atomgesetz beträgt 2761 TWh (Stand Feb. 2011). Im politischen Raum zeichnet sich das Vorhaben ab, die noch nicht stillgelegten Reaktoren in den kommenden zehn Jahren nach und nach vom Netz zu nehmen. Schätzungsweise müssen dann 1887 TWh Strommenge durch andere Träger erzeugt werden, wobei 405 TWh bei den noch laufenden AKW verbleiben werden. (Bislang erzeugten die AKW jährlich 140,5 TWh. Die sieben alten AKW haben zusammen eine Nettoleistung von 8098 MW, alle AKW zusammen von 19104 MW. Die am Netz gebliebenen AKW erzeugen demnach etwa 81 TWh pro Jahr. Schaltet man die Reaktoren in gleichmäßigen Abständen innerhalb der nächsten 10 Jahre ab, dann ergibt sich eine wegfallende Strommenge von 2761-469-((10*81)/2) = 1887 TWh.)
Was man so hört, sollen v.a. Erdgas- (oder "effiziente Kohle-") und Windkraftwerke die Kernenergie ersetzen. Teilen wir einfachheitshalber die zu substituierende Strommenge von 1887 TWh zu gleichen Teilen auf Erdgas und Windkraft auf. Wir können nun den Verlust an Lebensjahren berechnen.
Alte Lage:
2761 TWh Atomstrom = 26505,6 vL ("verlorene Lebensjahre")
Neue Lage:
469 TWh Atomstrom aus Altmeilern ersetzt durch
198 TWh aus Braunkohle = 14850 vL
157 TWh aus Steinkohle = 8478 vL
114 TWh aus Erdgas = 2850 vL
1887 TWh Atomstrom ersetzt
zu 50% durch Erdgas = 23587,5 vL
zu 50% durch Windenergie = 3774 vL
405 TWh verbleibende AKW-Nutzung = 3888 vL
Saldo:
14850 + 8478 + 2850 + 23587,5 + 3774 + 3888 - 26505,6
= 30921,9 verlorene Lebensjahre aufgrund des geplanten Atomausstiegs.
Beim genannten Forschungsvorhabens der EU-Kommission (Methodology 1998 update (S. 240)) wird bei chronischen Erkrankungen wie Krebs oder Kreislauferkrankungen eine Verkürzung der Lebenserwartung um 10-15 Jahre geschätzt, wobei dies als recht ungenau gilt. (Leider habe ich keine einschlägige Angabe zu Atemwegserkrankungen u.a. gefunden.) Mit aller Vorsicht also gesagt, wenn 30000 Lebensjahre verlorengehen, so könnten zwischen 2000 und 3000 Menschen von vorzeitigem Tod betroffen sein.
Reichlich viel, wie mir scheint, um eine Landtagswahl zu retten, die dann doch verloren ging. Betrachtet man nur das Kriterium der Sterblichkeit, dann wäre es besser gewesen, beim bestehenden Atomgesetz zu bleiben.
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