Es gibt diese Schriftsteller mit "Gemeinde". Gerhart Hauptmann hatte eine, Rilke.
stefan george ist ein abstoßendes Beispiel.
Eine "Arno-Schmidt-Gemeinde" gibt es nicht. Das liegt daran, daß Schmidts Leser zu klug sind, zu distanziert, um eine Gemeinde zu veranstalten. Eine Zusammengehörigkeit gibt es aber schon. Ich glaube, daß ich einen Liebhaber von Arno Schmidt auf eine Meile riechen kann.
Ich habe als erstes "Sitara und der Weg dorthin" gelesen, als Student mit etwas mehr als zwanzig Jahren. Also Schmidts Buch über Karl May, das damals gerade erschienen war. Zuvor hatte ich die Titelgeschichte von Gunnar Ortlepp im "Spiegel" gelesen.
Ich habe mich damals gefragt: Ja, kann der Mann das denn ernst meinen? Er hat wildeste Spekulationen über Karl May veranstaltet. Zusammengeklaubt aus ein paar Textstellen. Diese runden Schluchten, die androgynen Gestalten wie die Tante Droll, der Knieschuß und dergleichen mehr.
Daraus hat Schmidt eine Theorie über Mays vorgebliche Homosexualität, über seine - von Schmidt erdachte - Phantasiewelt zusammengezimmert, in der Erotisches in die Landschaft versetzt wird. Meinte Schmidt.
Alles an den Haaren herbeigezogen. Jeder, der Karl May liest, weiß, daß diese "Stellen", über die sich Schmidt mit unglaublicher Akribie hergemacht hat, nur kleine Passagen in einem Textcorpus von Tausenden von Seiten sind.
Dennoch hat mich dieses Buch gefangen.
Erstens, weil Schmidt unglaublich witzig und intelligent schrieb. Zweitens, weil seine Enthüllungen den Voyeur in mir angesprochen haben. Wie Freud, auch er ein großer Voyeur, fasziniert Arno Schmidt seine Leser damit, daß er ihnen Enthüllungen anbietet.
Auch Karl May war ja ein Enthüller: "Waldröschen oder die Rächerjagd rund um die Erde. Großer Enthüllungsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft von Capitain Ramon Diaz de la Escosura". Einer seiner Kolportageromane.
Jetzt etwas systematischer. Was macht die Lust am Lesen von Arno Schmidt aus? Man muß da die Schichten abtragen.
Erstens fordert er den Leser. Das war von seinen ersten Arbeiten an so, bis ins Spätwerk hinein. Er wollte, daß man seinen Kopf anstrengt.
Wer seinen Kopf gern anstrengt, der hat seine Lust daran, Arno Schmidt zu lesen. Wer das nicht mag, der ist als Leser von Schmidt verloren.
Manchmal hat er es übertrieben. Im "Kosmas" ist so viel an Antikem zu lesen, daß es mir keine Freude mehr gemacht hat, das alles nachzuschlagen.
Er hat wohl selbst gemerkt, daß er da zu weit gegangen war. Anfangs spielten seine Arbeiten weit weg in Zeit und Raum. Später war es die kleine Welt, die er kannte. Dieses Geprotze wie im "Kosmas" und in "Gadir" hat er aufgegeben.
Also, das erste ist da die intellektuelle Herausforderung. Zweitens gibt es bei Schmidt das, was man heute gern "Subtext" nennt.
Am suggestivsten in "Kühe in Halbtrauer". Das sind Traumgeschichten, die das ubw ansprechen. Er hat auch sonst immer wieder mit den Schemata in unseren Köpfen gespielt, mit den "Alten Mythen".
Es gibt niemanden, der so viel von unserer kulturellen Tradition verarbeitet, der das so in sein Werk eingebaut hat. Keinen Deutschen. Joyce hat das natürlich auch gemacht. In "Caliban über Setebos" hat Schmidt so viel eingewebt, daß man schon ein wenig wissen muß, um das alles genießen zu können
Drittens gibt es die Lust an der Sprache. Schmidt hatte ein sinnliches Verhältnis zur Sprache. Er hat mit ihr gespielt, sie ausprobiert, sie variiert. Er war ein Bewunderer von Lewis Carroll, der das auch konnte.
Von daher die Etym-Theorie. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, daß er sie wörtlich geglaubt hat. Er macht ja selbst Witze über diese Theorie.
Es gibt da etwas Richtiges, nämlich die "Lagerung der Wörter im Gehirn". Wir lernen ja Sprache akustisch und nicht visuell. Ein großer Teil der Menschheit kennt Sprache überhaupt nur akustisch und artikulatorisch. Also spielt Klangähnlichkeit eine zentrale Rolle.
Aber ansonsten hat Schmidt mit diesen Etyms gespielt. Die Theorie erlaubte es ihm, seinem Aberwitz freien Lauf zu lassen. Er schrieb ja auch oft unter dem Einfluß von Schnaps und Nescafé. Er war viel zu souverän, um die Etym-Theorie wörtlich zu nehmen. Er war ja ein VerschreibKünstler und kein Linguist oder Hirnphysiologe.
Und viertens gibt es das Wichtigste: Schmidt war ein großer Pornograph. Sein ganzes Werk ist sexualisiert. Anfangs hat er sich nicht getraut, das zu "enthüllen". Später wurde er immer offener.
Ich halte ihn für den größten deutschen Pornographen des vergangenen Jahrhunderts. Er hat Sexuelles beschrieben, wie das kaum jemand kann.
Ach so, das mit "Zettels Raum". Natürlich kein sehr origineller Kalauer. Schmidt hatte eine Schwäche für die dümmsten Kalauer, die man sich vorstellen kann.
stefan george ist ein abstoßendes Beispiel.
Eine "Arno-Schmidt-Gemeinde" gibt es nicht. Das liegt daran, daß Schmidts Leser zu klug sind, zu distanziert, um eine Gemeinde zu veranstalten. Eine Zusammengehörigkeit gibt es aber schon. Ich glaube, daß ich einen Liebhaber von Arno Schmidt auf eine Meile riechen kann.
Ich habe als erstes "Sitara und der Weg dorthin" gelesen, als Student mit etwas mehr als zwanzig Jahren. Also Schmidts Buch über Karl May, das damals gerade erschienen war. Zuvor hatte ich die Titelgeschichte von Gunnar Ortlepp im "Spiegel" gelesen.
Ich habe mich damals gefragt: Ja, kann der Mann das denn ernst meinen? Er hat wildeste Spekulationen über Karl May veranstaltet. Zusammengeklaubt aus ein paar Textstellen. Diese runden Schluchten, die androgynen Gestalten wie die Tante Droll, der Knieschuß und dergleichen mehr.
Daraus hat Schmidt eine Theorie über Mays vorgebliche Homosexualität, über seine - von Schmidt erdachte - Phantasiewelt zusammengezimmert, in der Erotisches in die Landschaft versetzt wird. Meinte Schmidt.
Alles an den Haaren herbeigezogen. Jeder, der Karl May liest, weiß, daß diese "Stellen", über die sich Schmidt mit unglaublicher Akribie hergemacht hat, nur kleine Passagen in einem Textcorpus von Tausenden von Seiten sind.
Dennoch hat mich dieses Buch gefangen.
Erstens, weil Schmidt unglaublich witzig und intelligent schrieb. Zweitens, weil seine Enthüllungen den Voyeur in mir angesprochen haben. Wie Freud, auch er ein großer Voyeur, fasziniert Arno Schmidt seine Leser damit, daß er ihnen Enthüllungen anbietet.
Auch Karl May war ja ein Enthüller: "Waldröschen oder die Rächerjagd rund um die Erde. Großer Enthüllungsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft von Capitain Ramon Diaz de la Escosura". Einer seiner Kolportageromane.
Jetzt etwas systematischer. Was macht die Lust am Lesen von Arno Schmidt aus? Man muß da die Schichten abtragen.
Erstens fordert er den Leser. Das war von seinen ersten Arbeiten an so, bis ins Spätwerk hinein. Er wollte, daß man seinen Kopf anstrengt.
Wer seinen Kopf gern anstrengt, der hat seine Lust daran, Arno Schmidt zu lesen. Wer das nicht mag, der ist als Leser von Schmidt verloren.
Manchmal hat er es übertrieben. Im "Kosmas" ist so viel an Antikem zu lesen, daß es mir keine Freude mehr gemacht hat, das alles nachzuschlagen.
Er hat wohl selbst gemerkt, daß er da zu weit gegangen war. Anfangs spielten seine Arbeiten weit weg in Zeit und Raum. Später war es die kleine Welt, die er kannte. Dieses Geprotze wie im "Kosmas" und in "Gadir" hat er aufgegeben.
Also, das erste ist da die intellektuelle Herausforderung. Zweitens gibt es bei Schmidt das, was man heute gern "Subtext" nennt.
Am suggestivsten in "Kühe in Halbtrauer". Das sind Traumgeschichten, die das ubw ansprechen. Er hat auch sonst immer wieder mit den Schemata in unseren Köpfen gespielt, mit den "Alten Mythen".
Es gibt niemanden, der so viel von unserer kulturellen Tradition verarbeitet, der das so in sein Werk eingebaut hat. Keinen Deutschen. Joyce hat das natürlich auch gemacht. In "Caliban über Setebos" hat Schmidt so viel eingewebt, daß man schon ein wenig wissen muß, um das alles genießen zu können
Drittens gibt es die Lust an der Sprache. Schmidt hatte ein sinnliches Verhältnis zur Sprache. Er hat mit ihr gespielt, sie ausprobiert, sie variiert. Er war ein Bewunderer von Lewis Carroll, der das auch konnte.
Von daher die Etym-Theorie. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, daß er sie wörtlich geglaubt hat. Er macht ja selbst Witze über diese Theorie.
Es gibt da etwas Richtiges, nämlich die "Lagerung der Wörter im Gehirn". Wir lernen ja Sprache akustisch und nicht visuell. Ein großer Teil der Menschheit kennt Sprache überhaupt nur akustisch und artikulatorisch. Also spielt Klangähnlichkeit eine zentrale Rolle.
Aber ansonsten hat Schmidt mit diesen Etyms gespielt. Die Theorie erlaubte es ihm, seinem Aberwitz freien Lauf zu lassen. Er schrieb ja auch oft unter dem Einfluß von Schnaps und Nescafé. Er war viel zu souverän, um die Etym-Theorie wörtlich zu nehmen. Er war ja ein VerschreibKünstler und kein Linguist oder Hirnphysiologe.
Und viertens gibt es das Wichtigste: Schmidt war ein großer Pornograph. Sein ganzes Werk ist sexualisiert. Anfangs hat er sich nicht getraut, das zu "enthüllen". Später wurde er immer offener.
Ich halte ihn für den größten deutschen Pornographen des vergangenen Jahrhunderts. Er hat Sexuelles beschrieben, wie das kaum jemand kann.
Ach so, das mit "Zettels Raum". Natürlich kein sehr origineller Kalauer. Schmidt hatte eine Schwäche für die dümmsten Kalauer, die man sich vorstellen kann.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Eigene Aufnahme.