20. Juni 2020

Lord Dunsany, "Die Gespenster" (1908 / 1938)

­
"Die Gespenster" (1908)


(Sidney. H. Sime, "Oneleigh")
 
Ich nehme an, daß es für meine Leser kaum von Belang sein dürfte, aus welchem Grund ich mich mit meinem Bruder in seinem großen, einsam gelegenen Landhaus zerstritten hatte - zumindest nicht jene, von denen ich hoffe, daß sie das Experiment interessiert, zu dem mich dieser Streit verleitete, und das, was mir dabei in jenem gefährlichen Bereich widerfuhr, den ich dabei so leichtsinnig betrat. Es war bei meinem Besuch in Oneleigh.

Oneleigh befindet sich in einer einsamen ländlichen Gegend, umgeben von einem Bestand altehrwürdiger Zedern, in deren Zweigen es flüstert, wenn der Wind hindurchfährt. Wenn der Nordwind bläst, stecken sie die Köpfe zusammen und nicken mit ihren Wipfeln, und stimmen einander zu und werden wieder still. Der Nordwind ist für sie wie ein angenehmes Rätsel, über das uralte Weise nachsinnen und ein Schwätzchen halten. Diese Zedern wissen so manches, so lang stehen sie schon dort. Ihre Ahnen kannten den Libanon, und die Vorfahren dieser Ahnen dienten den Königen von Tyros und der Palast König Salomos wurde aus ihnen gefertigt. Und von diesen schwarzhaarigen Kindern der ergrauten Zeit war das alte Haus von Oneleigh umgeben. Ich kann nicht sagen, wie viele Jahrhunderte an seine Mauern gebrandet waren wie flüchtiger Gischt, aber noch standen sie fest, und im Lauf der Zeit hat sich dort vieles Alte und Ehrwürdige angesammelt, wie Algen auf einem Felsen, der der See trotzt. Hier fanden sich Rüstungen, die vor Zeiten Kämpfer geschützt hatten wie die Schalen toter Muscheln; Gobelins bedeckten die Wände wie Seetang in bunten Farben; hier fand sich kein neumodisches Treibgut, kein Mobiliar aus der Zeit Königin Viktorias, kein elektrisches Licht. Die Handelswege, die leere Konservendosen und billige Romane an Land spülten, verliefen andernorts. Gewiß: die Jahrhunderte werden ihr Werk vollenden und seine Trümmer an ferne Küsten schwemmen. Doch noch stand es, und ich hatte meinem Bruder dort einen Besuch abgestattet, und unser Gespräch war auf das Thema Gespenster gekommen. Mir schienen seine Ansichten dazu nicht ganz aufgeklärt. Er hielt Dinge, die nur in der Phantasie vorkommen, für real, er befand, daß Berichte aus zweiter Hand, daß jemand ein Gespenst gesehen hätte, Beweis dafür seien, daß es sie gäbe. Ich antwortete ihm, daß sie auch dann keinen Beweis darstellten, wenn die Betreffenden tatsächlich Gespenster gesehen hätten; niemand glaubt daran, daß es rote Ratten gibt, obwohl es genügend Beweise gibt, daß sie im Säuferwahn gesehen werden. Schließlich erklärte ich, daß ich selbst auch dann noch ihre Existenz bestreiten würde, wenn ich sie mit eigenen Augen sehen sollte. Also versorgte ich mich mit ein paar Zigarren und trank mehrere Tassen Tee, der eine halbe Ewigkeit lang gezogen hatte, verzichtete aufs Abendessen und zog mich für die Nacht in ein Zimmer zurück, dessen Wände mit dunkler Eiche vertäfelt und wo die Möbel unter Laken verborgen waren, und ließ mich nicht von meinem Bruder von meinem unsinnigen Vorhaben abbringen. Noch als er mit der Kerze in der Hand die Treppe zu seinem Schlafzimmer hinaufstieg, beschwor er mich, doch bitte etwas zu Abend zu essen und mich ins Bett zu legen.


Es war eine stürmische Winternacht und draußen raunten die Zedern eifrig miteinander; ich weiß nicht, was sie zu besprechen hatten, aber ich vermute, sie waren Konservative alter Schule, die alles Neue aus Prinzip ablehnten. Im Zimmer fing ein Holzscheit, das noch nicht knochentrocken war, an zu pfeifen und summen, und es klang fast wie eine tonlose Melodie, eine kleine Stichflamme zuckte empor und gab den Rhythmus vor, die Schatten drängten sich näher und wiegten sich wie im Tanz. In den dunklen Ecken hockten die Möbel unter ihren Laken wie alte Anstandsdamen und bewegten sich nicht. In der finstersten Zimmerecke befand sich eine Tür, die stets abgeschlossen war; sie ging auf den Flur hinaus, aber sie wurde nie benutzt. Vor dieser Tür hatte es einmal einen Vorfall gegeben, auf den man in unserer Familie nicht stolz ist und von dem wir nie sprechen. Der Feuerschein aus dem Kamin flackerte über die altehrwürdigen Sessel; die Hände, die ihre Bezüge bestickt hatten, ruhten seit langer Zeit unter dem Rasen; von den Nadeln, die die Fäden gezogen hatten, waren nur noch Roststäubchen geblieben. Niemand stickte und spann mehr in diesem alten Zimmer - niemand außer den geschäftigen alten Spinnen, die hier die Totenwacht hielten und die Leichentücher woben, um den Staub des Vergänglichen zu sammeln. In den Ecken häufte sich das Mehl, das die Holzwürmer bei ihrem Fraß in den Eichenpaneelen hinterlassen hatten.

Das war nun der rechte Ort, um eine Phantasie, die von einem knurrenden Magen und starkem Tee aufgeputscht war, die Geister früherer Bewohner sehen zu lassen. Ich erwartete nichts anderes. Die Flammen flackerten, die Schatten tanzten; die Erinnerung an seltsame Vorkommnisse aus alter Zeit kam mir lebhaft in den Sinn, aber eine große Standuhr schlug dumpf die Mitternachtsstunde, und nichts passierte. Meine Phantasie ließ sich Zeit, mir kroch die Kälte der späten Nachtstunden in die Knochen, und ich war kurz davor, einzuschlafen, als draußen auf dem Flur das Rascheln von Seidengewändern zu hören war, auf das ich gewartet hatte. Dann traten paarweise die adligen Damen aus der Zeit Königin Elisabeths mit ihren Galanen ein. Sie waren kaum mehr als Schatten - sehr vornehme Schatten, fast durchsichtig, aber wir kennen alle Gespenstergeschichten, wir haben ihre Trachten in den Museen gesehen. Es erübrigt sich, sie zu beschreiben; einige von ihnen traten jedenfalls ein und setzten sich auf die alten Stühle - was angesichts des Wertes der Brokatbezüge leicht vermessen schien - und hörten auf, mit den Kleidern zu rascheln.

Jetzt hatte ich also meine Gespenster gesehen - aber ich fürchtete mich keineswegs vor ihnen, und war in keiner Weise davon überzeugt, daß sie wirklich waren.

Ich war kurz davor, aufzustehen und tatsächlich zu Bett zu gehen, als draußen auf dem Flur huschende Geräusche zu hören waren, als ob nackte Füße oder Pfoten über das gebohnerte Parkett laufen würden. Mitunter klang es, als ob eine Pfote ausrutschen würde und ich konnte hören, wie Krallen über das Holz scharrten, als das Wesen das Gleichgewicht wiedergewann. Ich hatte keine Angst, aber ich war doch leicht beunruhigt; das Huschen kam direkt auf meine Zimmertür zu, und dann vernahm ich eifriges Schnüffeln. Vielleicht ist "beunruhigt" nicht ganz der angemessene Ausdruck für das, was ich empfand. Dann stürmte ein Trupp schwarzer Wesen ins Zimmer; sie waren größer als Bluthunde, mit großen Schlappohren; ihre Nasen schnüffelten dicht über dem Boden und sie eilten zu den Damen und Herren aus fernen Tagen und drückten ihnen ihre Schnauzen ins Gesicht. In den Tiefen ihrer Augen glomm ein böser Schimmer, und mir wurde klar, wer diese Wesen waren, und mir wurde bang. Es waren die Sünden, die abscheulichen, infamen Sünden dieser Herren und Damen vom Adel.


(Sime: "Ein Trupp schwarzer Wesen"/"A herd of black creatures")

Wie sittsam sie doch aussah, die Dame, die da neben mir auf einem zierlichen Stuhl saß - wie sittsam und anmutig, und vor ihr hockte eine Sünde und hatte ihr unförmiges Haupt mit gewaltigen blutrot glotzenden Augen in ihren Schoß gelegt - ein klarer Fall von Mord. Und du, die blonde Dame hinter ihr, nicht doch! - aber das furchtbare Wesen mit den schwefelgelben Augen, das von ihr zum nächsten Höfling schleicht und wieder und wieder verscheut wird und zum anderen zurückkehrt. Daneben versuchte eine Dame ein entsetztes Lächeln, während sie das gräßliche Haupt einer fremden Sünde kraulte, aber ihre eigene Sünde zeigte sich eifersüchtig und preßte ihre Schnauze in ihre Hand. Dort sitzt ein alter Adelsmann mit seinem Enkel auf dem Knie, und eine der riesigen schwarzen Sünden des Großvaters leckt dem Kind das Gesicht ab und hat es für sich gewonnen. Ab und zu erhob sich eines der Gespenster und suchte sich einen anderen Stuhl, aber immer folgte ihm der Troß seiner Sünden nach. Arme Geister! - wie oft müssen sie vergeblich versucht haben, ihren verhaßten Sünden zu entkommen, seit zweihundert Jahren, wie oft müssen sie sich ihrer Gegenwart geschämt haben - und konnten ihnen nicht entfliehen. Plötzlich schien eine davon mein lebendes Blut zu wittern und bellte grausig. Sofort ließen die übrigen von ihren Gespenstern ab und scharten sich um die Sünde, die Laut gegeben hatte. Das dämonische Wesen hatte meine Spur nahe bei der Tor aufgenommen, und sie kamen langsam näher, die Schnauzen dicht über dem Boden, und stießen dann und wann ihre schrecklichen Laute aus. Ich kam zu dem Schluß, daß dies hier jetzt zu weit ging, aber sie hatten mich bereits erblickt, sie umringten mich, sprangen an mir hoch, wollten nach meiner Kehle fassen. Und sobald mich ihre Klauen berührten, kamen mir furchtbare Dinge in den Sinn und entsetzliche Begierden erfüllten mein Herz. Ich erwog grausige Vorhaben, während diese Wesen an mir emporsprangen, und ich plante sie mit eiskalter Entschlossenheit. Eines der zottigen Wesen, vor denen ich mit erlahmender Kraft meine Kehle zu schützen suchte, war ein Mordgelüst mit blutroten Augen. Mit einem Mal schien es mir recht und angemessen, wenn ich meinen Bruder umbringen würde. Es kam nur darauf an, der Strafe dafür zu entgehen. Ich wußte, wo ich einen Revolver finden würde; wenn ich ihn erschossen hätte, würde ich ihn ankleiden und ihm Mehl über das Gesicht streuen, als ob er sich als Gespenst vermummt hätte. Ich würde erklären, daß er mich erschreckt hätte - und die Dienstboten hatten unser Gespräch über Gespenster mitangehört. Es gab ein paar Kleinigkeiten, bei denen ich Vorsicht walten lassen mußte aber ich übersah in meiner Planung nichts. Ja, es schien mir recht, daß ich meinen Bruder umbringen würde, als ich der Kreatur in die roten, glosenden Augen schaute. Aber ein letzter Willensfunke hielt mich zurück. ""Weil die gerade Linie AE auf der CD aufgestellt ist, und mit ihr die Winkel CEA, AED macht," sagte ich, "so sind (dreizehnter Satz), die Winkel CEA, AED zwei rechten gleich."

Ich bewegte auf die Tür zu, um den Revolver zu holen, und eine freudige Aufregung bemächtigte sich der Wesen.  "Weil ferner die gerade Linie DE auf der AB aufgeteilt ist und mit ihr die Winkel AED, DEB macht, so sind (dreizehnter Satz) die Winkel AED, DEB zwei rechten gleich. Q.E.D." Der Beweis war erbracht. Die Logik und die Vernunft kehrten in meinen Geist zurück, die schwarzen Hunde der Sünden verschwanden, die brokatbestickten Sessel waren leer. Der Gedanke, daß man den eigenen Bruder ermorden wollte, schien mir unbegreiflich.

*           *          *

"Gespenster" (1938)

Unter den Forschern und Tüftlern, die sich dem Medium des Rundfunks, der drahtlosen Kommunikation, ernsthaft widmen, hat es in den letzten Jahren einige neue Erkenntnisse gegeben. Mit "ernsthaft" meine ich hier natürlich nicht die Hörer, die allabendlich vor dem Empfänger sitzen und Musik oder Jazz hören, und deren Kunst sich darauf beschränkt, ihren Lieblingssender aus Luxemburg störungsfrei empfangen zu können.

Gemeint sind hier die Spezialisten, deren Aufmerksamkeit sich auf das richtet, was zwischen den Sendefrequenzen der Sender empfangen werden kann, und die sich mit dem befassen, was man "atmosphärische Störungen" nennen könnte. Dort ist man zu der Erkenntnis gelangt, daß es viele Arten von Gespnstern gibt: so etwa die Waldgespenster, die sich niemals ins Innere menschlicher Behausungen verirren. Sie verlassen nur selten das Dunkel im tiefen Wald, und kommen unseren Häusern nie näher als bis auf die Büsche am Gartenrand - außer bei Forsthäusern, die mitten im Wald stehen; dann trifft man sie zuweilen auch in den Schuppen und in der Waschküche an. Dann gibt es Hausgespenster (oder besser Gemäuergeister), die nur in Ruinen vorkommen und die niemals den Hausgespenstern begegnen, die in dunklen Fluren hausen, besonders wenn sie mit schwarzer Eiche vertäfelt sind. Nie? Vielleicht haben meine Leser zuweilen mitten in der Nacht schrille und grausige Schreie gehört, nicht laut, aber umso durchdringender, die einem das Blut besser gefrieren lassen als ein Sturz in einen Straßengraben im Winter: dann ist ein Ruinengespenst einem Hausgespenst begegnet. Das aber passiert nichgt oft; und ich komme von meinem Thema ab, denn die Erkenntnisse der Radio-Forscher ziegen, daß sich die drei Gruppen von Gespenstern voneinander getrennt halten. Das heißt aber nicht, daß man nichts nicht allen dreien begegnen kann, wenn sie aus irgendeinem Grund umgehen.

Eine dieser Gelegenheiten dafür ist unzweifelhaft die Weihnachtszeit. Bislang gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse (gesichert in dem Sinne, wie es die Wissenschaft verlangt) was es genau ist, das Gespenster dazu treibt, gerade um Weihnachten herum bevorzugt umzugehen. Man vermutet aber, daß der Grund dafür in einer ungewöhnlichen Zufriedenheit - oder, aus Sicht der Gespenster, Überheblichkeit - liegen könnte, die die Menschen in dieser Zeit überkommt, jedenfalls die, die noch unter den Lebenden weilen. Ich selbst lehne das Wort Überheblichkeit in diesem Zusammenhang ab, übrigens auch den Ausdruck Selbstgefälligkeit; es bleibt aber dabei, daß die Menschen zu dieser Zeit aus unterschiedlichen Gründen glücklicher sind als sonst, und es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Gespenster neidisch sind oder zumindest das Verhalten der Lebenden nachahmen. Ich stelle nicht gern solche Behauptungen auf, die ich nicht begründen oder beweisen kann, aber zum Glück bietet sich für den Nachahmungstrieb von Gespenstern ein gutes Beispiel an: wenn Sie an einem kalten Wintertag, an dem die Sonne scheint, hüpfen und in die Hände klatschen, um sich warmzuhalten, dann ahmt Ihr Schatten jede Ihrer Bewegungen nach. Und genauso verhält es sich mit Gespenstern und menschlichen Lustbarkeiten: wenn sich die Lebenden zum Tanz treffen und Feuerwerke und alle möglichen lärmenden Veranstaltungen abhalten, werden die Geister ebenfalls aktiv. Und wenn wir einmal unsere Vorurteile gegen alles Übernatürliche vergessen und versuchen, einen nüchternen Blick darauf zu werfen, können wir es ihnen nicht wirklich überlnehmen. Es sollte klar sein, welche Mittel dagegen helfen: niemand muß solchen Spuk hinnehmen, niemand kann das von Ihnen verlangen; eisige und beklemmende Schemen, in deren leeren Augenhöhlen ein schwefliger Funke glimmt, und deren ganzer Habitus von Tod und Grab kündet, sagen niemandem wirklich zu. Dagegen hilft, sich nur mitten in hell erleuchteten Räumen aufzuhalten, dunkle Schränke und Ecken und Flure zu meiden und sich nicht hinter Vorhängen zu verstecken. Die Hausgespenster bleiben für gewöhnlich in ihren unbeleuchteten Korridoren, falls sie nicht durch Dummheiten hervorgelockt werden, die sich die Leser einer angesehenen Zeitschrift natürlich niemals erlauben würden. Für die Ruinengespenster gibt es, streng genommen, keinen Ausgang aus den verfallenen Gemäuern, in denen sie hausen, aber wenn der Mondschein durch hohe Erkerfenster fällt, besonders wenn er jenen gelben Schimmer angenommen hat, auf dem sich Gespenster sicher bewegen können wie unsereins über festes Eis, ist es ihnen möglich, ihr Domizil zu verlassen und sich frei zu bewegen.



Den Waldgespenstern stehen alle Pfade zur Verfügung. Jeder Schatten bietet ihm Zuflucht, wenn er nur dunkel genug ist. Aus diesem Grund hab ich es gern, wenn Büsche nahe an der Hauswand gepflanzt sind, daß zwischen ihnen und den nächsten Bäumen ausreichend Platz vorhanden ist. Das Sumpfgespenst habe ich noch nicht erwähnt: es bewegt sich zumeist nicht auf dem Boden, und wenn doch, so bewegt es sich unsicher und stolpernd. Es reitet auf weißem Nebel, entschlossen, aber sehr langsam. Jeder Leser, der einmal gesehen hat, wie solch ein Nebelschweif abends aus dem Moor aufsteigt, wie langsam er sich bewegt und die Richtung ändert, weiß, wie leicht man diesen Gespenstern ausweichen kann. Denen, die sich nicht weiter mit diesen Dingen befaßt haben, sei angeraten, sich nach Sonnenuntergang von Sümpfen zu den Zeiten, in denen die Geister umgehen, fernzuhalten, oder zu jenen Zeiten, an denen der Himmel eine unheilvolle Miene aufzusetzen scheint - ganz gleich, wie die Meteorologen dergleichen nennen mögen. Es erübrigt sich, meine Leser besonders vor den Sumpfgeistern zu warnen; es genügt, wenn sie sich daran erinnern, daß sie eng mit den Irrlichtern verwandt sind, deren tödliche Natur jedem geläufig sein sollte. Wer unter solche Gespenster fällt, macht alsbald mit Kobolden nähere Bekanntschaft und wird über kurz oder lang von Eften gefressen.

Es dürfte nicht viel verlangt sein, sich während der kurzen Zeit der Weihnachtsferien von Ruinen, dunklen Fluren, Wäldern und Sümpfen am Abend fernzuhalten. Meine Leser dürften solche Umsichtigkeit nicht bereuen.

Es gibt noch vieles weitere, das über diese Gespenster mittlerweile bekannt, ist als ich hier berichtet habe, und der Grund, aus dem ich es nicht erwähne, liegt in der Art und Weise, in der diese Erkenntnisse gewonnen wurden: es handelt sich um belauschte Gespräche. Es handelt sich um das, was die Ingenieure in den letzten zwei, drei Jahren mitgehört haben. Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, und es herrscht mitnichten Einigkeit über die gewonnenen Erkenntnisse, aber bei alle Beteiligten stimmen darin überein, daß man Vorsicht walten lassen sollte, was die mitgehörten Gespräche zwischen den Geistern angeht. In diesem Metier können beide Seiten mitmachen, und auf diesem Gebiet ist es, als würde man als Anfänger Schach gegen einen Meister spielen. Wenn man Gespräche unter Sterblichen belauscht, kann man vor Entdeckung und Rache sicher sein, wenn man selbst kein Wort davon verlauten läßt, sobald jemand mithören könnte. Aber wie kann man sich dessen im Fall von Gespenstern sicher sein, besonders bei Waldgeistern? Man weiß nie, ob sie anwesend sind; man weiß nur, daß sie anwesend sein könnten, und niemand kann sagen, wie scharf ihr Gehör sein mag.

Zwischen Straßburg und Barcelona, auf jenen schmalen Frequenzbändern, auf denen die Sender schweigen, haben die Empfänger zahllose wandernde Stimmen belauscht. Sollten Sie aber weitererzählen, was ich hier berichtet habe, oder schlimmer noch: sollten Sie das gar öffentlich erörtern, dann riskieren Sie nur die Rache derer, deren größte Kunstfertigkeit im heimlichen Lauschen besteht. In dunklen Zimmerecken, hinter Vorhängen, hinter Klavieren und weiß der Himmel noch welchen Verstecken,verbergen sich so manche Wesen, denen unsere Begriffe von Fairness und Anstand fremd sind und ebenso wenig gelten wie wir selbst und die sich über Ihre tiefsten Geheimnisse untereinander lustig machen und wo Ihre Auffassungen und Ansichten diesen Wesen, die wie blinde Fledermäuse durch die Ewigkeit torkeln, nur zu Spott und Verachtung dienen.



*          *          *

"The Ghosts" erschien zuerst in der Sammlung The Sword of Welleran and Other Tales im Oktober 1908 im Londoner Verlag George Allen & Sons.

Der 15. Lehrsatz des Euklid ist nach der anonymen Übersetzung der "Elemente" zitiert, die 1808 in Wien im Verlag Im Verlagsgewölbe des K.K. Schulbücher-Verschleißes bey St. Anna in der Johannis-Gasse (ein Verlagsname, der eines Herzmanovsky-Orlando würdig ist!) zitiert.

Die kleine Causerie "Ghosts" erschien im kanadischen Magazin Queen's Quarterly in der Nr. 3 des 45. Jahrgangs von Herbst 1938.

Angesichts der Natur des Exorzismus in Dunsanys kleiner Erzählung drängt sich der Verdacht auf, daß in diesem Bereich der Geisterwelt eine subkutane Verwandtschaft (oder eine Umkehrung dieses Verhältnisses, je nachdem) mit den Zuständen bestehen mag, von denen Heinrich Heine am Beispiel des Doktor Saul Ascher zu Beginn der Harzreise zu berichten weiß:

Er behauptete immer - wir fürchten etwas, weil wir es durch Vernunftschlüsse für furchtbar erkennen. Nur die Vernunft sei eine Kraft, nicht das Gemüt. Während ich gut aß und gut trank, demonstrierte er mir fortwährend die Vorzüge der Vernunft. Gegen das Ende seiner Demonstration pflegte er nach seiner Uhr zu sehen, und immer schloß er damit: "Die Vernunft ist das höchste Prinzip!" ...  Es gibt nichts Unheimlicheres, als wenn man, bei Mondschein, das eigene Gesicht zufällig im Spiegel sieht. In demselben Augenblicke schlug eine schwerfällige, gähnende Glocke, und zwar so lang und langsam, daß ich nach dem zwölften Glockenschlage sicher glaubte, es seien unterdessen volle zwölf Stunden verflossen, und es müßte wieder von vorn anfangen, zwölf zu schlagen. Zwischen dem vorletzten und letzten Glockenschlage schlug noch eine andere Uhr, sehr rasch, fast keifend gell, und vielleicht ärgerlich über die Langsamkeit ihrer Frau Gevatterin. Als beide eiserne Zungen schwiegen, und tiefe Todesstille im ganzen Hause herrschte, war es mir plötzlich, als hörte ich auf dem Korridor, vor meinem Zimmer, etwas schlottern und schlappen, wie der unsichere Gang eines alten Mannes. Endlich öffnete sich meine Tür, und langsam trat herein der verstorbene Doktor Saul Ascher. Ein kaltes Fieber rieselte mir durch Mark und Bein, ich zitterte wie Espenlaub, und kaum wagte ich das Gespenst anzusehen. Er sah aus wie sonst, derselbe transzendentalgraue Leibrock, dieselben abstrakten Beine, und dasselbe mathematische Gesicht: nur war dieses etwas gelblicher als sonst, auch der Mund, der sonst zwei Winkel von 22½ Grad bildete, war zusammengekniffen, und die Augenkreise hatten einen größern Radius. Schwankend, und wie sonst sich auf sein spanisches Röhrchen stützende näherte er sich mir, und in seinem gewöhnlichen mundfaulen Dialekte sprach er freundlich: "Fürchten Sie sich nicht, und glauben Sie nicht, daß ich ein Gespenst sei. Es ist Täuschung Ihrer Phantasie, wenn Sie mich als Gespenst zu sehen glauben. Was ist ein Gespenst? Geben Sie mir eine Definition? Deduzieren Sie mir die Bedingungen der Möglichkeit eines Gespenstes? In welchem vernünftigen Zusammenhange stände eine solche Erscheinung mit der Vernunft? Die Vernunft, ich sage die Vernunft -" Und nun schritt das Gespenst zu einer Analyse der Vernunft, zitierte Kants "Kritik der reinen Vernunft", 2. Teil, 1. Abschnitt, 2. Buch, 3. Hauptstück, die Unterscheidung von Phänomena und Noumena, konstruierte alsdann den problematischen Gespensterglauben, setzte einen Syllogismus auf den andern, und schloß mit dem logischen Beweise: daß es durchaus keine Gespenster gibt. Mir unterdessen lief der kalte Schweiß über den Rücken, meine Zähne klapperten wie Kastagnetten, aus Seelenangst nickte ich unbedingte Zustimmung bei jedem Satz, womit der spukende Doktor die Absurdität aller Gespensterfurcht bewies, und derselbe demonstrierte so eifrig, daß er einmal in der Zerstreuung, statt seiner goldenen Uhr, eine Handvoll Würmer aus der Uhrtasche zog, und seinen Irrtum bemerkend, mit possierlich ängstlicher Hastigkeit wieder einsteckte. "Die Vernunft ist das höchste -" da schlug die Glocke eins und das Gespenst verschwand.
Überhaupt muß man angesichts der Leichtigkeit hier, aber auch bei anderern Begegnungen mit der Geisterwelt in Dunsanys Oeuvre, etwa beim Vergraulen der spukhaften Tischgesellschaft in "Dreizehn bei Tisch" (wir berichteten), in der Jorkens-Erzählung "Jorkens Among the Ghosts" (1934), in "The Ghost in the Corner" (1940 im Punch erschienen) oder in der späten Erzählung "The Ghosts of the Heaviside Layer" von 1955, in der die Geister durch Experimente mit drahtloser Telegraphie aus der Stratosphäre, in der sie gefangen waren, in die Behausung des Erzählers herabgebeamt werden, dort aber nicht für existentielles Entsetzen, sondern nur für eine Minderung des Immobilenpreises sorgen (juristisch Beschlagene dürfen sich bei dieser Gelegenheit an den Titel der Dissertation erinnern, die im Jahr 1738 an der Universität Magdgeburg im Bereich Rechtspflege angenommen wurde und der lautete:  "De Jure Spectrorum, Oder: In wie weit Jemand aus Furcht vor Gespenstern sich ein Recht anmassen könne, die Hauß-Miethe auffzusagen") konstatieren, daß es Dunsany leider am rechten Ernst im Umgang mit dem spektralen Sujet zu mangeln scheint. Der zentrales Kennzeichen der modernen phantastischen Literatur besteht darin, daß die Gestalten, die in ihr figurieren, mögen sie auch noch so, tja, phantastisch, sein, konträr zur Wirklichkeit und den Naturgesetzen stehen, im Kontext der Erzählung eindeutig real sind. Außerirdische haben ihre Heimstatt in fernen Sonnensystemen, Zeitmaschinen versetzen ihr e Passagiere ganz praktisch-faktisch in vergangene, zukünftige oder nie dagewesene Zeitläufte, Vampire ernähren sich vom Blut ihrer Opfer (oder als beliebte Variante, von ihrer Lebenskraft), und Gespenster sind eben solche: die Geister von Verstorbenen (oder dämonische Bewohner aus höheren Sphären), keine Projektionen, kein Sinnbild für Verfehlungen oder Traumata der Protagonisten - auch wenn solche Aspekte den Text zusätzlich aufladen und sogar wirkungsvoller machen können. Die Allegorie ist das konträre Gegenstück zur modernen Phantastik. Bei den Autoren der "klassichen englischen Gespenstergeschichte" - angefangen mit Joseph Sheridan le Fanu über M. R. James, Arthur Machen, Algernon Blackwood und zahlreiche Kleinmeister des Genres bis hin zu Russell Kirk und Robert Aickman leben die Texte von der Erzeugung dieser, nun ja, "Wirklichkeitsillusion". Graf Dracula und die Bedingungen seiner untoten Existenz, so wie sie Bram Stoker in seinem Roman kodifiziert hat, sind im Kosmos der Erzählung unhinterfragbar gegeben. Das heißt nicht, daß die Wirkung auf den Leser stets in der Erzeugung eines existentiellen Erschreckens beruhte. Tatsächlich wirken die meisten Textes des Genres eher beruhigend und "gemütlich" als verstörend - zumal auf Leser, die über hinreichend Erfahrung mit den Sujets, Wendungen und Erzählkniffen verfügen.









Es bleibt aber dabei, daß auch, wie man formulieren könnte, Gespenster ein gewisses Recht auf literarischen Respekt für sich beanspruchen können ("Komm schlafen: die Geister früherer Bewohner wollen auch 'mal umgehen", heißt es im Arno Schmidts Abend mit Goldrand).

Zedern sind in vielen englischen Parks und Anwesen, genau wie in Deutschland, gern angepflanzte Einzelbäume. Sie können in unseren Breiten bis zu achthundert Jahre alt werden.

In gewisser Hinsicht kann das Feuilleton von 1938 einen prognostischen Treffer für sich verbuchen: Dunsany nimmt hier, mit kleinen Unterschieden, das Phänomen der "Tonbandstimmen" vorweg (auf Englisch zumeist als "electronic voice phenomenon" geläufig), der vermeintlichen Aufzeichnung der Stimmen Verstorbener auf Tonband, das der aus Estland stammende schwedische Maler Friedrich Jürgenson ab 1959 auf beim Aufzeichnen von Vogelstimmen zuerst registriert haben will, das er 1964 in seinem Buch Rösterna Från Rymden (Stimmen aus dem All) beschrieb und das hauptsächlich mit dem Namen des in Lettland geborenen Konstantin Raudive (1909-1974), der seine letzten zehn Jahre in Bad Krozingen im Schwarzwald verbrachte, verbunden ist. Als kleine ironische Adnote sei vermerkt, daß Raudives Bekanntheit in sagen wir "transzendental empfänglichen" Kreisen (das Wort New Age war Anfang der 1960er Jahre noch nicht gebräuchlich) sich seiner Zusammenarbeit und Förderung durch Hans Bender verdankt, dessen Ruf als Erforscher paranormaler Phänomene empfindlichen Schffbruch erlitt, als er 1982 den Poltergeist "Chopper" als genuinen Spuk deklarierte. Die bekannteste filmische Verwendung des vorgeblichen Phänomens findet sich zu Beginn von M. Night Shyamalans "The Sixth Sense" von 1999. Wobei auch hier die Einschränkung gilt (ich setze voraus, daß die Handlung des Films und die Auflösung am Ende allgemein bekannt sind und ich hier kein Geheimnis verrate): auch dies ist nicht "genuin", da der von Bruce Willis gespielte Psychologe die Aufzeichnung seiner letzten Sitzung erst nach seinem vermeintlichen "Aufwachen" anhört, nachdem ihn sein Patient niedergeschossen und anschließend Selbstmord begangen hat - und er selbst also schon zum Phantom geworden ist, ohne es zu wissen.

Angelegentlich des speziellen "Expelliarmus!" mag man auch noch an jene Gestalt aus der unter japanischen Schülern (in diesem Fall unter Schüler_Innen) gängigen Folklore denken, die zumeist unter dem Namen Hanako (oder, um ihr den Ehrentiteln nicht zu verweigern: Hanako-san) bekannt ist; mit voller Bezeichnung Toire no Hanako-san (トイレの花子さん; "toire" ist ein Gairaigo, ein Lehnwort aus dem Englischen), die an Grundschulen auf Mädchentoiletten spukt und ihre Opfer entweder in der Toilettenschüssel ertränkt oder sie dadurch hinab in die Tiefe zieht. Sie trägt zumeist eine längst nicht mehr gebräuchliche rote Schüleruniform und einen Kurzhaarschnitt, und sie findet keine Ruhe, seit sie sich aus Scham über schlechte Noten an eben diesem Ort das Leben genommen hat. Den meisten Varianten ihrer Geschichte muß sie dreimal beim Namen gerufen werden (so wie Bloody Mary im Fall ihres amerikanischen Pedants); manchmal reicht es aber auch, wenn einem bei der Notdurft ein unanständig lauter Wind entfleucht. (Dem Vernehmen nach soll es sich bei ihr um die Ahnherrin der Maulenden Myrtle handeln, die in Hogwarts Toilettendienste verrichtet.) Ihrer Zudringlichkeiten kann man sich erwehren, in dem man ihr ein Zeugnis mit guten Noten unter die ektoplasmatische Nase hält. (Übrigens hatte auch "Chopper" die Gepflogenheit, sich gelegentlich aus der Toilettenschüssel zu melden. Da es sich bei "seinen" Äußerungen zumeist um Unflätigkeiten handelte, darf man darin eine passende symbolische Entsprechung sehen.)

Die beiden Mondscheingemälde stammen von John Atkinson Grimshaw (1836-1893), einem Maler aus Leeds, der sich (neben dem Sujet der zwischen 1860 und 1880 populären Feendarstellungen) auf die Darstellung dunstiger Herbst- und Mondscheinszenerien spezialisiert hatte.

U.E.

© U.E.. Für Kommentare bitte hier klicken.