18. Juni 2020

Lord Dunsany, "Die beunruhigende Geschichte von Thangobrind dem Goldschmied" (1911)

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 (Ill. Sidney H. Sime, "The ominous cough")

Als Thangobrind der Goldschmied das unheilvolle Räuspern vernahm, dreht er sich stracks auf dem engen Pfad um. Ein Dieb war er, von ausgezeichnetem Ruf, dessen Dienste die Reichen und Vornehmen in Anspruch nahmen, denn er stahl niemals etwas Geringeres als das Ei des Moomoo, und sein Lebtag lang hatte er nur vier Arten edler Steine entwendet - Rubine, Diamanten, Smaradge und Saphire -, und als Goldschmied war seine Redlichkeit exemplarisch. Ein hoher Handelsherr war an ihn herangetreten und hatte die Seele seiner Tochter als Preis für den Diamenten geboten, der größer ist als der Kopf eines Menschen und der im Schoß des Spinnengötzen Hlo-hlo in dessen Tempel von Moung-ga-ling ruht, denn es war ihm berichtet worden, daß Thangobrind ein Dieb war, dem man vertrauen könne.


Thangebrind ölte seinen Leib ein und schlüpfte aus seiner Werkstatt und schlich sich durch geheime Gassen und gelangte bis nach Snarp, bevor jemand bemerkte, daß er geschäftlich unterwegs war und daß sein Schwert nicht mehr an seinem Platz unter dem Ladentisch befand. Von dort aus zog er nur des nachts weiter; bei Tag verbarg er sich und schärfte die Klinge seines Schwerts, das er Maus nannte, weil es flink und treffsicher war. Unser Goldschmied wußte sich wohl im Geheimen zu bewegen: niemand sah, wie er das offene Land von Zid durchquerte, keine Seele sah ihn nach Mursk und Tlun kommen. Oh, er war ein wahrer Kenner der Schatten! Einst hatte der Mond einen gewöhnlichen Goldschmied verraten, als er nach einem Unwetter durch die Wolken hervorbrach: niemals wäre dies Thangobrind unterlaufen. Die Nachtwächter sahen nur einen geduckten Schatten, der fauchte und lachte. "Das ist nur eine Hyäne!" sagten sie. In der Stadt Ag bekam ihn ein Wächter zu packen, aber Thangobrind hatte sich eingeölt und entwand sich dem Zugriff und es war nur noch das Huschen seiner bloßen Füße auf dem Straßenpflaster zu hören. Er wußte, daß der Handelsherr ungeduldig auf seine Rückkehr harrte, die Nacht hindurch kein Auge zutat und wie die Gier darim funkelte, und daß seine Tochter in Ketten geschlagen war und ihre Schreie Tag und Nacht in ihrem Verlies widerhallten. Oh ja, Thangobrind wußte Bescheid! Und wenn er nicht geschäftlich unterwegs gewesen wäre, so hätte er sich wohl ein leises Lachen erlaubt. Aber Geschäft ist Geschäft, und vorerst ruhte der Diamand, nach dem er trachtete, noch im Schoß von Hlo-hlo, wo er seit zwei Millionen Jahren seinen angestammten Platz hatte, seit Hlo-hlo die Welt erschaffen hatte und alles darin freigiebig verteilt hatte außer diesem Edelstein, der der Diamant des Toten genannt wurde. Dieses Juwel wurde oft gestohlen, aber es kehrte stets auf Hlo-hlos Schoß zurück. Das wußte Thangobrind gut: aber er war kein gewöhnlicher Dieb und hoffte, Hlo-hlo zu überlisten - und sah doch nicht, daß in seinem Ansinnen Hochmut und Vermessenheit lag, die den Menschen so leicht zum Verderben werden.

Wie geschickt schlich er sich durch die Gruben von Snood! - bald wie ein Kräuterkundiger, der den Boden vor sich genau erkundet, dann wieder wie ein Tänzer, der mit waghaligen Sprüngen über die verwitterten Mauern setzt. Im Schutz der tiefsten Nacht pirschte er sich an den Wachtürmen von Tor vorbei, wo die Bogenschützen mit Pfeilen mit Spitzen aus Elfenbein jeden Fremden als Ziel nehmen, damit keiner von ihnen ihre Gesetze ändert. Denn ihre Gesetze sind zwar schlecht, aber das ist kein Grund, sie von Fremden ändern zu lassen. Oh Thangobrind, gab es jemals einen so listenreichen Dieb wie dich? Er schleppte zwei große Steine an langen Stricken hinter sich her, und die Wächter schossen auf ihr Kollern. Verlockend fürwahr war die Falle, die ihm in Woth gestellt worden war: die Smaragde, die locker in ihren Fassungen am Stadttor prangten; aber Thangobrind entdeckte die goldenen Drähte, die von jedem nach oben führte, und die Gewichte, die ihn erschlagen hätten, wenn er einen von ihnen berührt hätte, und so settze er seinen Weg unverrichteter Dinge fort, wenn auch mit einer Träne im Auge, und gelangte schließlich nach Theth. Dort verehrt jedermann Hlo-hlo, obwohl die Bewohner auch willens sind, andere Götter gelten zu lassen - doch nur als Beute für Hlo-hlos Pirsch, der ihre Heiligenscheine als Schmuck am Gürtel trägt, wie es heißt. Und von Theth aus ereichte er die Stadt Moung und den Tempel von Moung-ga-ling, trat ein und sah den Spinnengötzen Hlo-hlo, wie er dort thronte, und den Diamant des Toten, der auf seinem Schoß funkelte und wie der Vollmond aussah - nur freilich wie der volle Mond den Wahnsinnigen erscheint, die zu lange in seinem Licht geschlafen haben, denn im Funkeln des Diamanten des Toten lag etwas Unheilvolles und ein Vorschein von Dingen, von denen man besser nicht spricht. Das Gesicht das Spinnengötzen war in diesen unheilvollen Schimmer getaucht; keine andere Quelle spendete Licht. Trotz seiner Arme, die die eines Ungeheuers waren, und trotz seines Leibes, der dem eines Dämons glich, war sein Antlitz ruhig und schien in tiefem Schlaf versunken.

Ein leichter Schauder überkam Thangobrind den Goldschmied, eine kurzes Zögern nur, nicht mehr; Geschäft war Geschäft, und er hoffte das Beste. Thangobrind opferte dem Götzen Honig und warf sich vor ihm nieder. Oh, er war durchtrieben! Als die Priester aus dem Dunkel herbeikrochen, um den Honig aufzulecken, sanken sie betäubt zu Boden, denn er war mit einem starken Schlafmittel versetzt. Und Thangobrind der Goldschmied nahm den Diamanten des Toten an sich und packte ihm sich auf die Schulter und entfernte sich behutsam vom Schrein, und Hlo-hlo, der Spinnengötze, blieb stumm, aber er lauchte ohne jeden Laut in sich hinein, als der Goldschmied die Tempelpforte hinter sich schloß. Und als die Priester aus ihrer Betäubung erwachten, in die sie das Trankopfer an Hlo-hlo versetzt hatte, eilten sie zu einer kleinen geheimen Kammer, die Ausblick auf die Sterne gewährte und stellten das Horoskop des Diebs. Und was sie in dem Horoskop lesen konnten, schien ihnen wohl zu gefallen.

Thangobrind war nicht so unvorsichtig, auf dem Weg zurückzukehren, den er genommen hatte. Nein, er entschied sich für eine andere Route, obwohl der Pfad schmal und beschwerlich war und am Haus der Nacht vorbei führte und durch den Spinnenwald.

Die Stadt Moung ragte hinter seinem Rücken empor mit ihren Balkonen und Balustraden und verdeckte den halben Himmel, als er mit seinem Diamanten davonschlich. Und als ihm ein leises Huschen wie von Samtpfoten zu folgen begann, mochte er sich zunächst nicht eingestehen, daß es das sein könnte, was er fürchtete, aber die Instinkte seines Metiers sagten ihm, daß kein Geräusch, das nachts einem Diamanten nachfolgt, etwas Gutes bedeutet, und dies war der größte Edelstein, der ihm in seinem Leben untergekommen war. Als er zu dem schmalen Weg gelangt war, der zum Spinnenwald führt, lastete ihm der  Diamant des Toten schwer und eiskalt auf der Schulter, und das leise Geräusch der Samtpfoten schien erschreckend nahe. Der Goldschmied hielt inne und war fast dabei, zu zögern. Er sah sich um: niemand war dort. Er lauschte gespannt: es war nichts mehr zu hören. Dann gedachte er der Schreie der Tochter des Handelsherrn, deren Seele der Lohn für den Diamanten war und lächelte und  setzte seinen Weg fort. Aus der Höhe, hoch über dem engen Weg, sah ihm gleichmütig die finstere und zweifelhafte Frau zu, deren Haus die Nacht ist. Thangobrind vernahm jetzt nicht mehr das verdächtige Huschen und ihm wurde leichter ums Herz. Er hatte das Ende des engen Weges fast erreicht, als die Frau über ihm ihr leises Räuspern hören ließ.

Das Geräusch war zu unheilvoll, um es zu übergehen. Thangobrind wandte sich um und sah, was er befürchtet hatte. Der Spinnengötze war nicht in seinem Tempel verblieben. Der Goldschmied setzte seinen Diamanten vorsichtig ab und zog sein Schwert mit dem Namen Maus. Und dann begann der Kampf auf dem engen Weg, an dem die finstere alte Frau, deren Haus die Nacht ist, so wenig Interesse zu zeigen schien. Man sah sofort, daß es für den Spinnengötzen nur ein grausiger Spaß war. Für den Goldschmied war es bitterer Ernst. Er focht und atmete schwer und wurde den engen Weg zurückgedrängt, aber er brachte Hlo-hlo mit seiner Klinge schwere Wunden am ganzen weichen Körper bei, bis Maus von schleimigem Blut troff. Doch schließlich wurde das dämonische Gelächter Hlo-hlos zuviel für die Nerven des Goldschmieds, und er brach entkräftet und entsetzt bei der Tür des Hauses, das Nacht heißt, zu den Füßen der alten finsteren Frau zusammen, die sich einmal geräuspert und dann aus dem Geschehen herausgehalten hatte. Und die Männer, denen diese Aufgabe obliegt, schleppten Thangobrind den Goldschmied zu jenem Haus, wo die beiden Männer an den Fleischerhaken hängen; und sie nahmen den zur Linken herunter und hängten den Dieb an seine Stelle, und so widerfuhr ihm jenes Schicksal, das er befürchtet hatte und das jedermann bekannt ist, obwohl seitdem soviel Zeit vergangen ist, und der Zorn der aufgebrachten Götter legte sich ein wenig.

Und die einzige Tochter des Handelsherrn empfand über das Schicksal,, das ihr erspart geblieben war, so wenig Dankbarkeit, daß sie sich entschloß, ein Leben von schrecklicher Ehrwürdigkeit zu führen, und zeichnete sich durch benehmende Einfältigkeit aus, und nannte ihr Heim "die englische Reviera" und ließ Platitüden auf ihre Teewärmer sticken und starb am Ende ihrer Tage nicht, sondern segnete das Zeitliche.

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"The Distressing Tale of Thangobrind the Jeweller" erschien zuerst in der Zeitschrift The Sketch in der Ausgabe vom 11. Januar 1911, und in Buchform ein Jahr darauf in The Book of Wonder beim Londoner Verlag William Heinmann und in Boston bei J. W. Luce. (Beide Ausgaben tragen den identischen Untertiel A Chronicle of Little Adventures at the Edge of the World.) Bei der Serie von zwölf Erzählungen, die zwischen dem 21. Dezember 1910 und dem 8. März 1911 in The Sketch erschienen ("Thangobrind" ist die Nr. 4) war das übliche Arbeitsverhältnis zwischen Autor und Illustrator umgekehrt: Dunsany schrieb seine kurzen Geschichten nach den Vorgaben von Simes Zeichnungen.


U.E.

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