(Sidney H. Sime, "The Secret of the Sea")
In der alten, finsteren Hafenkneipe, die ich gut kenne, erzählt man sich viele Geschichten über die See; aber die Geschichte, auf die ich über ein Jahr lang vergeblich gewartet hatte, erfuhr ich erst durch die kräftige Mithilfe des Weins namens Gorgunder, den ich mit so vieler Mühe den Zwergen abgehandelt hatte.
Ich kannte meinen Pappenheimer und hatte viele seiner Geschichten gehört, während mir die Ohren von seinen wilden Flüchen klingelten. Ich hatte ihm Rum und Whisky und noch so allerhand andere potente Getränke spendiert, aber er hatte nie die Geschichte erzählt, auf die ich wartete, und als ich mir keine anderes Mittel mehr wußte, reist ich in die Huthneth-Berge und verhandelte eine ganze Nacht hindurch mit dem Anführer der Zwerge.
Als ich in den alten Kaschemme eintraf und in den niedrigen Schankraum trat, war mein Mann noch nicht vor Ort. Die Matrosen lachten, als sie die alte eiserne Flasche sahen, die ich dabeihatte, aber ich kümmerte mich nicht um sie und setzte mich; wenn ich die Flasche geöffnet hätte, wären sie in Tränen ausgebrochen und hätten lauthals gesungen. Ich hatte Geduld und konnte warten, denn ich wußte, daß mein Mann die Geschichte kannte, auf die ich hoffte, und die schon oft die Skepsis der Zweifler befeuert hat.
Der Mann trat ein, begrüßte mich, setzte sich zu mir und rief nach Brandy. Ich wußte, daß es schwer war, ihn von seinem Entschlüssen abzubringen und entkorkte meine eiserne Flasche, weil ich befürchtete, daß er nichts anderes mehr trinken würde, wenn er erst den ersten Schluck die Kehle hinuntergespült hatte. Er sah mich böse an und erklärte nachdrücklich, was er von Leuten hielt, die einem den Brandy ausreden wollten.
Ich schwor, daß ich nichts gegen Brandy hätte, aber daß er doch bloß etwas für Kinder sei, während Gorgunder nur von Männern getrunken wurde, die so verdorben waren, daß sie aufgehört hatten, andere Sünden zu begehen, weil ihnen die üblichen Laster harmlos und langweilig schienen. Er wollte wissen, ob Gorgunder wirklich schlimmes Zeug sei, und ich versicherte ihm, es sei ein derartiges Teufelszeug, daß einen schon ein einziger Schluck ins Verderben stürzen würde. Dann fragte er mich, was ich in der Eisenflasche hätte; ich sagte, daß es Gorgunder sei, und er rief nach dem größten Becher, der in der finsteren Kaschemme aufzutreiben war, und als der gebracht wurde, stand er auf und fluchte lästerlich und befahl mir, ihn bis zum Rand mit dem Wein, den ich den Zwergen in ihrer Schatzkammer abgehandelt hatte, zu füllen.
Während er trank, erzählte er mir, daß ihm schon Leute untergekommen waren, die schlecht vom Wein geredet hatten und dafür den Himmel erwähnt hatten; ihm sei schon klar, daß der nicht für ihn bestimmt sei, und einen davon habe er selber zur Hölle geschickt, aber wenn er selbst dorthin müßte, würde er ihn hinauswerfen, weil er Milchbubis nicht ausstehen könne.
Beim zweiten Becher verfiel er ins Grübeln, aber er fing noch nicht mit seiner Geschichte an, und ich begann zu fürchten, daß ich sie nie zu hören bekommen würde. Aber als der dritte Becher davon seine Kehle verätzt hatte und ihm bewiesen hatte, daß ich mit der Verdorbenheit nicht übertrieben hatte, schmolz sein Widerstand wie ein Herbstblatt im Feuer, und er erzählte mir das Geheimnis.
Ich wußte seit langem, daß Schiffe einen eigenen Willen besitzen, und ich hatte sogar vermutet, daß sie sich ihr eigenes Ziel suchen, wenn der letzte Seemann an Bord gestorben ist oder die Mannschaft ein Schiff aufgegeben hat, aber es wäre mir weder bei Tag noch nachts im Traum in den Sinn gekommen, daß Schiffe eigene Götter verehren könnten, oder einem geheimen Tempel im Ozean ansteuern könnten.
(Sidney H. Sime, "The Secret of the Sea")
In der alten, finsteren Hafenkneipe, die ich gut kenne, erzählt man sich viele Geschichten über die See; aber die Geschichte, auf die ich über ein Jahr lang vergeblich gewartet hatte, erfuhr ich erst durch die kräftige Mithilfe des Weins namens Gorgunder, den ich mit so vieler Mühe den Zwergen abgehandelt hatte.
Ich kannte meinen Pappenheimer und hatte viele seiner Geschichten gehört, während mir die Ohren von seinen wilden Flüchen klingelten. Ich hatte ihm Rum und Whisky und noch so allerhand andere potente Getränke spendiert, aber er hatte nie die Geschichte erzählt, auf die ich wartete, und als ich mir keine anderes Mittel mehr wußte, reist ich in die Huthneth-Berge und verhandelte eine ganze Nacht hindurch mit dem Anführer der Zwerge.
Als ich in den alten Kaschemme eintraf und in den niedrigen Schankraum trat, war mein Mann noch nicht vor Ort. Die Matrosen lachten, als sie die alte eiserne Flasche sahen, die ich dabeihatte, aber ich kümmerte mich nicht um sie und setzte mich; wenn ich die Flasche geöffnet hätte, wären sie in Tränen ausgebrochen und hätten lauthals gesungen. Ich hatte Geduld und konnte warten, denn ich wußte, daß mein Mann die Geschichte kannte, auf die ich hoffte, und die schon oft die Skepsis der Zweifler befeuert hat.
Der Mann trat ein, begrüßte mich, setzte sich zu mir und rief nach Brandy. Ich wußte, daß es schwer war, ihn von seinem Entschlüssen abzubringen und entkorkte meine eiserne Flasche, weil ich befürchtete, daß er nichts anderes mehr trinken würde, wenn er erst den ersten Schluck die Kehle hinuntergespült hatte. Er sah mich böse an und erklärte nachdrücklich, was er von Leuten hielt, die einem den Brandy ausreden wollten.
Ich schwor, daß ich nichts gegen Brandy hätte, aber daß er doch bloß etwas für Kinder sei, während Gorgunder nur von Männern getrunken wurde, die so verdorben waren, daß sie aufgehört hatten, andere Sünden zu begehen, weil ihnen die üblichen Laster harmlos und langweilig schienen. Er wollte wissen, ob Gorgunder wirklich schlimmes Zeug sei, und ich versicherte ihm, es sei ein derartiges Teufelszeug, daß einen schon ein einziger Schluck ins Verderben stürzen würde. Dann fragte er mich, was ich in der Eisenflasche hätte; ich sagte, daß es Gorgunder sei, und er rief nach dem größten Becher, der in der finsteren Kaschemme aufzutreiben war, und als der gebracht wurde, stand er auf und fluchte lästerlich und befahl mir, ihn bis zum Rand mit dem Wein, den ich den Zwergen in ihrer Schatzkammer abgehandelt hatte, zu füllen.
Während er trank, erzählte er mir, daß ihm schon Leute untergekommen waren, die schlecht vom Wein geredet hatten und dafür den Himmel erwähnt hatten; ihm sei schon klar, daß der nicht für ihn bestimmt sei, und einen davon habe er selber zur Hölle geschickt, aber wenn er selbst dorthin müßte, würde er ihn hinauswerfen, weil er Milchbubis nicht ausstehen könne.
Beim zweiten Becher verfiel er ins Grübeln, aber er fing noch nicht mit seiner Geschichte an, und ich begann zu fürchten, daß ich sie nie zu hören bekommen würde. Aber als der dritte Becher davon seine Kehle verätzt hatte und ihm bewiesen hatte, daß ich mit der Verdorbenheit nicht übertrieben hatte, schmolz sein Widerstand wie ein Herbstblatt im Feuer, und er erzählte mir das Geheimnis.
Ich wußte seit langem, daß Schiffe einen eigenen Willen besitzen, und ich hatte sogar vermutet, daß sie sich ihr eigenes Ziel suchen, wenn der letzte Seemann an Bord gestorben ist oder die Mannschaft ein Schiff aufgegeben hat, aber es wäre mir weder bei Tag noch nachts im Traum in den Sinn gekommen, daß Schiffe eigene Götter verehren könnten, oder einem geheimen Tempel im Ozean ansteuern könnten.
Beim vierten Becher dieses Weins, den die Zwerge so unheilvoll zubereiten, und den sie in so weiser Voraussicht den Menschen vorenthalten haben, bis zu jener Herbstnacht, als ich meinen Handel mit ihnen abschloß, erzählte mir der Matrose seine Geschichte. Ich gebe sie hier nicht so wieder, wie er sie mir erzählt hat, mit ihren unzähligen Flüchen und Kraftausdrücken. Ich verzichte darauf nicht aus Feingefühl, sondern weil sie mich schaudern lassen, wenn ich sie zu Papier bringe, und mich schaudert so lange, bis ich sie wieder gelöscht habe. Ich erzähle also in meinen eigenen Worten; sie klingt jetzt womöglich anständiger, aber leider fehlt diesen Worten jener Beiklang von Rum, von Blut und nach Meer, den sie in seinem Mund hatten.
Wahrscheinlich halten Sie ein Schiff für etwas Totes, für einen leblosen Gegenstand, wie einen Tisch etwa - aber das liegt daran, daß Sie Ihr ganzes Leben an Land verbracht haben und nie zur See gefahren sind und Milch trinken. Milch ist ein noch übleres Getränk als Wasser.
Mit dem Kapitän, der das Kommando hat, mit dem Steuermann am Ruder und der Mannschaft hat ein Schiff keine Chance, den eigenen Willen ausleben zu können.
Es gibt nur einen Augenblick im Leben eines Schiffes, wenn noch eine Mannschaft an Bord ist, in dem sie nach eigenem Entschluß handeln können.Dieser Moment ist gekommen, wenn alle Mann an Bord betrunken sind. Sobald der letzte betrunken am Boden liegt, hat der Menschenwille keine Gewalt mehr über ein Schiff. Es steuert unverzüglich einen neuen Kurs und läßt sich darin nicht beirren.
So war es auch eines Nachts mit der Sea-Fancy. Bill Smiles war selber dabei; er kann es bezeugen. Bill Smiles hat seine Geschichte nie jemandem zuvor erzählt, damit ihn niemand einen Lügner heißt. Bill Smiles hat eine tiefe Abneigung gegen die Aussicht, gehängt zu werden, aber noch weniger mag er als Lügner bezeichnet werden. Ich erzähle sie hier, wie er sie mir erzählt hat, mit allen unwichtigen Kleinigkeiten, wenn auch in anständigeren Worten. Ich habe sie damals nicht nicht angezweifelt, und mag es deshalb auch jetzt nicht tun; aber das soll jeder für sich halten, wie ihm beliebt.
Es kommt nicht oft vor, daß die gesamte Besatzung eines Schiffes betrunken ist. Die Mannschaft der Sea-Fancy war in dieser Hinsicht nicht schlimmer als andere. Es passierte so:
Der Kapitän war immer betrunken. Eines Tages plagte ihn die Wahnvorstellung, daß die Spinnen sich gegen ihn verschworen hatten; oder ihm lief das Blut aus beiden Ohren; jedenfalls verfiel er auf die Idee, daß der Alkohol seiner Gesundheit nicht zuträglich sein könnte. Am nächsten Tag faßte er einen feierlichen Entschluß. Den ganzen Morgen und den Nachmittag über blieb er nüchtern, aber am Abend sah er, wie ein Matrose einen Krug Bier leerte, und ihn faßte ein unbändiger Zorn, und er sagte Dinge, die Bill Smiles' Mißfallen erregten. Und am nächsten Morgen ließ er die gesamte Mannschaft den heiligen Eid schwören.
Zwei Tage lang gab es für niemanden an Bord einen Tropfen zu trinken - außer Wasser - und am Morgen des dritten Tages war der Kapitän sturzbetrunken. Es schien der übrigen Mannschaft nur natürlich, das Versäumte nachzuholen, außer dem Steuermann, und als es Abend wurde, hielt auch er es nicht mehr aus und scheint sich ein paar Glas genehmigt zu haben, denn der Kurs des Schiffes wurde unsicher und es fuhr ein paar Mal im Kreis. Dann hielt es mit einem Mal Kurs Südost und fuhr unter vollen Segeln bis Mitternacht, ohne davon einen Grad davon abzuweichen. Und um Mitternacht erreichte es die weiten, offenen Gefilde des Tempels des Meeres.
Leute, die glauben, daß Bill Smiles oft betrunken ist, irren sich gewaltig. Und Menschen sind nicht die einzigen, die zu diesem Irrtum neigen. Es gab einmal ein Schiff, und nicht nur eines, das auch diesen Irrtum beging. Nur weil sich Bill Smiles nicht mehr rühren kann, ist er noch nicht betrunken.
An die Mitternacht und das Mondlicht und den Tempel im Meer kann sich Bill Smiles deutlich erinnern, und alle aufgegebenen, verlassenen Geisterschiffe der Weltmeere waren dort versammelt. Die Gallionsfiguren nickten vor sich hin und sahen mit ihren starren hölzernen Augen das Bild der Meergöttin an. Es war eine Statue aus weißem Marmor, die sich auf einem Podest im Außenbereich des Tempels des Meeres erhob; sie war eindeutig die große Liebe der verlassenen Schiffe, und die Göttin, die sie anbeteten. Und während Bill Smiles ihnen zusah, begannen sich die Lippen der Gallionsfiguren zu bewegen; sie begannen mit ihrem Gebet. Aber ihre Lippen verschlossen sich knarrend, als sie bemerkten, daß sich Menschen an Bord der Sea-Fancy befanden. Sie drängten sich um das Schiff und gierten und krängten, weil sie sehen wollten, ob auch alle an Bord betrunken waren. Und da täuschten sie sich in Bill Smiles, obwohl er sich nicht rühren konnte. Sie hätten lieber all die Schätze preisgegeben, die die See in ihren Tiefen birgt, als die Menschen ihre Gebete hören zu lassen oder ihnen ihre Liebe zur Göttin des Meeres zu verraten. Das ist das große Geheimnis der See.
Der Seemann schwieg. Ich wollte unbedingt hören, welches ergebene oder lästerliche Gebet diese Schiffe im Mondschein um Mitternacht an diese Frau aus Marmor richteten, die sie als ihre Göttin verehrten, und drängte ihm einen weiteren Becher von meinem Gorgunder auf, den die Zwerge auf so teuflische Weise zubereiten.
Ich hätte das nicht tun sollen. Aber er saß da und schwieg, und ich war so kurz davor, das Geheimnis zu erfahren. Er hob den Becher langsam und trank ihn aus, und damit und mit all den anderen Bechern, die er herabgestürzt hatte, wurde er ein Opfer der Niedertracht der Zwerge, die ihren höllischen Wein nicht mit edlen Absichten keltern. Er kippte nach vorn, dann schlug er auf die Tischplatte, den Kopf zur Seite geneigt und mit einem himmlischen Lächeln auf den Lippen, und sprach klar und deutlich nur zwei Worte: "Zur Hölle!" und schwieg auf ewig vom Geheimnis der See.
* * *
"The Secret of the Sea" erschien zuerst in the Zeitschrift The Sketch vom 10. Juni 1914 und in Buchform 1916 in Tales of Wonder (bzw. The Last Book of Wonder).
U.E.
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