6. Juni 2020

Und sie ändern sich nicht. Anmerkungen zum R-Faktor.

Man fühlt sich derzeit an Vorwahlzeiten erinnert: Täglich grüßt das Murmeltier. Wo kurz vor Wahlen im Tagestakt Wasserstandsmeldungen der angeblichen politischen Stimmung veröffentlicht werden, so werden dieser Tage jeden Tag neue Wasserstandsmeldungen zum magischen R-Faktor, der so genannten Reproduktionszahl, veröffentlicht.


Prinzipiell ein eher statistisch interessanter Wert, hat nicht zuletzt unsere Frau Bundeskanzler dazu beigetragen ihn zum zentralen Element der derzeitigen Politik zu erheben, alles soll von ihm abhängig sein, der Versuch ein ziemlich aus dem Ruder gelaufenes Problem auf eine Zahl zu versachlichen (das das inzwischen die dritte Größe ist, "auf die es ankommt", sei an der Stelle einfach mal überlesen). Also lohnT es sich vielleicht sich tatsächlich einmal mit dieser Zahl zu beschäftigen.

Wie realistisch die Zahl selber ist, in Anbetracht dessen, dass man es als inzwischen recht gut fundiert ansehen kann, dass kaum 20 Prozent der tatsächlichen Corona-Infektionen wirklich erkannt und getestet werden (und damit in die Größe eingehen), sei mal dahingestellt. Entscheidend ist eher wie zentral diese Zahl inzwischen politisch aufgewertet worden ist, und so muss man zumindest auf der Basis argumentieren, dass sie etwas reales abschätzt, wenn auch nur mit schlechter Qualität.

Wenn man also die methodischen Probleme seiner Erfassung mal vernachlässigt, so kann man doch einige Überlegungen anstellen:
- Der R-Faktor ist, so lange die Durchseuchung der Bervölkerung niedrig ist, von der Durchseuchung kaum beeinflusst. Wichtiger noch: Selbst bei einer hohen Durchseuchung ist die Entwicklung des R-Faktors kaum von dieser abhängig. 
- Die wesentlichen Einflußfaktoren auf R ist das menschliche Verhalten, die Virulenz des Virus selber und oftmals die klimatischen Bedingungen. 
- Die Virulenz des Virus ändert sich in aller Regel nicht innerhalb von wenigen Wochen oder Monaten und die klimatischen Bedingungen können keinen großen Einfluß haben, sonst wären Ausbrüche wie in Brasilien kaum denkbar. 

Jetzt kann man in Deutschland (genauso wie in den meisten Ländern) drei Zeitabschnitte unterscheiden, seit Corona virulent im Land wurde. In der ersten Phase haben sich die Menschen selber geschützt (Verzicht auf Reisen, auf Kontakt, Selbstisiolation). Nahezu nahtlos kam dann der Lockdown. Und nach diesem eine Phase der Lockerung. Die R-Faktoren werden ungefähr seit Mitte der ersten Phase permanent ermittelt.

Jetzt kann man sich mit verschiedenen Punkten beschäftigen, aber hier soll die dritte Phase diskutiert werden. Seit einigen Wochen lockern sich immer mehr "Maßnahmen". Und wer dieser Tage mal in die Innenstädte geht, der sieht auch wie ernst Corona dort noch genommen wird. Simpel gesagt: Das menschliche Verhalten ändert sich. Jetzt sollte man meinen, dass der R-Faktor nach oben gehen muss, das wäre eigentlich statistisch zwingend. Das passiert aber (erstaunlicherweise?) nicht. Statt der noch vor wenigen Wochen verbreiteten Horrorzahlen (virulenter als Masern, schlimmer als jede Grippe der Geschichte) sehen wir ein einmütiges Schippern um die 1. Wichtiger noch: Es ändert sich nichts. Die Zahlen ignorieren die Lockerungen total. Und daraus ergibt sich eine ganz simple Erkenntnis: Sie waren völlig sinnlos.  

Das zentrale politische Mantra diesen Jahres "die Maßnahmen wirken" ist daraus folgend totaler Quatsch. Nicht nur in dem Sinne übertrieben (wie inzwischen wohl die letzten gemerkt haben dürften, die sich überhaupt noch mit Sachargumenten aufhalten) sondern schlicht und einfach nutzlos. Ein guter Teil der Maßnahmen, namentlich die, die wir in den letzten Wochen weggelassen haben, haben nahezu keinen Einfluß auf die Reproduktion. Denn wenn sie es hätten, dann müsste(!), und das ist zwangsnotwendig, der R-Faktor jetzt wieder ansteigen. Und genau das passiert nicht.


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Llarian

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