17. Mai 2017

Geoffrey Bayldon, 1924 - 2017



Es gibt Schauspieler, die, obwohl sie auf eine lange Karriere, oft Jahrzehnte überspannend, zurückblicken können, es dennoch nie in die Reihe der markanten, großen Stars geschafft haben - und die trotzdem in manchen Fällen so sehr mit einer bestimmten Rolle identifiziert worden sind, daß man von einem Verschmelzen der schauspielerischen persona sprechen kann. Ihre übrige Karriere als sidekicks, als bit players, supporting actors - also als die markanten Charaktere, die den Hauptakteuren Rahmen und Kontrast verleihen, wirkt daneben nicht nur blaß, sie verschwindet auch auf dem Gedächtnis des zusehenden Publikums. Geoffrey Bayldon, der am vorigen Mittwoch im Alter von 93 Jahren gestorben ist, war so ein Fall. Für jetzt drei oder vier heranwachsende Generationen - für das hier intendierte Publikum kann eine Generation wohl mit höchstens fünf Jahren angesetzt werden - war er, nicht nur in deutschen Sprachraum, sondern auch in seiner englischen Heimat, eins mit Catweazle, dem exzentrischen, grimassierenden und so absolut starrköpfig wie inkompetenten Zauberer, der sich - 1066 and all that - durch einen wie üblich mißratenen Zauberspruch vor der Verfolgung durch normannische Soldaten nicht an einen anderen Ort, sondern eine andere Zeit hext und hinfort, das heißt 13 Folgen lang, als fish out of temporal water seinen vergeblichen Kampf gegen die Unbillen der modernen Technik ausficht.





Die Serie, deren erste 13 Folgen 1970 über die britischen Bildschirme lief, blieb im Gedächtnis der Zuschauer auf die erste Staffel beschränkt. Zu sehr glich die zweite Staffel ein Jahr später einem bloßen, variationsfreien Neuaufguß, in dem lediglich der Sohn Cedric aus dem kleinen Landadel den markanten Part von Carrot, in der deutschen Synchronisation Karrotte, übernommen hatte. Die Herausforderung, Catweazles Existenz geheimhalten zu müssen und das Unheil, das seine Hexerei anrichtete, zu neutralisieren, bildete den durchgehenden komödiantischen Plot. Darin lag (so sagt der heutige Betrachter, der auch nichts dafür kann, daß die gewandelten Konventionen seriellen visuellen Erzählens doch nicht spurlos an ihm vorübergegangen sind) auch die Schwäche der Serie: die Variationsbreite der Handlung war zu gering, und ein übergreifender Spannungsbogen konnte sich nicht entwickeln. Catweazles Rückkehr in seine unbeleuchtete Waldhöhle, ohne "kleine Sonne" hätte zu jedem Zeitpunkt stattfinden können. (Genau dies dürfte der Ansatz der Drehbuchautoren gewesen sein, um bei Nichtgefallen jederzeit aussteigen zu können). Neu war die Situation, was die englische Literatur für just diese Zielgruppe angeht, nun keineswegs: der Fall durch die Zeit bildet seit F. Anstey, bis hin zu Henry Treece ein immer wiederkehrendes Motiv, und als Komödie der Irrungen und Wirrungen - ein magisches Wesen mischt die Moderne auf und/oder muß geheimgehalten werden - ist die Konstellation seit E. Nesbits Psammead, dem Sandelf aus Five Children and It (1902), dem auch schon die catweazeleske Knorrigkeit in Physiognomie wie Charakter eignet, oder der Königin von Babylon aus The Story of the Amulet (1906) geläufig. Neuere Beispiele finden sich in den ersten Romanen von Tom Holt, Expecting Someone Taller (1987), in dem ein hilfloser Everyman zum unglücklichen Erben des Rings der Nibelungen und des Siegfriedschen Tarnhelms wird und Who's Afraid of Beowulf? (1988).



Bayldons andere Paraderolle, die des Crowman in Worzel Gummidge exakt zehn Jahre später (deren 32 Folgen erstaunlich ähnlich angelegt sind), hat es bei uns nie zu diesem ikonischen Status gebracht - und eben auch nicht die gut 180 anderen Rollen, in denen er zwischen Trent's Last Case (1952) und der Folge My Son'll Come Out der Sitcom My Family, seiem letzten Fernsehauftritt von 2010 reüssierte - nicht einmal als Q in Casino Royale, der ersten, und man muß zugeben, reichlich mißratenen, James-Bond-Parodie von 1967.  Aber welche Bond-Parodie wäre nicht ein guter Grund, die deutsche Vokabel "fremdschämen" endlich als Lehnwort ins Englische zu importieren? (Doch nur die Verlagerung ins Aktivistische bei "Fremdshaming as a national pastime".) Bleibt nachzutragen, daß ihm, relata refero, in Sachen "Doctor Who" sowohl die Rolle des Ersten wie des Zweiten Doktors angetragen wurden - alle zwölf Inkarnationen bis zum gegenwärtigen Stammhalter Peter Capaldi haben sich ja durch gepflegte bis überbordende Skurrilität der kulturellen, nein: kulturalistischen, wenn nicht Kultstatusbeanspruchenden DNA der britischen Leitkultur eingeschrieben. Bayldon hat in einem Interview von 2002 mit einem deutschen Magazin erzählt, daß die deutschen Fans zwar seine treuesten seien, die seine eine Rolle über die Jahrzehnte nicht aus dem Gedächtnis verloren hätten, aber auch die enervierendsten, da sie - und das ausnahmslos - wie selbstredend davon ausgingen, bei ihren Bitten um signierte Photos sogar auf das Rückporto verzichten zu können, während ihm, nach all diesen Jahren, natürlich niemand die Kosten für beides ersetze.

Dem Protokollanten bleibt nur nachzutragen, daß ihn die Remineszenz an den fluchenden und zischenden Waldschrat aus der Phantasie von Richard Carpenter (1929-2012) nur zu 99,67 Prozent mit ungetrübtem Plaisier erfüllt. Eine nicht zu leugnende weitgehende physiologische Ähnlichkeit hat ihm, trotz prinzipieller TV-Abstinenz seit Jahrzehnten, stets klargemacht, wann das Zweite Deutsche Fernsehen eine weitere Wiederholung ins Programm gehoben hatte. Die Frage, warum sich die Faszination der Dorfjugend, die in der ewiggleichen Frage "Catweazle, wo ist deine Kröte?" ihren Ausdruck fand, gleichbleibend auf sein Familiar, (in der Synchronisation "Vertraute", im Original Touchwood - eine Dämonenfunktion, die in der Folkore des historischen Hexenglaubens übrigens nicht vor der Kodifizierung durch den Malleus Maleficarum, den "Hexenhammer" von Heinrich Institorus und Jakob Sprenger von 1486 auftaucht) kaprizierte, deren Repertoire auf monotones Krächzen und Forthüpfen reduzierte, wird ein ewiges Menschheitsrätsel bleiben.

Darüber hinaus wäre ihm niemals jener Lapsus unterlaufen, der sich in der zweiten seiner oft und gern gebrauchten Invektiven zeigte: "Salmai! - dalmai! - adonai!" hat sich bislang jeder Dechiffrierung widersetzt (daß "adonai"  - אֲדֹנָי - im Tanach eine der zulässigen Umschreibungen des Tetragrammaton, des unnennbaren Namens JHVH ist, setze ich als bekannt voraus). Aber bei "Schampamporas!" ist der Fall eindeutig: hier handelt es sich um um eine überaus unzulässige - und damit magisch komplett wirkungslose - Verballhornung des Ha-shem ha-meforasch (השם המפורש), einer in der Kabbala gebräuchlichen Methode, durch die Auslegung und Rekombination der 72 Lettern im Kapitel 14 des Buchs Exodus, Vers 19 bis 21, nicht nur 72 Permutationen des Geheimen Namens zu ermitteln, sondern auch die diesen Variationen zugeordneten Engeln, um über die Macht ihrer Namen außerhalb der Naturordnung gelegene Wirkungen (vulgo: Magie) zu erzielen.

Das Problem der unwissenden Jugend bis ins gesetzte Alter hinein scheint kein Prärogativ der finsteren Moderne zu sein.

(Ill. zu Kapitel 8 der Buchfassung von Richard Carpenter, Catweazle, Methuen 1970.)


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Ulrich Elkmann

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