20. Juli 2011

Zettels Meckerecke: "Die Reaktionen ließen nicht auf sich warten". Sarrazin in Kreuzberg und die Selbstdemontage des Deutschen Kulturrats

Als ich am Sonntag darüber schrieb, wie Thilo Sarrazin in Kreuzberg Opfer eines Mobs geworden war, hatte ich keine Illusionen darüber, welches die Reaktion von Politikern sein würde: Überwiegend Schweigen und Schulterzucken.

So kam es auch. Kein prominenter Politiker hat sich besorgt darüber gezeigt, daß jemand nicht unbehelligt durch einen Stadtteil der deutschen Hauptstadt gehen konnte, nur weil er ein Buch geschrieben hatte, das kontrovers diskutiert worden war. Niemand aus der politischen Prominenz schien es kritikwürdig zu finden, daß ein Wirt vor dem Pöbel kuschte und dem Autor Sarrazin in seinem Lokal die Bedienung verweigerte.

Die Parallele zu der Art, wie "unerwünschte" Personen in "national befreiten Zonen" behandelt werden, schien niemandem aufgefallen zu sein. Kein bekannter Politiker aus der SPD zeigte sich solidarisch mit dem SPD-Mitglied Thilo Sarrazin. Lediglich vom politischen Gegner kam verhaltene Kritik an dem Vorfall ("... einer offenen und toleranten Großstadt nicht angemessen"; so der Berliner CDU-Vorsitzende Frank Henkel).

So weit verlief alles, wie man es erwarten konnte. Was sich aber dann zutrug, das hatte ich nicht erwartet: Es gab durchaus kritische Stimmen - aber kritisiert wurde das Opfer; kritisiert wurde das ZDF, dessen Autorin Güner Balci es gewagt hatte, mit Sarrazin in Kreuzberg drehen zu wollen. Die "Berliner Morgenpost":
"Ich habe Verständnis dafür, dass die Zivilgesellschaft in Kreuzberg Herrn Sarrazin zeigt, dass er dort eine unerwünschte Person ist", sagte der SPD-Kreisvorsitzende Jan Stöss. Der Kreuzberger Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu sagte, die lautstarke Kritik sei kein Zeichen von Intoleranz, sondern ein Zeichen von politischer Reife.
Keine Satire. Mobbing als Ausdruck der Zivilgesellschaft, Pöbelei als Zeichen politischer Reife - das ist das Weltbild von Leuten, für die Freiheit immer die Freiheit ist, Andersdenkende fertigmachen zu dürfen.



Nun gut, Stöss und Mutlu sind Lokalpolitiker. Ihre unsäglichen Äußerungen hätten mich nicht zu dieser Meckerecke veranlaßt. Aber es gibt da noch jemanden, auf dessen Stellungnahme ich erst durch einen Artikel in der heutigen FAZ aufmerksam geworden bin: Olaf Zimmermann.

Und das ist nun nicht ein kleiner Lokalpolitiker, sondern ein wichtiger Mann im deutschen Kulturbetrieb, nämlich der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, über den man in der Wikipedia lesen kann:
Der Deutsche Kulturrat wurde 1981 als politisch unabhängige Arbeitsgemeinschaft kultur- und medienpolitischer Organisationen und Institutionen von bundesweiter Bedeutung gegründet. 1995 wurde die Arbeitsgemeinschaft in die feste und handlungsfähigere Struktur eines gemeinnützigen Vereins überführt.

Im Jahr 1981 wurde formuliert, der Kulturrat solle ein "Dachverband der Dachverbände" werden. Jetzt zwei Jahrzehnte später ist er der anerkannte Spitzenverband der Bundeskulturverbände. (...) Der Deutsche Kulturrat e.V. wird getragen durch seine acht nach fachlichen Gesichtspunkten gegliederten Sektionen. 210 Bundesverbänden haben sich diesen acht Sektionen des Deutschen Kulturrat e.V. angeschlossen. (...) Die Expertinnen und Experten in den Fachausschüssen des Deutschen Kulturrates erarbeiten Empfehlungen und Stellungnahmen, die kultur- und medienpolitische Problemfelder benennen und Handlungsperspektiven aufzeigen.
Eine mächtige Organisation also, mit einem Geschäftsführer Olaf Zimmermann, der in Personalunion auch Mitherausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift "politik und kultur" ist; und übrigens auch im Vorstand des "Kulturforums der Sozialdemokratie" sitzt. Den Lebenslauf von Olaf Zimmermann können Sie sich hier ansehen.

Dieser Mann, einer der Spitzenleute des deutschen Kulturbetriebs also, hat sich - ausdrücklich im Namen des Deutschen Kulturrats - zu dem Vorfall in Kreuzberg geäußert, und zwar unter der Überschrift "Peinlich: Aspekte (ZDF) inszeniert Sarrazin". Unterzeile: "Deutscher Kulturrat kritisiert Kulturmagazin Aspekte". Hier ist die Pressemitteilung ungekürzt:
Berlin, den 18.07.2011. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, kritisiert das Vorgehen des renommierten Kulturmagazins Aspekte (ZDF) bei der Erstellung des Beitrags anlässlich des "einjährigen Jubiläums" der Buchveröffentlichung "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin.

Für die am Freitag auszustrahlende Aspekte-Sendung (23.15 Uhr) hat ein Kamerateam Thilo Sarrazin, Autor des Buches "Deutschland schafft sich ab" und Ex-Bundesbankvorstand, in die Berliner Bezirke Kreuzberg und Neukölln begleitet. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Sarrazin wurde auf offener Straße beschimpft und in einem türkischen Lokal nicht bedient.

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, sagte: "Es ist wirklich mehr als peinlich, wenn Aspekte, ein renommiertes Kulturmagazin, es offensichtlich nötig hat, einen solch vorhersehbaren Eklat zu inszenieren. Wer Thilo Sarrazin unter sichtbarer filmischer Beobachtung durch Berlin-Kreuzberg und Neukölln schickt, kalkuliert mit wütenden Reaktionen. Die Bild Zeitung titelt heute "Sarrazin von Türken aus Lokal verjagt!", in der Tageszeitung Die Welt kann sich Thilo Sarrazin als Opfer von türkischen Migranten darstellen. Da nun auch die Bild Zeitung ihren Lesern das Schauen des Aspekte-Berichts am Freitag empfiehlt, können die Verantwortlichen im ZDF mit höheren Einschaltquoten rechnen. Die Seriosität des Kulturmagazins Aspekte hat Schaden genommen und den Integrationsbemühungen wurde ein Bärendienst erwiesen."
"Mehr als peinlich" ist aus der Sicht Zimmermanns nicht etwa die Pöbelei eines wütenden Mobs. Sondern mehr als peinlich ist es für ihn, daß ein Fernsehteam es gewagt hat, mit Sarrazin nach Kreuzberg zu gehen. Ohne den geringsten Beleg wird dem "Aspekte"-Team unterstellt, es hätte diese Pöbelei inszeniert und mit dem Mobbing kalkuliert.

Wie es tatsächlich war, das hat Regina Mönch für den erwähnten Artikel in der heutigen FAZ recherchiert:
In der vergangenen Woche ... hatte sie [die Autorin Güner Balci; Zettel] Gespräche in Berlin-Kreuzberg vereinbart; das Drehteam und der Protagonist hatten sich unter anderem auf einem Markt angemeldet, in einem Restaurant und bei den Aleviten. Es sollte ein Spaziergang werden, schrieb Güner Balci Tage später in der "Welt" über den unglaublichen Verlauf ihrer Kreuzberg-Recherche. Der Besuch sollte ohne selbstgefällige Migranten-Verbandsvertreter, ohne Gesinnungswächter stattfinden, sondern ein Ausflug ins wirkliche Leben werden. Balci wollte Sarrazin und die Leute endlich einmal zusammenbringen, über die seit Erscheinen des Buches so viel geredet wird.
Daraus macht Zimmermann, der Geschäftsführer der Dachorganisation aller kulturellen Dachorganisationen in Deutschland, einen "inszenierten Eklat". Was soll man zu dieser Selbstdemontage des Kulturrats sagen? Was soll man zu der entlarvenden Formulierung "Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten" sagen, die Kumpanei mit dem Mob signalisiert?

Regina Mönch hat dazu etwas gesagt; besser, als ich es könnte:
Am Montag nun setzte der Deutsche Kulturrat dieser denunziatorischen Unkultur die Krone auf. Sein Geschäftsführer Olaf Zimmermann, dessen Pressemitteilungen Redaktionen jeden Tag nerven, unterstellte dem ZDF, es habe den Eklat, der Einschaltquoten wegen, inszeniert. Er faselt von Seriosität, die Schaden genommen habe, hält es aber nicht für nötig, mit den Autoren des Films zu reden, geschweige denn Balcis Bericht über die Säuberung des Diskurswesens zu lesen. Dass er die Presse- und Meinungsfreiheit mit Füßen tritt, ficht den Eiferer Zimmermann nicht an. Was kommt als Nächstes – Schwarze Listen und Zensur?
Warten wir es ab. Vorerst bin ich gespannt, ob der Bericht von Güner Balci tatsächlich wie geplant ausgestrahlt wird. Noch einmal der Sendetermin: Freitag, 22. Juli, 23.15 Uhr, ZDF.
Zettel



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