Was Moritz Rinke da auflistet - in einem Artikel in der "Zeit" vom 14. Juli, seit gestern von "Zeit-Online" übernommen -, das liest sich fast wie ein Themenverzeichnis von ZR; Zeitraum ungefähr das letzte Jahr. Ein Themenverzeichnis freilich, das jemand genommen hat, es in viele Streifen geschnitten und dann die Schnipsel nach Zufall zusammengefügt; dazwischen Fragezeichen:
Verständlich. Denn ihm wird, man merkt es, von alledem so dumm, als ging ihm ein Mühlrad im Kopf herum, dem Moritz Rinke. Diesen Eindruck vermittelt er nicht nur in dem zitierten Absatz - mit dem der Artikel anhebt -, sondern er kommt darauf zurück:
Was tun? Was kann man ihm raten, dem armen Autor? Ein wenig zur Ruhe kommen, eine Auszeit nehmen? Sich sammeln, vielleicht in einem Trappistenkloster oder im Wellness-Hotel; bis die Welt sich für ihn wieder geordnet hat?
Ich fürchte, diesen Rat würde der Autor gar nicht gern lesen. Denn Moritz Rinke will uns nicht etwa das Leid einer von ungeordneten Erinnerungen überfluteten Seele klagen. Sondern klagen will er über diese unsere Welt. Mit anderen Worten, er ist ein Kulturkritiker. Oder genauer: Der Schriftsteller und Dramatiker Moritz Rinke hüllt sich hier ins Gewand des Kulturkritikers.
Ganz wohl scheint ihm dabei nicht zu sein. "Oh je, ich bekomme ja hier so einen richtig moralischen Unterton, wie früher die altgedienten ZEIT-Kommentatoren!" bemerkt er selbstkritisch. Ja, wenn es nur das wäre, der Unterton. Es ist aber viel schlimmer. Rinke veranstaltet ein Lamento, das seit ungefähr einem Jahrhundert die Kulturkritik durchzieht; vorbereitet hatte es sich schon im Biedermeier: Die Wehklage darüber, daß immer mehr an Nachrichten auf uns einstürzt, Banales zumeist, in immer schnellerer Folge. Und daß dadurch unser Leben immer hektischer wird, immer mehr dem Augenblick verhaftet.
Als diese Klage laut und lauter wurde, in der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts, da machte man vor allem die Großstadt als die Ursache des Übels aus. Diesen "Moloch Großstadt", dieses "Dickicht der Städte". All diese Technik, diese Oberflächlichkeit, diese Hetze. Darin der überforderte Mensch; Fritz Lang hat das in "Metropolis" thematisiert, Charlie Chaplin in "Moderne Zeiten".
Später wurden Begriffe wie "Reizüberflutung" und "Schnellebigkeit unserer Zeit" Mode. Das war Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts, als die Reizüberflutung noch darin bestand, daß von den Häusern der Innenstädte Leuchtreklamen flimmerten und man im Fernsehen ein einziges Programm sehen durfte; im Radio konnte man meist zwischen zwei oder drei Programmen wählen.
In verschärfter Form tritt diese Kritik wieder auf, seit sich dank der Vervielfachung der TV-Programme und dank des Internet das Angebot an Information und Unterhaltung in der Tat sehr vermehrt hat. Hinzu sind erweiterte Möglichkeiten der sozialen Kommunikation gekommen; über das Handy, über die sozialen Medien im Web.
Und mittendrin der arme Mensch, der sich 1920 im Dickicht der Städte verirrt und der sich 1960 von Reizen überflutet gesehen hatte; diesmal nun also der Kommunikations-Technologie ausgeliefert. Frank Schirrmacher hat diese Variante des Lamentos gesungen; siehe sein Buch "Payback" und Der vergeßliche Frank Schirrmacher. Ein Autor entdeckt die Schrecken der Technik; ZR vom 19. 11. 2009. Bei Rinke liest sich das so:
Ja, aber stimmt sie denn nicht, diese Kulturkritik? Wird unser Leben nicht immer schneller? Ist es denn nicht wirklich so, daß ständig eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird? Daß die Politiker nur noch für den Tag entscheiden, daß wir - so Rinke - einen "über uns hereinbrechender Opportunismus als Folge der Augenblickstyrannei" erleben? Man sollte das ein wenig ordnen:
Wie kommt es, daß sich diese Art von Kulturkritik so hartnäckig hält, obwohl sie doch so wenig begründet ist? Ich habe einen Verdacht. Aber ich möchte Sie gleich warnen: Er besteht in einem argumentum ad hominem. Ich kann keine rationale Begründung für diese Haltung finden, wohl aber ein psychologisches Motiv.
Mir scheint, daß diese Kritik der Versuch ist, eine erlebte Hilflosigkeit zu bewältigen; sie zu rationalisieren und dadurch ein Gefühl der Überlegenheit zu gewinnen.
Wenn Rinke seine Verwirrtheit ob der Fülle an schnell wechselnden Informationen beschreibt, dann ist das natürlich in seinem Artikel Koketterie und ein Stilmittel. Aber ich vermute, daß man es ihm auch ruhig wörtlich abnehmen kann. Wer diese und jene Information aufschnappt, wie sie gerade kommt, der kann in der Tat in den Zustand der Verwirrtheit geraten, den Rinke beschreibt.
Aber das liegt an ihm, nicht an den Informationen. Auch der bronzezeitliche Jäger, der durch den Urwald streifte, war von einer unendlichen Vielfalt von Informationen umgeben. Er mußte, wenn er überleben wollte, selegieren und strukturieren. Das kann auch der heutige Konsument von Informationen, die von den Medien angeboten werden. Die Aufgabe ist im Kern dieselbe. Nur erfordert das eine gewisse Anstrengung.
Weniger anstrengend ist es, ein Lamento anzustimmen. Statt sich selbst darum zu bemühen, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, wirft man den Medien vor, Unwichtiges ebenso wie Wichtiges zu berichten. Ja, in der Tat. Das ist ihre Aufgabe. All the news that's fit to print. Statt daß man versucht, die langfristigen Strategien hinter den Handlungen und Entscheidungen von Politikern zu erkennen, wirft man ihnen vor, sie hätten keine. Der Kulturkritiker bleibt an der Oberfläche und beklagt dann die Oberflächlichkeit dessen, was er wahrnimmt.
Wer Schwierigkeiten im Umgang mit der Technik hat - wie augenscheinlich Frank Schirrmacher, der einfachste technische Begriffe nicht versteht; siehe den oben verlinkten Artikel -, der kann sich eingestehen, daß der Schwerpunkt seiner Intelligenz vielleicht eher im Verbalen liegt als im technischen Verständnis; oder aber er kann ein Buch schreiben, in dem er kritisiert, was die heutige Technik den Menschen zumutet.
Im Grunde ist es - so scheint es mir - die alte Konfrontation zwischen den Machern und den Rednern; zwischen König und Priester, zwischen dem Literaten und dem Wissenschaftler und Techniker.
Rinke schreibt über das Ozonloch. Er schreibt darüber so:
Kann sich noch jemand an Adolf Sauerland aus Duisburg erinnern? Regiert er weiter? Ist er zurückgetreten, lebt er eigentlich noch? Und Georg Funke? Wer ist Funke?? Und wo sind die Milliarden Steuergelder hin für die Pleitebank Hypo Real Estate? Hat sie jetzt etwa die Fifa? Und wohin ist das Dioxin in den Eiern? Ist es weg? Ist es durch Ehec weg? Und der Missbrauch in der katholischen Kirche? Auch weg – durch Kachelmann?? Mubarak?! Mubarak weg, Demokratie da? Hat Ägypten also in zehn Tagen die Demokratie bekommen, damals auf dem Tahrir-Platz? Und die neue Verfassung regeln jetzt locker die Armeegeneräle? Und Libyen? Syrien? Griechenland, Irland, Portugal, Italien? Europa? Und die Lage in Japan? Haiti??Da versucht sich einer zu erinnern, kriegt offenkundig wenig auf die Reihe und schließt dieses Assoziationsgewirr folglich mit einem jener Sätze, die bedeutungsschwanger mit drei Pünktchen enden: "Ich glaube, wir haben keine Ahnung ...".
Verständlich. Denn ihm wird, man merkt es, von alledem so dumm, als ging ihm ein Mühlrad im Kopf herum, dem Moritz Rinke. Diesen Eindruck vermittelt er nicht nur in dem zitierten Absatz - mit dem der Artikel anhebt -, sondern er kommt darauf zurück:
Es ist immer der nächste Skandal, der den vorherigen aus dem Bewusstsein schiebt: Dioxin? Nitrofen? Acrylamid, Glykol, Pestizide? BSE, H1N1, Vogelgrippe? Gammelfleisch, Fischwürmer, Mäusekot? Alles verschwunden und vorbei, und wahrscheinlich könnte man bald auch schon wieder getrost Gemüse aus Fukushima vertilgen, wenn aus unserem Bewusstsein die japanische Strahlung verschwunden ist. Dafür sorgen jetzt die BIOSPROSSEN. Davor war Bioethanol, Autokillerbenzin E10!Und nochmals:
Adolf Sauerland und dieser Funke. Und Guttenberg mit dem Gorch Fock-Kapitän. Helene Hegemann mit Sarrazin. Köhler und der Kachelmann. Koch und Ypsilanti mit Walter Mixa und Ben Ali. Bin Laden und Westerwelle mit einer verwelkten Jasminblüte. Strauss-Kahn mit Berlusconis Musen. Mubarak und die Biosprossen. Und Christoph Schlingensief performt. Mark Zuckerberg befreundet sich bei Facebook mit Gott. Angela Merkel schickt eine SMS. Lena singt. Und der 18 Monate alte Profi Baerke van der Meij schießt mit rechts in das Ozonloch.Oh Gott. Da wirbeln die Erinnerungen herum im Gehirn des armen M. R., da tanzen sie umeinander; da ist ein Assoziieren und Dissoziieren, daß einem um diesen Autor angst und bange wird.
Was tun? Was kann man ihm raten, dem armen Autor? Ein wenig zur Ruhe kommen, eine Auszeit nehmen? Sich sammeln, vielleicht in einem Trappistenkloster oder im Wellness-Hotel; bis die Welt sich für ihn wieder geordnet hat?
Ich fürchte, diesen Rat würde der Autor gar nicht gern lesen. Denn Moritz Rinke will uns nicht etwa das Leid einer von ungeordneten Erinnerungen überfluteten Seele klagen. Sondern klagen will er über diese unsere Welt. Mit anderen Worten, er ist ein Kulturkritiker. Oder genauer: Der Schriftsteller und Dramatiker Moritz Rinke hüllt sich hier ins Gewand des Kulturkritikers.
Ganz wohl scheint ihm dabei nicht zu sein. "Oh je, ich bekomme ja hier so einen richtig moralischen Unterton, wie früher die altgedienten ZEIT-Kommentatoren!" bemerkt er selbstkritisch. Ja, wenn es nur das wäre, der Unterton. Es ist aber viel schlimmer. Rinke veranstaltet ein Lamento, das seit ungefähr einem Jahrhundert die Kulturkritik durchzieht; vorbereitet hatte es sich schon im Biedermeier: Die Wehklage darüber, daß immer mehr an Nachrichten auf uns einstürzt, Banales zumeist, in immer schnellerer Folge. Und daß dadurch unser Leben immer hektischer wird, immer mehr dem Augenblick verhaftet.
Als diese Klage laut und lauter wurde, in der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts, da machte man vor allem die Großstadt als die Ursache des Übels aus. Diesen "Moloch Großstadt", dieses "Dickicht der Städte". All diese Technik, diese Oberflächlichkeit, diese Hetze. Darin der überforderte Mensch; Fritz Lang hat das in "Metropolis" thematisiert, Charlie Chaplin in "Moderne Zeiten".
Später wurden Begriffe wie "Reizüberflutung" und "Schnellebigkeit unserer Zeit" Mode. Das war Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts, als die Reizüberflutung noch darin bestand, daß von den Häusern der Innenstädte Leuchtreklamen flimmerten und man im Fernsehen ein einziges Programm sehen durfte; im Radio konnte man meist zwischen zwei oder drei Programmen wählen.
In verschärfter Form tritt diese Kritik wieder auf, seit sich dank der Vervielfachung der TV-Programme und dank des Internet das Angebot an Information und Unterhaltung in der Tat sehr vermehrt hat. Hinzu sind erweiterte Möglichkeiten der sozialen Kommunikation gekommen; über das Handy, über die sozialen Medien im Web.
Und mittendrin der arme Mensch, der sich 1920 im Dickicht der Städte verirrt und der sich 1960 von Reizen überflutet gesehen hatte; diesmal nun also der Kommunikations-Technologie ausgeliefert. Frank Schirrmacher hat diese Variante des Lamentos gesungen; siehe sein Buch "Payback" und Der vergeßliche Frank Schirrmacher. Ein Autor entdeckt die Schrecken der Technik; ZR vom 19. 11. 2009. Bei Rinke liest sich das so:
Die Gegenwart wird zerlegt, in lauter adrenalinkickende Sequenzen, in Ereignis- und Erlebnisfolgen, die wir, wie die Soziologen Thomas Eriksen und Hartmut Rosa meinen, als "Tyrannei des Augenblicks" beschreiben könnten. (...) Eine Zeit, die nur einen ereignispolternden Augenblick feiert und überhöht, das ist eine seltsame Zeit: eine Mischung aus einer rasenden, grellen Gegenwart, die sofort in dunkler, unverarbeiteter Vergangenheit liegt, und einer Zukunft, in die wir blind hineinlaufen, weil die rasende Augenblickskultur nicht gerade das Beharren auf einer Untersuchung von Fehlern in der Vergangenheit befördert.Jaja, der sausende Webstuhl der Zeit. Den freilich beschwor der Erdgeist im "Faust".
Ja, aber stimmt sie denn nicht, diese Kulturkritik? Wird unser Leben nicht immer schneller? Ist es denn nicht wirklich so, daß ständig eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird? Daß die Politiker nur noch für den Tag entscheiden, daß wir - so Rinke - einen "über uns hereinbrechender Opportunismus als Folge der Augenblickstyrannei" erleben? Man sollte das ein wenig ordnen:
Es scheint, daß wir dank der heutigen Technik in der Tat Informationen habituell in schnellerer Folge verarbeiten als frühere Generationen. Ein Hinweis darauf ist, daß Schlager der - sagen wir - fünfziger Jahre uns heute ausgesprochen langsam vorkommen; damals wurden sie als flott gesungen erlebt. Die Schnitte in den Filmen sind schneller geworden. Wir bedienen heute Geräte, die eine schnelle Verarbeitung von Informationen erzwingen. Wenn Sebastian Vettel sein Auto über die Rennstrecke lenkt, dann muß er mehr Bit pro Sekunde verarbeiten als einst der Alm-Öhi, wenn er von seiner Alm ins Tal stapfte.
Aber Vettel kann das. Das menschliche Hirn ist durch das, was der Formel-1-Pilot verarbeiten muß, augenscheinlich nicht überfordert. Vielleicht, weil das schnelle Verarbeiten vieler Informationen auch schon in vortechnischen Zeiten von Nutzen war; etwa, wenn es galt, einem Raubtier zu entkommen oder den Schwertschlägen eines Feindes auszuweichen und seinerseits diesen zu treffen. Beschaulich ist das Leben von Menschen nie gewesen.Zweitens ist das Informations- und auch das Kommunikationsangebot sehr gewachsen. Statt eines einzigen TV-Programms kann man Dutzende empfangen; als Besitzer einer Satellitenschüssel Hunderte. Statt der einen papiernen Tageszeitung, die der Zeitungsbote brachte oder die man am Kiosk kaufte, kann man, wenn man will, die Internetversionen beliebig vieler in- und ausländischer Zeitungen nutzen. Wer dies denn mag, der kann sich bei Facebook ein paar hundert, ja ein paar tausend "Freunde" besorgen.
Nur bedeutet ein vielfältiges Angebot ja nicht zwangsläufig mehr Konsum. Vor einem halben Jahrhundert gab es beim Bäcker kaum mehr als eine Brotsorte; heute bietet er deren viele an. Aber deshalb wird nicht mehr Brot gegessen. Ich kenne keinen Beleg dafür, daß der Durchschnittsbürger heute mehr politische Informationen konsumiert als zu der Zeit, als die einzige Tageszeitung, das einzige TV-Programm und die zwei oder drei Radioprogramme seine Informationsquellen waren. Mehr flüchtige Kontakte via Internet mag es geben; aber warum denn nicht?Mit seiner These von der "Tyrannei des Augenblicks" zielt Rinke aber nicht nur auf Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung und Vielfalt des Angebots an Informationen und Interaktionen, sondern vor allem auf Kurzlebigkeit und Nivellierung: Was gerade noch aktuell war, ist sogleich schon wieder vergessen. Und aktuell kann alles sein, das Bedeutsame wie das Triviale ("... letztlich alles gleichwertig: Guttenberg und Gadhafi, Kachelmann und bin Laden, Biosprossen und Fukushima?").
Ja, gewiß doch. Aber ist das denn jemals anders gewesen? Das Interesse der Menschen (das, was Heidegger mit Begriffen wie "Neugier" und "Gerede" bezeichnet) hat sich immer auf Triviales und auch Fundamentales gerichtet, auf Wichtiges ebenso wie auf Belangloses. Auch die Muhme in ihrer Spinnstube dürfte die Nachricht, daß beim Nachbarn die Kuh gekalbt hat, ebenso interessiert haben wie das, was man ihr über einen fernen Krieg zutrug.
Und natürlich wechselte das auch immer; und trotzdem gab es langfristiges Denken. Die "Beharrer", von denen Rinke träumt ("Eine Partei der Beharrlichen, die sich zwischen den einen und den nächsten Augenblick wirft. Eine Partei der Aufmerksamkeit, die nicht sofort dem nächsten Reiz erliegt") sind ja unter uns. Es hat immer beides gegeben - Beharrlichkeit und Flexibilität, langfristige Strategie und auf den Augenblick gemünzte Taktik. Daß heutige Politiker weniger strategisch, weniger langfristig denken würden als frühere, ist eine wilde Vermutung; durch nichts belegt. Wladimir Putin, Barack Obama, auch Nicolas Sarkozy (ganz zu schweigen von der chinesischen Führung) scheinen mir sehr strategisch-langfristig zu denken.
Wie kommt es, daß sich diese Art von Kulturkritik so hartnäckig hält, obwohl sie doch so wenig begründet ist? Ich habe einen Verdacht. Aber ich möchte Sie gleich warnen: Er besteht in einem argumentum ad hominem. Ich kann keine rationale Begründung für diese Haltung finden, wohl aber ein psychologisches Motiv.
Mir scheint, daß diese Kritik der Versuch ist, eine erlebte Hilflosigkeit zu bewältigen; sie zu rationalisieren und dadurch ein Gefühl der Überlegenheit zu gewinnen.
Wenn Rinke seine Verwirrtheit ob der Fülle an schnell wechselnden Informationen beschreibt, dann ist das natürlich in seinem Artikel Koketterie und ein Stilmittel. Aber ich vermute, daß man es ihm auch ruhig wörtlich abnehmen kann. Wer diese und jene Information aufschnappt, wie sie gerade kommt, der kann in der Tat in den Zustand der Verwirrtheit geraten, den Rinke beschreibt.
Aber das liegt an ihm, nicht an den Informationen. Auch der bronzezeitliche Jäger, der durch den Urwald streifte, war von einer unendlichen Vielfalt von Informationen umgeben. Er mußte, wenn er überleben wollte, selegieren und strukturieren. Das kann auch der heutige Konsument von Informationen, die von den Medien angeboten werden. Die Aufgabe ist im Kern dieselbe. Nur erfordert das eine gewisse Anstrengung.
Weniger anstrengend ist es, ein Lamento anzustimmen. Statt sich selbst darum zu bemühen, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, wirft man den Medien vor, Unwichtiges ebenso wie Wichtiges zu berichten. Ja, in der Tat. Das ist ihre Aufgabe. All the news that's fit to print. Statt daß man versucht, die langfristigen Strategien hinter den Handlungen und Entscheidungen von Politikern zu erkennen, wirft man ihnen vor, sie hätten keine. Der Kulturkritiker bleibt an der Oberfläche und beklagt dann die Oberflächlichkeit dessen, was er wahrnimmt.
Wer Schwierigkeiten im Umgang mit der Technik hat - wie augenscheinlich Frank Schirrmacher, der einfachste technische Begriffe nicht versteht; siehe den oben verlinkten Artikel -, der kann sich eingestehen, daß der Schwerpunkt seiner Intelligenz vielleicht eher im Verbalen liegt als im technischen Verständnis; oder aber er kann ein Buch schreiben, in dem er kritisiert, was die heutige Technik den Menschen zumutet.
Im Grunde ist es - so scheint es mir - die alte Konfrontation zwischen den Machern und den Rednern; zwischen König und Priester, zwischen dem Literaten und dem Wissenschaftler und Techniker.
Rinke schreibt über das Ozonloch. Er schreibt darüber so:
Ja, es gab einmal ein OZONLOCH! Beharren wir auf dem Ozonloch! Wo das wohl geblieben ist?? Wenn wir es wiederfinden und hineinschauen würden, was würden wir sehen? Die verlorene Zeit? Eine kleine Erinnerung an unsere Gegenwart? Unsere verlorene Zukunft?Tja, so kann man an das Ozonloch herangehen. Man kann freilich auch schlicht nachsehen, was denn der Stand der Forschung ist: Kleines Klima-Kaleidoskop (6): Was ist eigentlich aus dem Ozonloch geworden?; ZR vom 7. 2. 2010.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Moritz Rinke als Juror des Fernsehfilm-Festivals Baden-Baden 2009. Vom Autor Sitacuisses unter Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported freigegeben; Ausschnitt.