6. Juli 2011

Marginalie: Kommen die Russen? Moskau sucht die Einflußnahme auf die Kette der deutschen Energieversorgung

Haben Sie das irgendwo gelesen oder in einer Nachrichtensendung gehört? Mir war es entgangen, und ich habe erst gestern durch einen Artikel bei Stratfor (nur für Abonnenten zugänglich) davon erfahren. Dort lautet die Überschrift: "Russia seeks influence over Germany's energy supply chain" - Rußland sucht Einfluß auf die deutsche Kette der Energieversorgung zu gewinnen.

In Deutschland gab es dazu, wie ich inzwischen gefunden habe, eine kurze dpa-Meldung vom 30. 6., die man zum Beispiel bei dem Finanzdienst wallstreet:online lesen kann. Darin heißt es:
Der russische Energiekonzern Gazprom hat Pläne zum Einstieg in die deutsche Strombranche bekräftigt. "Wir beabsichtigen, uns auf dem attraktiven deutschen Markt an Projekten zum Bau von Kraftwerken zu beteiligen." Das sagte Gazprom-Chef Alexej Miller am Donnerstag auf der Jahresversammlung des Unternehmens in Moskau.
Über die Hintergründe erfährt man in der Meldung wenig; außer daß es Gespräche mit E.On geben soll und daß Alexej Miller als Grund für das russische Interesse angibt, in "Deutschland werde die Gas-Nachfrage nach dem beschlossenen Atomausstieg deutlich steigen". Ja, wie sonst. Nur kauft sich Gazprom ja nicht überall dort in die Kraftwerke ein, wohin es Erdgas liefert.

Was also sind die Hintergründe? Stratfor analysiert sie so:
  • Rußland - also der staatlich kontrollierte Konzern Gazprom - möchte nicht nur Energielieferant für Deutschland sein, sondern auf die gesamte Kette Einfluß nehmen können - von der Gewinnung von Erdgas über die Pipelines bis zur Beteiligung am Bau und Betrieb von Kraftwerken.

  • Eine solche Kontrolle der gesamten Kette durch einen einzigen Konzern ist nach EU-Recht allerdings verboten (sogenanntes Bündelungsverbot des Dritten Europäischen Binnenmarktpakets zur Stromversorgung von 2009).

  • Weiterhin würde Rußland mit einer solchen Entwicklung auch Einfluß auf die Energieversorgung anderer Staaten in Mitteleuropa (u.a. Ungarn und die Slowakei) gewinnen, in denen deutsche Konzerne, vor allem E.On, tätig sind. Stratfor erwartet deshalb Proteste nicht nur seitens der EU, sondern auch aus diesen Staaten, die um die Unabhängigkeit ihrer Energieversorgung von Rußland fürchten.

  • Rußland hätte von einem Einstieg bei deutschen Kraftwerken neben der Sicherung seines Marktes für Erdgas auch den Vorteil, Zugang zu deutscher Technologie zu erlangen.

  • Ein positiver Aspekt für Deutschland läge darin, daß Rußland ein Motiv hätte, die Preise für sein Erdgas niedrig zu halten. Gazprom wäre als Mitbetreiber deutscher Kraftwerke ja sein eigener Kunde.
  • Noch halten sich E.On und die Bundesregierung in der Angelegenheit bedeckt. Sollten sich die Pläne von Gazprom konkretisieren, dann - so sagt es Stratfor vorher - wird es heftigen Widerstand sowohl seitens der EU als auch aus Ländern Mitteleuropas geben.



    Es wird Ihnen vielleicht aufgefallen sein, daß ich gegenwärtig mit einer gewissen Beharrlichkeit auf die Entwicklung des deutsch-russischen Verhältnisses hinweise (Russisches Erdgas statt deutscher Kernenergie. Wie der "Ausstieg" die geopolitische Lage verändert; ZR vom 2. 6. 2011 und Der 15. Juni 2011 - ein "ereignisreicher Tag für Rußlands Strategie". BMD, die Nato und der russische Imperialismus; ZR vom 17. 6. 2011).

    Ich tue das deshalb, weil ich den Eindruck habe, daß sich da, weitgehend unbeachtet von den deutschen Medien, eine Dynamik entwickelt, deren Folgen noch kaum abzusehen sind.

    Eine deutsch-russische Allianz - gegründet auf den künftigen selbstverschuldeten deutschen Energiehunger, dann aber zwangsläufig mit politischen und letztlich auch militärischen Folgen - wird das Bild Europas verändern. Sie wird zu einer Abwehrreaktion in den Staaten führen, die zwischen den beiden an dieser Allianz Beteiligten liegen. Sie wird die anderen Länder Europas veranlassen, über ihre Beziehung zu dieser Allianz und über eigene Allianzen nachzudenken.

    Eine solche Allianz eines Nicht-EU-Landes mit dem führenden Land der EU hätte weitreichende Folgen für diese Union. Nicht nur, weil sie deren Machtgefüge gründlich verändern würde. Sie würde auch historisch verwurzelte Besorgnisse wiederbeleben. Es ist nicht auszuschließen, daß das "Gespenst von Rapallo" bald wieder mit seinen alten Knochen klappert.

    Falls Sie es nicht schon getan haben, möchte ich Sie einladen, zu dieser aktuellen Entwicklung die Analyse des Stratfor-Autors Marko Papic zu lesen, die ich kürzlich dokumentiert habe (mit deutscher Zusammenfassung).
    Zettel



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