3. Juli 2011

Klitschko vs. Haye - die große Show. Unkritische Anmerkungen. Lob des Geglitzers

Was für eine Show! Klitschko vs. Haye. Das ewige Duell: Der Schwere, Starke gegen den Leichtfüßigen, Schnellen. Bei den römischen Gladiatoren war das der Kampf des gepanzerten, schwerbewaffneten secutor, der mit Schwert und Schild focht, gegen den ungeschützten - in der Tat fast nackten -, nur leicht bewaffneten, aber dadurch eben ungemein beweglichen retiarius mit seinem Dreizack, mit einem Dolch und mit dem Fangnetz, das er über den Gegner zu werfen trachtete.

Ich habe auf diese im Wortsinn klassische Paarung vor vier Jahren hingewiesen, als ich schon einmal ein Loblied auf einen Boxkampf gesungen habe; seinerzeit kämpfte Henry Maske gegen Virgil Hill. In diesem damaligen Artikel sehen Sie auch eine Abbildung von zwei Gladiatoren dieser beiden Klassen (Gladiatoren, Maske, Showboxen; ZR vom 2. 4. 2007; für eine Vergrößerung auf die Titelvignette klicken).

Auch damals, bei Maske vs. Hill, war das Boxen, wie RTL es übertrug, schon eine große Show, zum Leidwesen sauertöpfisch-puristischer Journalisten. Inzwischen hat sich das weiterentwickelt. Und es ist damit noch mehr eine Sache des persönlichen Geschmacks geworden. Wer sich Boxen so wünscht wie zur Zeit von Max Schmeling, der wird vermutlich auf das, was da abgezogen wurde, mit Naserümpfen, Verachtung, gar Kulturkritik reagieren. Ich habe sie genossen, die große Show. Mir gefällt das Geglitzer.

Nicht nur wegen der optischen Effekte; dieser Laserorgie, diesen wilden Kamerafahrten, den schnellen Schnitten und Wechseln der Perspektive. Sondern auch, weil da auf der menschlichen Ebene sorgsam das jeweilige Image aufgebaut worden war; samt der Konfrontation des einen Image mit dem anderen. Kurz - das war optisch grell und psychologisch überzogen; wie Show eben sein sollte.

Wer sich für die Vorgeschichte dieses gestrigen Kampfs interessiert, der findet sie in der internationalen Wikipedia penibel beschrieben; mit einem ausführlicheren Quellenverzeichnis als bei manchem wissenschaftlichen Artikel. Man belauerte sich seit 2008, als Haye in die Schwergewichtsklasse gewechselt war. Termine wurden mehrfach abgesetzt, neue angesetzt. Spannung wurde erzeugt. Es war wie bei den Zweikämpfen der Helden vor Troja, die einander lange beschimpfen, bevor man zur Tat schreitet.

David Haye, das war in dieser Zeit der Vorbereitung auf das gestrige Ereignis der zweite Muhammed Ali; ein Großmaul wie einst jener Cassius Clay. Klitschko fiel die (ihm gewiß auf den Leib geschneiderte) Rolle zu, auf Hayes Tiraden mit kühler Bestimmtheit zu reagieren. Er werde den "jungen Mann" bestrafen, teilte er bündig mit (Haye wird im Oktober 31; Wladimir Klitschko wurde im März 35).

Und gestern dann sah der Zuschauer von RTL in der langen Zeit vor dem Beginn des Kampfs die gegenseitigen Schmähungen in staccato geschnittenen Filmsequenzen, durchmischt mit Szenen von Raketenstarts. Er sah Dergleichen lange, sehr lange, der Zuschauer. Denn zu Hayes Image gehört die Unpünktlichkeit, ja die Neigung zum Kneifen. Auch diesmal blieb die Tür zu seinem Raum erst einmal verschlossen, als er bereits eigentlich hätte erscheinen sollen. Die Reporter zeigten sich ratlos, die Offiziellen boten offizielle Entrüstung.

Abgesprochen oder spontan? Und die vorausgehenden Schmähungen - nur Show oder Ausdruck einer echten gegenseitigen Abneigung? Müßige Fragen. Wir wissen ja auch nicht, wie das damals bei Hektor und Achilles gewesen ist

Und wer will es denn überhaupt wissen? Doch nur diejenigen, die keinen Sinn für Show haben. Die freilich sollten vielleicht, statt sich einen Boxkampf anzusehen, lieber ein gutes Buch lesen.



Show ja. Aber Boxen ist andererseits ja nun kein wrestling, kein Catchen. Bei Hektor und Achilles ging es trotz allen Getönes und Getöses am Ende um Leben und Tod; hier immerhin um Karrieren, Ehre und viel Geld. Gefightet wurde ehrlich. Und der Kampf des Schweren, Ruhigen gegen den Leichtfüßigen, den auch zu kleinen Tricks Neigenden war gewiß nicht abgesprochen. So sind die beiden nun einmal.

War es ein hochklassiger Kampf, wie der RTL-Sprecher meinte? Ich kann das schwer beurteilen, mangels Kompetenz.

Die große Show innerhalb der Show eines boxerischen Events sind die zehn oder zwölf Runden wohl nur, wenn jemand richtig verprügelt wird, oder auch beide. Das war hier überhaupt nicht der Fall. Keiner zeigte deutlich Wirkung; geschweige denn, daß er am Rande des k.o. gewesen wäre. Beide erschienen auch nach den zwölf Runden noch erstaunlich frisch.

Haye gelang es immer wieder, den wuchtigen Schlägen Klitschkos dank seiner Schnelligkeit und seinem guten Auge auszuweichen; notfalls begab er sich dazu auch einmal in Richtung Ringboden. Er selbst andererseits schien weder die Schlagkraft noch die Reichweite zu haben, um Klitschko ernsthaft in Gefahr zu bringen.

Insofern passierte weniger, als es sich mancher - vielleicht vor allem der Boxlaie - gewünscht hätte. Für den Fachmann, der Strategie und Taktik eines solchen Kampfs versteht, der das technische Können und die körperliche Leistung an einer Rangskala messen kann, mag das andererseits durchaus ein hochklassiger Fight gewesen sein. Ich kann das, wie gesagt, nicht beurteilen.

Ich kann es nicht beurteilen, weil mich am Sport eben nur die Show interessiert.

Wer auf den Sport mit den Augen des, sagen wir, Turnvater Jahn blickt, der wird das nun allerdings unwürdig finden, dekadent, ja gar "amerikanisch".

Ich finde es klassisch. Denn wie war es bei den Olympischen Spielen der Antike? Wir erfahren es von einem Fachmann für antike Sportgeschichte, dem Altertumshistoriker Ingomar Weiler: Auch damals gab es die Show rund um die Wettkämpfe. Es gab bei diesem "großen panhellenischen Fest" die "zum Teil aus Geltungssucht, kommerziellen und anderen Motiven inszenierten Auftritte" von allerlei Prominenten; und alles in allem erinnerte das Fest damals, zu ganz klassischen Zeiten, an "Betriebsamkeit, Medienrummel und Kommerzialisierung" unserer Tage.

Und vermutlich werden auch damals schon manche den Kopf gewiegt und die Show verurteilt haben. Als dekadent, als ungriechisch, vielleicht ja gar als "persisch".
Zettel



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