22. Juli 2011

Zitat des Tages: "Eine politische Richtung, die nicht hingenommen werden kann". Was dürfen Studentenzeitungen bringen? Wo beginnt der Extremismus?

Weder die "Junge Freiheit" noch das "Institut für Staatspolitik" sind derzeit Objekt der Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Somit kann der Bezug der Schriften grundsätzlich jeder und jedem Einzelnen, auch jeder und jedem einzelnen Studierenden, nicht untersagt werden. Ich möchte dennoch darauf hinweisen, dass nach meiner Auffassung hier eine politische Nähe zum Rechtsextremismus nicht auszuschließen ist und dass diese Affinität zur "Neuen Rechten" , die mit der Schaltung der Anzeige in unsere Universität einzieht, eine politische Richtung auf den Campus bringt, die weder an der Universität noch auch im Bereich des BMVg hingenommen werden kann.

Wenngleich die Universität die Meinungsfreiheit des Einzelnen als hohes Gut der Demokratie schützt und garantiert, sehen wir doch in einer Verbreitung dieses geistigen Gedankenguts einen potenziellen Herd für eine Näherung an den Rechtsextremismus, die wir schon im Grundsatz verhindern wollen. Somit wird jegliche weitere Werbung von Organen der "Neuen Rechten" hiermit untersagt.
Die Präsidentin der Universität der Bundeswehr München, Merith Niehuss, in einem am 7. Juli verschickten Rundbrief an die Studenten und Mitarbeiter ihrer Universität.

Kommentar: Den Hintergrund dieses Rundschreibens hat in der gestrigen FAZ deren Feuilletonchef Patrick Bahners im Detail dargelegt. Es geht um die Studentenzeitschrift "Campus" der Universität der Bundeswehr München:
In ihrem Rundschreiben nimmt die Präsidentin Anstoß an einer ganzseitigen Anzeige. Beworben wird eine Broschüre mit dem Titel "Die Frau als Soldat. Der ,Gorch Fock'-Skandal, Minister zu Guttenberg und der Einsatz von Frauen in den Streitkräften". Das "Institut für Staatspolitik (IfS)" mit der Postanschrift "Rittergut Schnellroda" im sächsisch-anhaltinischen Steigra verspricht jedem Offizier und Offiziersanwärter der Bundeswehr ein kostenloses Leseexemplar. Zum Thema der Broschüre gibt es im Heft zwei Artikel, ein für studentische Medien typisches Pro und Contra. Ein Redakteur fordert eine "ehrliche Debatte" über die Grenzen der Kampfkraft von Soldatinnen, ein freier Mitarbeiter vertritt die Gegenposition.
Patrick Bahners - ein selbständiger, liberaler Geist, der auch schon einmal vor einem Interview mit der kommunistischen "Jungen Welt" nicht zurückschreckt -, geht mit der Präsidentin, die aus einem solchen Anlaß einen solchen Rundbrief verfaßt hat, hart ins Gericht:
In der amerikanischen Rechtsprechung zur Redefreiheit gibt es den Begriff des "chilling effect". Vage Umschreibungen des Unsagbaren durch die Autoritäten senken die Gesprächstemperatur und führen auch ohne ausdrückliche Redeverbote dazu, dass ein Untergebener seine Zunge hütet. Ein eisiger Wind weht einen an, wenn Frau Niehuss über ihre Pressestelle mitteilen lässt, dass sie die Meinungsfreiheit verteidige.
Ich teile Bahners Beurteilung, wie auch diejenige der beiden Professoren der Universtität der Bundeswehr Carlo Masala und Michael Wolffsohn, die der Präsidentin am Montag schrieben:
Bei unserem gemeinsamen "Kampf gegen Rechts" müssen wir uns aber strikt an die Regeln und Gesetze der Demokratie halten. Dazu gehören die Meinungs- und Aktionsfreiheit. Solange A und B bis Z, im Sinne unserer "wehrhaften Demokratie" (die wir nicht zuletzt bezüglich ihrer Wehrhaftigkeit" vorbehaltlos bejahen) nicht verboten sind, dürfen A und B bis Z sagen, was sie wollen; auch und gerade, wenn uns das Gesagte nicht gefällt oder passt.. Wir können nichts untersagen. "Die Gedanken sind frei", nicht nur im deutschen Volkslied, sondern in unserer freiheitlichen Bundesrepublik Deutschland und natürlich (hoffentlich) an jeder deutschen Universität.

Wenn weder die "Junge Freiheit" noch jenes Institut verboten und die Bundeswehr ein "Spiegel der Gesellschaft" ist, stellt Ihre gutgemeinte Intervention einen Systembruch im Rahmen der Demokratie dar.
Es ist schon bemerkenswert, daß diese Erkenntnisse, die jedem Schüler im Unterricht in Staatsbürgerkunde vermittelt werden, der Präsidentin einer Universität von zweien ihrer Professoren nahegebracht werden müssen.



Ich möchte einige Fragen anschließen:

"Weder die 'Junge Freiheit' noch das 'Institut für Staatspolitik' sind derzeit Objekt der Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Somit kann der Bezug der Schriften grundsätzlich jeder und jedem Einzelnen, auch jeder und jedem einzelnen Studierenden, nicht untersagt werden", schreibt die Präsidentin. Das legt den Schluß nahe, daß ein solches Verbot möglich ist, wenn eine Zeitung oder eine Organisation unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht.

Die Partei "Die Linke" wird bekanntlich vom Verfassungsschutz beobachtet. Sind nach Auffassung der Präsidentin also Hochschulen berechtigt, ihren Studenten den Bezug des "Neuen Deutschland" oder der "Jungen Welt" zu verbieten? Oder gilt das nach ihrer Meinung nur für Hochschulen der Bundeswehr? Bestehen solche Verbote derzeit?

Niehuss schreibt "jeder und jedem Einzelnen, auch jeder und jedem einzelnen Studierenden". Wem sonst außer Studierenden kann nach ihrer Rechtsauffassung denn noch der Bezug der Schriften von Organisationen verboten werden, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden? Allen Bürgern? Allen Mitgliedern einer Universität?

Weiter die Präsidentin: "Ich möchte dennoch darauf hinweisen, dass nach meiner Auffassung hier eine politische Nähe zum Rechtsextremismus nicht auszuschließen ist". Die Präsidentin hat eine "Auffassung". Sie spricht von - was immer das ist -"politischer Nähe". Und diese Nähe ist nach dieser ihrer Auffassung "nicht auszuschließen". Aus dieser Aneinanderreihung von Schwammigkeiten leitet die Präsidentin dann freilich Handfestes ab: "Somit wird jegliche weitere Werbung von Organen der 'Neuen Rechten' hiermit untersagt".

Nach meiner Auffassung - so könnte ich analog äußern - ist eine politische Nähe der SPD zum Kommunismus nicht auszuschließen; und ich könnte das sogar belegen, beispielsweise mit Hinweis auf den von Sozialdemokraten und Kommunisten gemeinsam betriebenen Think Tank "Institut Solidarische Moderne" (siehe "Die Notwendigkeit von Rot-Grün-Rot". Wie die Volksfront im Bund vorbereitet wird; ZR vom 19. 7. 2010). Wäre es also rechtens, Studenten den Bezug von Publikationen der SPD zu untersagen?

Eine absurde Vorstellung, nicht wahr? Aber der Chefredakteur von "Campus", Martin Böcker, ist so wenig ein Rechtsextremer, wie Andrea Ypsilanti, die gemeinsam mit der Kommunistin Katja Kipping im Vorstand des "Instituts Solidarische Moderne" sitzt, deshalb schon eine Kommunistin ist. Dazu "Welt-Online" am Mittwoch:
Der Chefredakteur des Uni-Magazins, Martin Böcker, streitet unterdessen jede Nähe zum Rechtsextremismus ab und bezeichnet sich laut "SZ" selbst als "katholisch konservativ". "Ich möchte, dass diese Irrtümer aufgeklärt werden und an der Uni zwischen uns, den Professoren und der Präsidentin wieder Normalität einkehrt", wird der 30-jährige Oberleutnant zitiert. Er denke nicht daran, zurückzutreten.
Katholisch konservativ zu sein - ist das aus Sicht der Präsidentin Merith Niehuss bereits "geistiges Gedankengut", das "einen potenziellen Herd für eine Näherung an den Rechtsextremismus" darstellt, "die wir schon im Grundsatz verhindern wollen"?

Sieht man von der verschwafelten Sprache ab, die nicht eben auf gedankliche Klarheit dieser Soziologin schließen läßt, dann bleibt doch eine sehr ernsthafte Frage: Wenn bereits etwas, das "potenziell" ein "Herd" für eine "Näherung" an einen Extremismus ist, per Verbot verhindert werden soll - was darf dann denn überhaupt noch erlaubt sein?

Jeder Extremismus ist, wie der Name es sagt, die extreme Form einer politischen oder weltanschaulichen Haltung, die als solche nicht extremistisch ist. Die Partei "Die Linke" ist extremistisch, aber die ebenfalls linken Sozialdemokraten sind es nicht. Der Islamismus ist extremistisch, aber nicht jeder Moslem ist es. Rechtsextreme sind es, aber katholische Konservative wie Martin Böcker und das "Institut für Staatspolitik" sind es nicht.

Wenn man glaubt, die nichtextreme Variante einer politischen Haltung verbieten zu dürfen oder gar zu müssen, wenn diese auch eine extreme Variante hat, dann bleibt wenig im politischen Spektrum übrig, das nicht vom Verbot bedroht wäre.

Vorausgesetzt allerdings, man verfährt anhand derselben Maßstäbe, ob es nun um linke, rechte oder religiöse Haltungen geht.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.