Nicht alle Demokratien haben das Glück der USA, daß den Gründern auf Anhieb eine nahezu perfekte Verfassung gelingt. Eine, die über die Jahrhunderte erhalten bleibt, nur durch den einen oder anderen ergänzenden Zusatz verbessert.
Meist wechseln die "Republiken".
In Deutschland benennen wir sie nach Städten: Die Weimarer, die Bonner, die Berliner Republik.
In Frankreich werden sie durchnumeriert. Die Fünfte Republik löste 1958 die Vierte Republik ab. Sie geht nach einem halben Jahrhundert - nicht formal, aber materiell - in diesen Tagen zu Ende.
Der Übergang von einer Republik zur nächsten geschieht meist in krisenhaften Zeiten - als Folge eines gewonnenen oder eines verlorenen Kriegs, nach mehr oder weniger blutigen Revolutionen.
Diesmal vollzieht sich das Ende einer Französischen Republik anders: Irgendwie waren und sind sich (fast) alle einig, daß es so nicht weitergehen konnte. Man verabschiedet sich von der Fünften Republik sozusagen wie bei einer einvernehmlichen Scheidung, im gegenseitigen Respekt.
Ob die faktischen Änderungen, die sich gegenwärtig vollziehen, sich in einer formalen Änderung der Verfassung widerspiegeln werden, ist derzeit noch ungewiß. Wahrscheinlich eher nicht. Die Verfassungswirklichkeit Frankreichs jedenfalls ändert sich in diesen Tagen; und die gestrigen Wahlen waren so etwas wie ein Stichtag.
Die Verfassung der französischen Fünften Republik war maßgeschneidert gewesen für den "Retter Frankreichs", Charles de Gaulle.
Er, der Führer des "Freien Frankreich", war nach der Befreiung 1944 kurz Regierungs- Chef einer Koalition der Nationalen Einheit gewesen. Für noch nicht zwei Jahre; dann trat er zurück.
Statt Einheit gab es, so nahm es jedenfalls de Gaulle wahr, Parteiengezänk. Die Vierte Republik war in seinen Augen gescheitert, bevor sie überhaupt richtig hatte Fuß fassen können.
Er versuchte es mit einer "Sammlungsbewegung" und zog sich dann nach Colombey- les- deux- Églises zurück, um seine Memoiren zu schreiben.
Nein - eigentlich, um sich bereitzuhalten für den Ruf des Vaterlands. Dieser kam 1958.
Die Vierte Republik drehte sozusagen immer schnellere Pirouetten.
Ich war damals in Paris, ein politisch neugieriger Schüler. Da gab es einen Premier Bourgès- Maunoury, einen Premier Félix Gaillard. Junge Männer um die vierzig, die irgendwie in diesem Finale der Republik ganz nach oben katapultiert worden waren. Als schon fast nichts mehr ging, gab es noch einen Premier Pierre Pflimlin, das "Pfläumchen", einen Elsässer.
Als gar nichts mehr ging, als Generäle in Algerien den Gehorsam verweigerten, als man fürchtete, daß putschende Paras bei Paris abspringen würden, rief man de Gaulle. Im Lauf des Jahres 1958 entstand die Fünfte Republik.
Wenn eine Republik untergegangen ist, dann sucht man für die nächste eine Verfassung, die deren Fehler vermeidet. Die Bonner Verfassung suchte sozusagen Punkt für Punkt die Fehler der Weimarer Verfassung zu vermeiden. Ähnlich war die Verfassung der Fünften Republik eine Reaktion auf das Scheitern der Vierten Republik.
Es war eine ungewöhnlich erfolgreiche Verfassung. Sie hielt ein halbes Jahrhundert - sehr viel für französische Verhältnisse. Sie trug wesentlich dazu bei, daß aus einem rückständigen Agrarland eine führende Industrie- Nation wurde. Und sie bescherte dem Land eine ungewöhnliche Stabilität.
Ihr zentrales Element war freilich ein massiver Machtverlust des Parlaments. Der unmittelbare Ausdruck der Mißachtung de Gaulles für das "Parteiengezänk".
Der Präsident wird - wir haben es gerade erlebt - direkt vom Volk gewählt. Er kann sich jederzeit mit einem Referendum an sein Volk wenden und damit auch das durchsetzen, was das Parlament ihm verweigert.
Er allein ist zuständig für die Außen- und die Verteidigungspolitik. Er sucht sich einen Premier- Minister aus und kann ihn jederzeit entlassen.
Allerdings bedarf der Premier des Vertrauens der Nationalversammlung. Der Präsident ist also gut beraten, einen Kandidaten aus der jeweiligen Parlaments- Mehrheit zu ernennen. Das führte zur Cohabitation - Mitterand mußte mit einer rechten Mehrheit regieren, Chirac mit einer linken. Erstaunlicherweise ging das ganz gut; die Republik hielt es jedenfalls aus.
Aber das ganze System tendierte doch zum Immobilismus. Der Präsident war zugleich das Staats- Oberhaupt, das allen Franzosen verpflichtet ist, und ein Parteipolitiker. Die Sitte, daß Parlamentarier zugleich Lokalpolitiker waren (sehr oft Bürgermeiste) führte zur Verfilzung. Dazu trug wesentlich auch der traditionelle französische Etatismus bei, in Bezug auf den sich die Rechten und die Linken einig waren. Es gab immer wieder Skandale, in die Staatsunternehmen verwickelt waren; Politiker erschlichen sich Vorteile, indem sie von staatlichen Einrichtungen Gebrauch machten.
Es war François Bayrou, der im Wahlkampf immer wieder diese Mißstände angeprangert hat; der sozusagen das Fenster aufgestoßen und frische Luft hereingelassen hat.
Es reichte nicht dafür, in den zweiten Wahlgang zu kommen, in dem er wahrscheinlich gesiegt hätte. Seine Partei ist im gestern gewählten Parlament bedeutungslos.
Aber sein Plan, Frankreich in eine moderne Präsidialdemokratie umzuwandeln, scheint doch Realität werden zu können.
Dazu tragen hauptsächlich zwei Neuerungen bei:
Erstens versteht sich Sarkozy als ein Präsident, der die gesamten Richtlinien der Politik bestimmt; der sich sozusagen ins operative Geschäft einschaltet. Etwa wie der US-Präsident.
Und zweitens ist Frankreich seit gestern auf dem Weg zum Zwei- Parteien- System.
Die extreme Rechte ist vernichtend geschlagen; von den einst mächtigen Kommunisten ist ein Grüppchen verblieben, das noch nicht einmal mehr Fraktions- Status erreicht. Die kleinen Parteien - die Grünen, die Radicaux de Gauche, die keine Linksradikale sind, sondern Linksliberale, die linken und rechten Einzelkandidaten - verdanken ihre Wahl Absprachen mit einer der beiden großen Parteien.
Von denen die eine - die UMP - seit fünf Jahren eine rechte Volkspartei ist, die von der Mitte bis in die konservative Rechte hineinreicht.
Und heute nun hat der Generalsekretär der Sozialisten, François Hollande, in einem Interview mit "Le Monde" angekündigt, daß er die Sozialistische Partei in ein linkes Gegenstück zur UMP verwandeln möchte - von ganz links bis zur Mitte reichend.
Eine Präsidialdemokratie also mit zwei Volksparteien: Amerikanische Verhältnisse. Eine neue Republik.
Meist wechseln die "Republiken".
In Deutschland benennen wir sie nach Städten: Die Weimarer, die Bonner, die Berliner Republik.
In Frankreich werden sie durchnumeriert. Die Fünfte Republik löste 1958 die Vierte Republik ab. Sie geht nach einem halben Jahrhundert - nicht formal, aber materiell - in diesen Tagen zu Ende.
Der Übergang von einer Republik zur nächsten geschieht meist in krisenhaften Zeiten - als Folge eines gewonnenen oder eines verlorenen Kriegs, nach mehr oder weniger blutigen Revolutionen.
Diesmal vollzieht sich das Ende einer Französischen Republik anders: Irgendwie waren und sind sich (fast) alle einig, daß es so nicht weitergehen konnte. Man verabschiedet sich von der Fünften Republik sozusagen wie bei einer einvernehmlichen Scheidung, im gegenseitigen Respekt.
Ob die faktischen Änderungen, die sich gegenwärtig vollziehen, sich in einer formalen Änderung der Verfassung widerspiegeln werden, ist derzeit noch ungewiß. Wahrscheinlich eher nicht. Die Verfassungswirklichkeit Frankreichs jedenfalls ändert sich in diesen Tagen; und die gestrigen Wahlen waren so etwas wie ein Stichtag.
Die Verfassung der französischen Fünften Republik war maßgeschneidert gewesen für den "Retter Frankreichs", Charles de Gaulle.
Er, der Führer des "Freien Frankreich", war nach der Befreiung 1944 kurz Regierungs- Chef einer Koalition der Nationalen Einheit gewesen. Für noch nicht zwei Jahre; dann trat er zurück.
Statt Einheit gab es, so nahm es jedenfalls de Gaulle wahr, Parteiengezänk. Die Vierte Republik war in seinen Augen gescheitert, bevor sie überhaupt richtig hatte Fuß fassen können.
Er versuchte es mit einer "Sammlungsbewegung" und zog sich dann nach Colombey- les- deux- Églises zurück, um seine Memoiren zu schreiben.
Nein - eigentlich, um sich bereitzuhalten für den Ruf des Vaterlands. Dieser kam 1958.
Die Vierte Republik drehte sozusagen immer schnellere Pirouetten.
Ich war damals in Paris, ein politisch neugieriger Schüler. Da gab es einen Premier Bourgès- Maunoury, einen Premier Félix Gaillard. Junge Männer um die vierzig, die irgendwie in diesem Finale der Republik ganz nach oben katapultiert worden waren. Als schon fast nichts mehr ging, gab es noch einen Premier Pierre Pflimlin, das "Pfläumchen", einen Elsässer.
Als gar nichts mehr ging, als Generäle in Algerien den Gehorsam verweigerten, als man fürchtete, daß putschende Paras bei Paris abspringen würden, rief man de Gaulle. Im Lauf des Jahres 1958 entstand die Fünfte Republik.
Wenn eine Republik untergegangen ist, dann sucht man für die nächste eine Verfassung, die deren Fehler vermeidet. Die Bonner Verfassung suchte sozusagen Punkt für Punkt die Fehler der Weimarer Verfassung zu vermeiden. Ähnlich war die Verfassung der Fünften Republik eine Reaktion auf das Scheitern der Vierten Republik.
Es war eine ungewöhnlich erfolgreiche Verfassung. Sie hielt ein halbes Jahrhundert - sehr viel für französische Verhältnisse. Sie trug wesentlich dazu bei, daß aus einem rückständigen Agrarland eine führende Industrie- Nation wurde. Und sie bescherte dem Land eine ungewöhnliche Stabilität.
Ihr zentrales Element war freilich ein massiver Machtverlust des Parlaments. Der unmittelbare Ausdruck der Mißachtung de Gaulles für das "Parteiengezänk".
Der Präsident wird - wir haben es gerade erlebt - direkt vom Volk gewählt. Er kann sich jederzeit mit einem Referendum an sein Volk wenden und damit auch das durchsetzen, was das Parlament ihm verweigert.
Er allein ist zuständig für die Außen- und die Verteidigungspolitik. Er sucht sich einen Premier- Minister aus und kann ihn jederzeit entlassen.
Allerdings bedarf der Premier des Vertrauens der Nationalversammlung. Der Präsident ist also gut beraten, einen Kandidaten aus der jeweiligen Parlaments- Mehrheit zu ernennen. Das führte zur Cohabitation - Mitterand mußte mit einer rechten Mehrheit regieren, Chirac mit einer linken. Erstaunlicherweise ging das ganz gut; die Republik hielt es jedenfalls aus.
Aber das ganze System tendierte doch zum Immobilismus. Der Präsident war zugleich das Staats- Oberhaupt, das allen Franzosen verpflichtet ist, und ein Parteipolitiker. Die Sitte, daß Parlamentarier zugleich Lokalpolitiker waren (sehr oft Bürgermeiste) führte zur Verfilzung. Dazu trug wesentlich auch der traditionelle französische Etatismus bei, in Bezug auf den sich die Rechten und die Linken einig waren. Es gab immer wieder Skandale, in die Staatsunternehmen verwickelt waren; Politiker erschlichen sich Vorteile, indem sie von staatlichen Einrichtungen Gebrauch machten.
Es war François Bayrou, der im Wahlkampf immer wieder diese Mißstände angeprangert hat; der sozusagen das Fenster aufgestoßen und frische Luft hereingelassen hat.
Es reichte nicht dafür, in den zweiten Wahlgang zu kommen, in dem er wahrscheinlich gesiegt hätte. Seine Partei ist im gestern gewählten Parlament bedeutungslos.
Aber sein Plan, Frankreich in eine moderne Präsidialdemokratie umzuwandeln, scheint doch Realität werden zu können.
Dazu tragen hauptsächlich zwei Neuerungen bei:
Erstens versteht sich Sarkozy als ein Präsident, der die gesamten Richtlinien der Politik bestimmt; der sich sozusagen ins operative Geschäft einschaltet. Etwa wie der US-Präsident.
Und zweitens ist Frankreich seit gestern auf dem Weg zum Zwei- Parteien- System.
Die extreme Rechte ist vernichtend geschlagen; von den einst mächtigen Kommunisten ist ein Grüppchen verblieben, das noch nicht einmal mehr Fraktions- Status erreicht. Die kleinen Parteien - die Grünen, die Radicaux de Gauche, die keine Linksradikale sind, sondern Linksliberale, die linken und rechten Einzelkandidaten - verdanken ihre Wahl Absprachen mit einer der beiden großen Parteien.
Von denen die eine - die UMP - seit fünf Jahren eine rechte Volkspartei ist, die von der Mitte bis in die konservative Rechte hineinreicht.
Und heute nun hat der Generalsekretär der Sozialisten, François Hollande, in einem Interview mit "Le Monde" angekündigt, daß er die Sozialistische Partei in ein linkes Gegenstück zur UMP verwandeln möchte - von ganz links bis zur Mitte reichend.
Eine Präsidialdemokratie also mit zwei Volksparteien: Amerikanische Verhältnisse. Eine neue Republik.