Thilo Thielke, der Afrika- Korrespondent des "Spiegel", hat sich in einem sehr lesenswerten Kommentar vom Herzen geschrieben, was vermutlich jeder schreiben könnte, der die Fakten kennt und der die politische Afrika- Folklore miterleben muß, wie sie bei uns in diesen Tagen von Köln über Rostock bis Heiligendamm wieder einmal "hunderttausende junger Menschen" in ihren Bann gezogen hat.
Man kann sie ja verstehen, die jungen Leute, die wenig wissen, aber viel fühlen. Sie sehen die Bilder vom Elend in Afrika, sie sehen unseren Wohlstand. Und sie schließen, daß es den Afrikanern so schlecht geht, weil es uns so gut geht.
Was - Thielke weist wieder einmal darauf hin - schlicht nicht wahr ist. Afrika wird nicht von den Europäern und Amerikanern ausgebeutet, sondern es leidet unter seinen heimischen Ausbeutern. Es ist arm, nicht weil wir es arm halten, sondern weil - mit Ausnahme der Südafrikanischen Republik, in einigen wenigen Bereichen - es keinem afrikanischen Land gelungen ist, eine moderne, wettbewerbsfähige Industrie aufzubauen.
Ghana hatte, als es selbständig wurde, ungefähr dieselbe Wirtschaftskraft wie damals Südkorea und Taiwan. Es liegt nicht an der Politik der USA, der Europäer, daß Südkorea und Taiwan heute moderne Industriestaaten sind und Ghana nicht. Dazu schreibt der Afrika- Korrespondent des "Handelsblatts", Wolfgang Drechsler:
Auf den TV-Bildschirmen sehen wir dieses Elend in Afrika. Wir sehen den Wohlstand der USA, wir kennen den unseren. Also sind doch die einen arm, weil die anderen, die Reichen, sie ausbeuten; wie sollte es anders sein?
Daß die wohlmeinenden, kenntnislosen jungen Leute das glauben, was sozusagen augenfällig zu sein scheint, kann man ihnen nicht verübeln. Diejenigen, die ihre "Bewegung" organisieren, die sie mit "Argumenten" versorgen, wissen es natürlich besser.
Aber ihnen ist klar, daß die Empörung dieser junger Leute wunderbar für ihre Agitprop genutzt werden kann. In dieser Agitprop ist es ja nicht einfach "der weiße Mann", der für das Elend in Afrika haftbar gemacht wird. Sondern es ist "der Kapitalismus".
"Der Neo-Imperialismus" hieß das früher. Diese allzusehr an Lenin erinnernde Vokabel ist aus der Massenlinie der antikapitalistischen Propaganda verschwunden. Also "die neoliberale Globalisierung"; das ist im Augenblick die Sprachregelung.
Ich bin, was das Elend Afrikas angeht, im Lauf der Jahre immer pessimistischer geworden. Mir scheint immer plausibler, daß die Wurzel des Problems die Entkolonialisierung ist.
Ein kurzer Blick zurück:
Als, seit dem späten fünfzehnten Jahrhundert, Europa dank der wissenschaftlich- technischen Revolution, die die Renaissance eingeleitet hatte, die Welt zu erobern begann, gab es ein Problem der, sagen wir, kulturellen Ungleichzeitigkeit.
Die anderen Hochkulturen - die chinesische, die japanische, die indische, die arabische - waren bis dahin der europäischen Kultur mindestens ebenbürtig, ihr in vielen Belangen überlegen gewesen.
Aber mit der Renaissance, dann mit der Aufklärung, mit der daraus entspringenden Industrialisierung und dem ungeheuren Fortschritt der Wissenschaften seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts gewannen die Europäer einen immer größeren kulturellen (manche meinen: nein, nur "zivilisatorischen") Vorsprung gegenüber den anderen Hochkulturen; erst recht natürlich den Stammeskulturen, den Feudalgesellschaften in Afrika.
Das begründete - im doppelten Wortsinn - die Dominanz der abendländischen (europäisch- nordamerikanischen) Kultur, die bis ins 20. Jahrhundert anhielt und die in unserer Zeit schwindet.
Die alten Hochkulturen hatten stets die Voraussetzungen dafür, diesen - historisch gesehen, vorübergehenden - Vorsprung unserer abendländischen Kultur aufzuholen. Jede dieser Hochkulturen hat im Lauf der Jahrhunderte eine wissenschaftliche Tradition geschaffen, eine Tradition der Gelehrsamkeit. Jede hat städtische und komplexe staatliche soziale Strukturen, hat Menschen mit hoher Selbstdisziplin hervorgebracht. Über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende sind in diesen Hochkulturen Eliten entstanden - geistige Eliten, künstlerische Eliten, Machteliten.
Dort, wo das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem das erlaubte, wie in Japan, Taiwan, Hongkong, Südkorea, Malaysia, begann auf dem Boden dieser Voraussetzungen das Aufholen des Westens schon früh; und es ist heute weitgehend abgeschlossen.
Rotchina waren bis vor kurzem durch den Kommunismus Fesseln angelegt. Indien hatte ebenfalls jahrzehntelang auf den Sozialismus gesetzt; wenn auch einen weniger repressiven. Seit sich dort der Liberalismus durchgesetzt hat, erlebt das Land eine förmliche Explosion des wirtschaftlich- technischen Fortschritts.
Alles Länder mit den Voraussetzungen, die das Ergebnis einer langen Entwicklung zur Hochkultur sind.
Afrika hat sie nicht. Gewiß, nicht überall in Afrika war man im 19. Jahrhundert auf dem Niveau von Stammeskulturen, wie überwiegend südlich des Äquators. Es gab an den Küsten im Osten wie im Westen Länder, deren Gesellschaften mit den Feudalgesellschaften der dorischen Antike oder des europäischen Mittelalters vergleichbar waren.
Aber es gab nichts, was der chinesischen, der japanischen, der indischen Hochkultur und den Kulturen in ihrem Umfeld vergleichbar gewesen wäre.
Indien zu "kolonisieren" war eine Absurdität gewesen. Ebensogut hätten die Inder sich aufmachen können, Großbritannien zu kolonisieren. Die Selbständigkeit Indiens war eine historische Notwendigkeit; die Korrektur eines historischen Irrtums.
Aber nachdem Indien am 15. August 1947 selbständig geworden war, entwickelte sich eine Dynamik der "Entkolonialisierung". Wenn Indien - warum nicht auch die Goldküste, die Elfenbeinküste? Warum nicht auch Belgisch- Kongo, Angola?
Innerhalb von kaum zwei Jahrzehnten warf England, warf Frankreich die meisten der Kolonien ab wie Ballast, der ein Schiff niederzieht. Die Belgier folgten, am Ende auch die Portugiesen. Diese allerdings erst, nachdem sie vergeblich in Angola und in Mozambique kommunistische Aufstände bekämpft hatten.
In Kenya hatten die Mau- Mau- Terroristen mit unglaublicher Brutalität gehaust. Von der "Barbarei von Wilden" sprach damals "Time Magazine". Es war zu befürchten, daß derartige "Befreiungskriege" bald den ganzen Kontinent überziehen würden. Die Kolonialmächte zogen es verständlicherweise vor, das Feld zu räumen. Die Kolonien waren längst nicht mehr profitabel. Ihretwegen blutige Kriege zu führen wäre unsinnig gewesen.
Kein einziges der "in die Unabhängigkeit entlassenen" afrikanischen Länder war damals aber auch nur annähernd reif dafür, eine moderne Industrienation zu werden.
Es hätte Jahrzehnte, wahrscheinlich ein Jahrhundert oder länger gedauert und riesige Investitionen gekostet, um in diesen Ländern die gesellschaftlichen Strukturen, den Bildungsstand, die Mentalität zu schaffen, wie sie China, Indien und Japan in Jahrtausenden entwickelt hatten.
Das wollten und konnten die Kolonialmächte nicht. Zumal man sich im Kalten Krieg befand. Im Wettstreit zwischen dem Kommunismus und der Freiheit konnten es sich der freie Westen nicht leisten, sich dem Vorwurf des "Kolonialismus" auszusetzen, nur weil man riesige Geldmittel in die Entwicklung von Kolonien gepumpt hätte, die irgendwann doch selbständig geworden wären.
Die Entkolonialisierung war für die Kolonialmächte rational. Für Afrika war sie eine Katastrophe.
Es kam, wie es kommen mußte: Statt zu den entwickelten Industrie- Nationen aufzuschließen, fällt Afrika immer weiter zurück. Man exportiert nicht, wie China oder Malaysia, High Tech, sondern Rohstoffe. Man lebt immer mehr von Entwicklungshilfe; sozusagen als globale Sozialhilfe- Empfänger ohne die Aussicht, in das Erwerbsleben eingegliedert zu werden. Noch einmal Wolfgang Drechsler:
Man kann sie ja verstehen, die jungen Leute, die wenig wissen, aber viel fühlen. Sie sehen die Bilder vom Elend in Afrika, sie sehen unseren Wohlstand. Und sie schließen, daß es den Afrikanern so schlecht geht, weil es uns so gut geht.
Was - Thielke weist wieder einmal darauf hin - schlicht nicht wahr ist. Afrika wird nicht von den Europäern und Amerikanern ausgebeutet, sondern es leidet unter seinen heimischen Ausbeutern. Es ist arm, nicht weil wir es arm halten, sondern weil - mit Ausnahme der Südafrikanischen Republik, in einigen wenigen Bereichen - es keinem afrikanischen Land gelungen ist, eine moderne, wettbewerbsfähige Industrie aufzubauen.
Ghana hatte, als es selbständig wurde, ungefähr dieselbe Wirtschaftskraft wie damals Südkorea und Taiwan. Es liegt nicht an der Politik der USA, der Europäer, daß Südkorea und Taiwan heute moderne Industriestaaten sind und Ghana nicht. Dazu schreibt der Afrika- Korrespondent des "Handelsblatts", Wolfgang Drechsler:
Gerade die potenziellen "Lokomotiven" Nigeria, Kongo, Kenia oder Äthiopien, die mehr als 300 Millionen Menschen beherbergen, kommen nicht unter Dampf. Auch eine jüngste OECD-Studie bietet kaum Aussicht auf Besserung. Denn die für Afrika gemeldete Wachstumsrate von durchschnittlich fünf Prozent basiert auf einem extrem niedrigen Niveau und beruht fast ausschließlich auf dem globalen Rohstoffboom.
Strukturen für eine nachhaltige Entwicklung findet man in Afrika kaum. Und von Integration in die Weltwirtschaft kann nach wie vor kaum die Rede sein. Viele Merkmale der Misere Nigerias, insbesondere Korruption und Missmanagement, finden sich auch in den anderen Teilen des Kontinents. Im Klartext: So gut wie alle Versuche einer selbstbestimmten postkolonialen Entwicklung sind in Afrika gescheitert.
Auf den TV-Bildschirmen sehen wir dieses Elend in Afrika. Wir sehen den Wohlstand der USA, wir kennen den unseren. Also sind doch die einen arm, weil die anderen, die Reichen, sie ausbeuten; wie sollte es anders sein?
Daß die wohlmeinenden, kenntnislosen jungen Leute das glauben, was sozusagen augenfällig zu sein scheint, kann man ihnen nicht verübeln. Diejenigen, die ihre "Bewegung" organisieren, die sie mit "Argumenten" versorgen, wissen es natürlich besser.
Aber ihnen ist klar, daß die Empörung dieser junger Leute wunderbar für ihre Agitprop genutzt werden kann. In dieser Agitprop ist es ja nicht einfach "der weiße Mann", der für das Elend in Afrika haftbar gemacht wird. Sondern es ist "der Kapitalismus".
"Der Neo-Imperialismus" hieß das früher. Diese allzusehr an Lenin erinnernde Vokabel ist aus der Massenlinie der antikapitalistischen Propaganda verschwunden. Also "die neoliberale Globalisierung"; das ist im Augenblick die Sprachregelung.
Ich bin, was das Elend Afrikas angeht, im Lauf der Jahre immer pessimistischer geworden. Mir scheint immer plausibler, daß die Wurzel des Problems die Entkolonialisierung ist.
Ein kurzer Blick zurück:
Als, seit dem späten fünfzehnten Jahrhundert, Europa dank der wissenschaftlich- technischen Revolution, die die Renaissance eingeleitet hatte, die Welt zu erobern begann, gab es ein Problem der, sagen wir, kulturellen Ungleichzeitigkeit.
Die anderen Hochkulturen - die chinesische, die japanische, die indische, die arabische - waren bis dahin der europäischen Kultur mindestens ebenbürtig, ihr in vielen Belangen überlegen gewesen.
Aber mit der Renaissance, dann mit der Aufklärung, mit der daraus entspringenden Industrialisierung und dem ungeheuren Fortschritt der Wissenschaften seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts gewannen die Europäer einen immer größeren kulturellen (manche meinen: nein, nur "zivilisatorischen") Vorsprung gegenüber den anderen Hochkulturen; erst recht natürlich den Stammeskulturen, den Feudalgesellschaften in Afrika.
Das begründete - im doppelten Wortsinn - die Dominanz der abendländischen (europäisch- nordamerikanischen) Kultur, die bis ins 20. Jahrhundert anhielt und die in unserer Zeit schwindet.
Die alten Hochkulturen hatten stets die Voraussetzungen dafür, diesen - historisch gesehen, vorübergehenden - Vorsprung unserer abendländischen Kultur aufzuholen. Jede dieser Hochkulturen hat im Lauf der Jahrhunderte eine wissenschaftliche Tradition geschaffen, eine Tradition der Gelehrsamkeit. Jede hat städtische und komplexe staatliche soziale Strukturen, hat Menschen mit hoher Selbstdisziplin hervorgebracht. Über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende sind in diesen Hochkulturen Eliten entstanden - geistige Eliten, künstlerische Eliten, Machteliten.
Dort, wo das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem das erlaubte, wie in Japan, Taiwan, Hongkong, Südkorea, Malaysia, begann auf dem Boden dieser Voraussetzungen das Aufholen des Westens schon früh; und es ist heute weitgehend abgeschlossen.
Rotchina waren bis vor kurzem durch den Kommunismus Fesseln angelegt. Indien hatte ebenfalls jahrzehntelang auf den Sozialismus gesetzt; wenn auch einen weniger repressiven. Seit sich dort der Liberalismus durchgesetzt hat, erlebt das Land eine förmliche Explosion des wirtschaftlich- technischen Fortschritts.
Alles Länder mit den Voraussetzungen, die das Ergebnis einer langen Entwicklung zur Hochkultur sind.
Afrika hat sie nicht. Gewiß, nicht überall in Afrika war man im 19. Jahrhundert auf dem Niveau von Stammeskulturen, wie überwiegend südlich des Äquators. Es gab an den Küsten im Osten wie im Westen Länder, deren Gesellschaften mit den Feudalgesellschaften der dorischen Antike oder des europäischen Mittelalters vergleichbar waren.
Aber es gab nichts, was der chinesischen, der japanischen, der indischen Hochkultur und den Kulturen in ihrem Umfeld vergleichbar gewesen wäre.
Indien zu "kolonisieren" war eine Absurdität gewesen. Ebensogut hätten die Inder sich aufmachen können, Großbritannien zu kolonisieren. Die Selbständigkeit Indiens war eine historische Notwendigkeit; die Korrektur eines historischen Irrtums.
Aber nachdem Indien am 15. August 1947 selbständig geworden war, entwickelte sich eine Dynamik der "Entkolonialisierung". Wenn Indien - warum nicht auch die Goldküste, die Elfenbeinküste? Warum nicht auch Belgisch- Kongo, Angola?
Innerhalb von kaum zwei Jahrzehnten warf England, warf Frankreich die meisten der Kolonien ab wie Ballast, der ein Schiff niederzieht. Die Belgier folgten, am Ende auch die Portugiesen. Diese allerdings erst, nachdem sie vergeblich in Angola und in Mozambique kommunistische Aufstände bekämpft hatten.
In Kenya hatten die Mau- Mau- Terroristen mit unglaublicher Brutalität gehaust. Von der "Barbarei von Wilden" sprach damals "Time Magazine". Es war zu befürchten, daß derartige "Befreiungskriege" bald den ganzen Kontinent überziehen würden. Die Kolonialmächte zogen es verständlicherweise vor, das Feld zu räumen. Die Kolonien waren längst nicht mehr profitabel. Ihretwegen blutige Kriege zu führen wäre unsinnig gewesen.
Kein einziges der "in die Unabhängigkeit entlassenen" afrikanischen Länder war damals aber auch nur annähernd reif dafür, eine moderne Industrienation zu werden.
Es hätte Jahrzehnte, wahrscheinlich ein Jahrhundert oder länger gedauert und riesige Investitionen gekostet, um in diesen Ländern die gesellschaftlichen Strukturen, den Bildungsstand, die Mentalität zu schaffen, wie sie China, Indien und Japan in Jahrtausenden entwickelt hatten.
Das wollten und konnten die Kolonialmächte nicht. Zumal man sich im Kalten Krieg befand. Im Wettstreit zwischen dem Kommunismus und der Freiheit konnten es sich der freie Westen nicht leisten, sich dem Vorwurf des "Kolonialismus" auszusetzen, nur weil man riesige Geldmittel in die Entwicklung von Kolonien gepumpt hätte, die irgendwann doch selbständig geworden wären.
Die Entkolonialisierung war für die Kolonialmächte rational. Für Afrika war sie eine Katastrophe.
Es kam, wie es kommen mußte: Statt zu den entwickelten Industrie- Nationen aufzuschließen, fällt Afrika immer weiter zurück. Man exportiert nicht, wie China oder Malaysia, High Tech, sondern Rohstoffe. Man lebt immer mehr von Entwicklungshilfe; sozusagen als globale Sozialhilfe- Empfänger ohne die Aussicht, in das Erwerbsleben eingegliedert zu werden. Noch einmal Wolfgang Drechsler:
Die Entwicklungsgelder, die einst als Hilfe zur Selbsthilfe gedacht waren, sind längst zu einer Dauerlösung verkommen, die alle Eigeninitiative erstickt.So ist es wohl. Und die Aussichten sind - soweit ich das beurteilen kann - hoffnungslos. Denn das, was vor einem halben Jahrhundert versäumt wurde - die allmähliche Entwicklung Afrikas unter fortdauernder Kolonial- Herrschaft - läßt sich heute nicht mehr nachholen.