12. Juli 2011

Schuldengrenze und Verfassung in den USA

Seit Monaten wird über die drohende "Zahlungsunfähigkeit der Wirtschaftssupermacht USA" berichtet, die mittlerweile auf eine "dramatische Endphase zusteuert". Vergleiche mit Griechenland drängen sich auf, sind aber unzulässig: die USA leiden nicht unter Geldmangel, sondern an fehlender Entschlossenheit des Präsidenten.   
Schon die bloße Existenz einer „Schuldengrenze“ ist ungewöhnlich. Dabei sollte diese Grenze ursprünglich bloß eine Arbeitserleichterung sein. In den USA darf nach Art. 1, Sec. 8 der Verfassung nur der Kongreß Schulden im Namen der Vereinigten Staaten machen. Bis 1917 mußte jede einzelne Anleihe dazu von den beiden gesetzgebenden Kammern bewilligt werden. Durch die hohe Neuverschuldung im ersten Weltkrieg wollte man diese Prozedur abkürzen und erließ ein einfaches Gesetz, in dem das Finanzministerium autorisiert wurde, bis zu einer definierten Obergrenze Staatsschuldverschreibungen zu begeben. Das allerdings wiederum nur im Rahmen der Ausgaben des ohnehin auch vom Kongreß zu bewilligenden Budgets. 

Die aktuelle Schuldenobergrenze beträgt seit Februar 2010 brutto 14.294.000.000.000 (ca. 14,3 Billionen) Dollar. Der Vergleich mit der Wirtschaftsleistung von 2010 (ca. 14,66 Billionen Dollar) ergäbe eine Verschuldungsquote von knapp 100% und wäre damit im Spitzenfeld gelegen. Die USA schulden sich aber einen Teil des Geldes selbst. Sowohl die Rentenversicherung (Social Security) als auch die Krankenversicherung (Medicare, Medicaid) werden in Form von sog. Trust Funds finanziert. Auch die Versorgung von Veteranen wird über einen solchen Fonds finanziert. Überschüsse von den für diese Töpfe zweckgewidmeten Steuerneinnahmen gehen nicht im allgemeinen Budget auf, sondern diese Fonds sind dazu verpflichtet, US-Staatsanleihen zu kaufen. Zum Zeitpunkt Ende Juni 2011 hielt der Social Security Trust Fund alleine Staatschuld im Wert von ca. 2,7 Billionen Dollar. Insgesamt summieren sich diese internen „Schulden“ auf 4,6 Billionen Dollar (Stand Ende Juni 2011). Damit beläuft sich die Schuldenquote auf ca. 66% des Bruttosozialprodukts und liegt niedriger als die ca. 80% der Europäischen Union (Stand 2010).

Aber nicht nur daraus ergibt sich für die USA kein besonders Problem mit der Staatsverschuldung. Die USA haben zusätzlich volle Kontrolle über ihre eigene Währung. Selbst wenn niemand mehr Staatsanleihen kaufen wollte: die Notenbank (FED) würde das jederzeit übernehmen können. Umgekehrt kann es rein technisch nie dazu kommen, daß abreifende Anleihen nicht in Dollar umgetauscht werden: die FED kann ja beliebig Dollar erzeugen. Zahlungsunfähig aus Mangel an Liquidität können in den USA nur Bundesstaaten und Gemeinden werden.

Hier gibt es übrigens einen - weniger breit diskutierten - Ansatz, um die Staatsverschuldung zu kürzen: die FED hat Treasuries im Wert von ca. 1.600 Mrd. Dollar im Depot. Die FED ist ein Teil der Regierung der USA und damit könnte man die nunmehr im Staatsbesitz befindlichen Schuldtitel selbst auflösen. Dieser Vorschlag von Rep. Ron Paul ist allerdings vom Präsidenten nicht einfach umsetzbar, weil die Notenbank zumindest formal unabhängig ist. Außerdem hat die Notenbank vor, bei wieder anziehender Konjunktur diese Schuldtitel wieder auf dem Markt anzubieten, um die durch Quantitative Easing aufgebaute Liquidität wieder abzuziehen. 

Zurück zur Schuldengrenze selbst: fraglich ist, wie ein einfaches Gesetz wie das des debt limits aus verfassungrechtlicher Sicht zu bewerten ist. Für eine Zahlungsunfähigkeit der Vereinigten Staaten hat man nämlich vorgesorgt: nach dem Art.4 des 14. Verfassungszusatzes ist diese schlicht ausgeschlossen. Der erste Satz bestimmt:
The validity of the public debt of the United States, authorized by law, including debts incurred for payment of pensions and bounties for services in suppressing insurrection or rebellion, shall not be questioned.
Die Gültigkeit der rechtmäßig eingegangenen öffentlichen Verschuldung der Vereinigten Staaten, inklusive der Schulden, die zur Begleichung von Renten und Belohnungen zur Unterdrückung der Rebellion aufgenommen wurden, dürfen nicht in Frage gestellt werden.
Die Verfassungszusätze 13 - 15 sind Kinder der Reconstruction nach dem Sezessionskrieg, wobei der 14. vor allem für die Erweiterung der Bürgerrechte auf zuvor rechtlose Sklaven bekannt ist. Die Schuldenbestimmung sollte den Gläubigern der Nordstaaten Sicherheit bieten: während das nunmehr wieder geeinte Amerika nicht für die Schulden der Konföderation einstehen wollte, sollte der Art. 4 sicherstellen, daß das für die Altschulden der Nordstaaten und alle neu eingegangen Verpflichtungen nicht gilt. Auch wenn der Verfassungszusatz im Kontext der Reconstruction enstanden ist, so hat der Supreme Court in der einzigen, 1935 dazu ergangenen Entscheidung, darin ein allgemeines Prinzip erkannt: der Kongreß darf das Vertrauen der Schuldner auf Rückzahlung nicht unterminieren. Damals ging es um ein Gesetz aus 1933, in dem der Kongreß die Verpflichtung aufhob, bestimmte Schuldtitel in Gold zurückzuzahlen. Und auch heute geht es darum, rechtmäßig eingegangene Verpflichtungen nachträglich nicht bedienen zu wollen. 

Ein einfaches Gesetz kann eine Verfassungsbestimmung nicht derogieren und ist damit verfassungswidrig. Der Präsident kann nicht nur, er muß sich sogar über die Verschuldungsgrenze hinwegsetzen, wenn dies nötig ist, um Altschulden zu bedienen. Der Meinung sind neben zahlreichen Juristen auch führende Senatoren, etwa Sen. Patty Murray (D-Wash.) oder Sen. Chris Coons (D-Del.). Selbstverständlich stünde es dem Kongreß frei, gegen das gesetzwidrige (aber verfassungskonforme) Handeln der Regierung vorzugehen, was aber in der aktuellen Legislaturperiode kaum geschehen wird, weil der von den Demokraten dominierte Senat eine entsprechende Resolution blockieren wird.

Warum sich Präsident Obama trotzdem auf Verhandlungen mit den Republikanern einläßt, das kann ich nur vermuten. Felix Salmon weist auf das Ende des Budget-Moratoriums in 3 Monaten hin, nach dem die Regierung ohne Budget dastünde und es damit erst recht zu einem "Krieg" zwischen Präsident und dem von Republikanern dominierten Repräsentantenhaus käme. Allerdings braucht es keine declaration of political war mehr: der "Krieg" ist ja schon längst dort, wo er 1995 schon war: auch damals stand ein Präsident der Demokraten (Clinton) einem neugewählten republikanischen Mehrheitsführer (Gingrich) unversöhnlich gegenüber und es scheiterten die Verhandlungen in letzter Minute. Profitiert hat dann allerdings der Präsident und möglicherweise erhofft sich Obama das Schicksal seines Vorgängers: nach dem Shutdown vom 14. November 1995, wo geschlossene Nationalparks, unbearbeitete Anträge auf Reisepässe und eine auf das nötigste Minimum reduzierte medizinische Versorgung von Veteranen von den Wählern vor allem den Republikanern angelastet und Clinton nach zwischenzeitlich schlechten Umfragewerten 1996 wiedergewählt wurde. 


Johann Grabner


  
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