17. Juli 2011

Altersvorsorge und Sparwut

Wie alle Jahre wieder flatterte mir dieser Tage wieder mal eine Benachrichtigung "meiner" Pensionskasse ins Haus. Mein Arbeitgeber meinte vor zig Jahren einmal, es wäre nötig, für seine Mitarbeiter in eine Rentenvorsorge zu investieren und überweist seitdem jedes Jahr 2% der Gehaltssumme an eine Versicherung, die das so angesparte Geld mir ab meinem Dienstende als lebenslange Rente auszahlt. Ich kann mich dagegen nicht wehren, aber solange das zusätzlich zu meinem vertraglich fixierten Gehalt gezahlt wird, soll es mir recht sein. Abgesehen davon, daß ich nicht vorhabe, als reiner Kopfarbeiter jemals in Rente zu gehen, ist das ein tauglicher Anlaß, die ökonomische Absurdität "Altersvorsorge" zu diskutieren.

Wirtschaft ist zu einem großen Teil ein kurzfristiges Geschäft. Es gibt einige Güter, die sich auf Vorrat produzieren lassen und dann einige Tage bis sogar teilweise Monate und Jahre haltbar sind, aber der Großteil der Wirtschaftsleistung wird unmittelbar umgesetzt, Lebensmittel beispielsweise: da verdirbt das Brot, das länger als einem Tag im Regal liegt, recht schnell. Aber auch fast alle Dienstleistungen von Altenpflege bis Schneeräumung, von Arztbesuch bis Haarschnitt, sind Dinge, wo Leistungserbringung und -Bezahlung am gleichen Tag stattfinden. Da läßt sich nichts auf Halde produzieren.

Wie kann man nun annehmen, eine ganze Gesellschaft könne kollektiv "für das Alter vorsorgen"? Seit Jahren wird getrommelt, daß in einigen Jahren oder zumindest Jahrzehnten wegen angeblich demografischer Gegebenheiten das Umlageverfahren der Rentenversicherung nicht mehr funktionieren könne, weil es an Beitragszahlern mangelt und man daher privat "vorsorgen" müsse, um die Differenz auszugleichen. Das kann nicht funktionieren. Dazu vergleichen wir in einem Modell zwei geschlossene Volkswirtschaften, die beide von heute auf morgen beschließen, keinen Nachwuchs mehr zu zeugen.

Beide Länder haben ein gesetzlich fixiertes Rentenantrittsalter von 60 Jahren. Land A bezahlt seine Pensionäre mit einem Umlageverfahren, das von jedem Erwerbstätigen 10% nimmt und an die Rentenempfänger verteilt. In Land B spart jeder Aktive seine Rente mit Hilfe eines Aktien- oder Anleihenfonds selbst an, die er nach  Erreichen des 60. Lebensjahres langsam wieder auflöst (von der Schwierigkeit, das zeitlich so hinzubekommen, daß sich das mit der Lebenserwartung genau ausgeht, sei abstrahiert). Wir betrachten die Situation in 60 Jahren:

In Land A zahlt der letzte Erwerbstätige seinen letzten Rentenbeitrag von 10%, wovon sich für alle Rentner nicht mal ein ganzer Cent ausgeht und von dem kaum jemand etwas hat, weil er als letzter Erwerbstätiger kaum mehr etwas produziert. Nachdem er auch in Rente geht (gesetzlich zwingend wie erwähnt) gehen in dieser Volkswirtschaft "die Lichter aus" und es hat sich im Extremfall das materialisiert, was in der Rentendiskussion mit "es gibt in Zukunft immer weniger Beitragszahler" umschrieben wird, nämlich gar keinen mehr. Das Umlageverfahren wird also in diesem Fall die Rente für alle auf Null sinken lassen. Wie geht es dem Kapitaldeckungsverfahren?

Hier verfügen die Alten über einen Kapitalstock in Form von Aktien und Anleihen. Der Wert dieser Teilhaberpapiere und Schuldverschreibungen? Null. Wer sollte sie auch kaufen, wenn es keine Erwerbstätigen mehr gibt, die als Nachfrager für diese Papiere auftreten? Alle wollen ja nur mehr verkaufen um sich "im Alter ihren Lebensstandard zu sichern". Außerdem gibt es ja ohnehin niemandem mehr, der arbeitet. Das Kapitaldeckungsverfahren wird also in diesem Fall die Rente für alle ebenso auf Null sinken lassen.

Wenn man also die Notwendigkeit privater Altersvorsorge damit begründet, daß in Zukunft zu wenige Beitragszahler der gesetzlichen Rentenversicherung zur Verfügung stehen, dann wird es auch an Käufern für Aktien, Anleihen und Immobilien fehlen. Es ist daher völlig egal, ob eine Rentenversicherung kapitalgedeckt oder umlagenfinanziert ist, ob es eine Säule oder deren drei gibt, es gibt nur eine Determinante: wieviele produktive Erwerbstätige stehen wievielen konsumierenden Rentnern gegenüber? Die Sparerei ändert an diesem Verteilungsschlüssel nichts.

Die Dinge ändern sich nur wenig, wenn man eine offene Volkswirtschaft betrachtet. Man kann natürlich das heute angesparte Kapital in das Ausland verfrachten und die Hoffnung hegen, daß es dereinst gut verzinst wieder zurückkommt. Wie man am Beispiel US-Immobilien sieht, kann diese Hoffnung trügen. Staatsanleihen im europäischen Ausland sind kaum ertragreicher. Und das ist bloß eine Vermutung von mir, die ich nicht mit Zahlen belegen kann, aber daß sich im letzten Jahrzehnt so viel billiges Geld aus Deutschland im Rest Europas und in den USA Anlagemöglichkeiten gesucht hat, ist auch der Sparwut zu verdanken, die als "private Altersvorsorge" ungefähr so lange die Öffentlichkeit aufgescheucht hat. Eine ökonomisch unsinnige Sparwut: einerseits finanziert die Sparerei heute den Konsum im Rest der Welt und andererseits wird es für die Altersvorsorger trotzdem ein böses Erwachen geben, weil die versprochenen Renditen nie und nimmer gehalten werden können.  

Johann Grabner


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